Evolution: Urahn aller Lebewesen ernährte sich von Wasserstoff
Alle heutigen Lebewesen stammen vermutlich von einem gemeinsamen Vorfahren ab, der vor mindestens 3,5 Milliarden Jahren lebte. Fachleute bezeichnen diesen hypothetischen Ahnen als »LUCA« (Last Universal Common Ancestor). Er war nach derzeitiger Kenntnis ein primitives zellähnliches Gebilde mit einem rudimentären Stoffwechsel.
LUCA stand am Anfang des Lebens und kann deshalb noch nicht über den komplexen Molekülapparat verfügt haben, den heutige Zellen besitzen und der sich im Zuge der Evolution herausgebildet hat. Wie kam es also zu den ersten Stoffwechselreaktionen, die die Grundlage aller späteren Organismen bildeten? Liefen sie spontan ab oder waren sie auf Energiezufuhr von außen angewiesen? Ein Team um Jessica Wimmer von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist dem nachgegangen und kommt zum Schluss: LUCA bezog seine Energie maßgeblich aus Wasserstoff und betrieb damit einen selbstständigen Metabolismus, der keine externen Energiequellen benötigte. Die Forscherinnen und Forscher berichten darüber in der Fachzeitschrift »Frontiers in Microbiology«.
Lebensnotwendiger Stoffumsatz
Wimmer und ihre Kollegen identifizierten 402 biochemische Reaktionen, die so etwas wie den Basisstoffwechsel heutiger Zellen darstellen. Sie funktionieren bei allen Mikroben weitgehend gleich und liefern Grundbestandteile der Zelle – darunter Aminosäuren, Nukleotide (Bausteine zellulären Erbguts) und unverzichtbare Vitamine. »Experimentelle Daten und theoretische Überlegungen deuten darauf hin, dass sich diese Basisreaktionen nicht wesentlich verändert haben, seit es lebende Organismen gibt«, sagt Wimmer. Vermutlich hätten sie schon in LUCA stattgefunden.
In Laborversuchen und Computersimulationen testete das Team für verschiedene Umweltbedingungen, welche Energiebilanz die 402 Basisreaktionen haben. Dabei stellte sich heraus: Fast alle laufen freiwillig und Energie liefernd ab, wenn die Temperatur 80 bis 100 Grad Celsius beträgt, der pH-Wert des umgebenden Wassers zwischen 7 und 10 liegt und bestimmte Ausgangsstoffe vorhanden sind – nämlich Wasserstoff, Kohlenstoffdioxid, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Phosphate. Solche Bedingungen sind in hydrothermalen Tiefseequellen erfüllt oder auch in wassergefüllten Spalten der Erdkruste. Genau diese Orte sehen Fachleute als mögliche Stätten der Entstehung des Lebens an.
»Bei genügend starker Hitze, hinreichend hohem pH-Wert und ausreichend Stoffnachschub tendierte das System der Basis-Stoffwechselreaktionen dazu, sich selbst aufrechtzuerhalten – ohne dass Proteine oder Enzyme daran mitwirkten«, erläutert Wimmer. Das sei im Hinblick auf die ersten Lebewesen wichtig. »Zu Beginn des biochemischen Stoffwechsels vor etwa vier Milliarden Jahren gab es noch nicht die Enzyme, die in heutigen Zellen die Reaktionen ermöglichen, weil sie sich noch nicht entwickelt hatten. Der Stoffwechsel musste sich aus Reaktionen ergeben, die in der damaligen Umwelt spontan abliefen, vielleicht mit Hilfe anorganischer Katalysatoren.«
Heißes Wasser in hydrothermalen Tiefseequellen enthält chemisch reduzierenden Wasserstoff, der bei Gesteinsumwandlungen entsteht. Er reagiert mit ebenfalls in Wasser gelöstem Kohlenstoffdioxid, woraus Kohlenwasserstoffe wie Methan hervorgehen, die Lebewesen anschließend verwerten können. Auch Ammoniak, Schwefelwasserstoff und weitere Zutaten organischer Verbindungen bilden sich unter hydrothermalen Bedingungen. »Gesteinsoberflächen mit Übergangsmetallen katalysieren solche Reaktionen, befördern sie also«, sagt Wimmer. Im Labor lässt sich das nachmachen.
Zusammengenommen deutet die Studie darauf hin: Der Stoffwechsel von LUCA, der hypothetischen Urform aller Lebewesen, konnte sich unter den richtigen Bedingungen spontan entfalten, ohne dass dafür komplexe Proteine und Enzyme nötig waren. Auch eine zusätzliche Energiezufuhr durch elektrische Entladungen, UV-Licht, Vulkanausbrüche oder Meteoriteneinschläge war demnach nicht erforderlich. Angetrieben worden sei LUCAs Stoffwechsel letztlich von Wasserstoff, betont der Evolutionsbiologe William Martin, der das Team leitet: »Ohne Wasserstoff geht gar nichts, weil dieser benötigt wird, um den Kohlenstoff aus dem CO2 überhaupt erst in den Stoffwechsel einzuschleusen. In der völligen Dunkelheit hydrothermaler Quellen ist Wasserstoff gewissermaßen chemisches Sonnenlicht.«
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