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Zuckerfreie Ernährung: Süßes Gift?

Ein Zuviel an Zucker schadet nachweislich der Gesundheit. Manche Ernährungsratgeber empfehlen deshalb, komplett darauf zu verzichten. Fachleute sind sich jedoch uneins darüber, ob das wirklich die beste Strategie ist.
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Süßigkeiten können viele nicht widerstehen. Aber was wäre, wenn sie wenigstens ohne Zucker sind?

Gesünder, wacher, ausgeglichener – und dazu noch schlanker! All das ließe sich erreichen, so sind viele Menschen überzeugt, wenn man auf Zucker verzichten würde. Entsprechende Empfehlungen findet man in Blogs, Ratgebern und den sozialen Medien. Die Barmer Krankenkasse schreibt auf ihrer Website: »Eine zuckerfreie Ernährung verspricht nicht nur mehr Gesundheit, sondern ein ganz neues Lebensgefühl.« Doch inwieweit sind die angepriesenen Vorzüge des Zuckerverzichts eigentlich mit wissenschaftlichen Daten untermauert?

Dass ein Überschuss an Zucker schädlich ist, basiert auf solider wissenschaftlicher Erkenntnis: Der übermäßige Konsum steigert nachweislich das Risiko für zahlreiche Erkrankungen. Aber bei der Frage, ob man ganz auf Zucker verzichten beziehungsweise stattdessen auf andere Süßstoffe umsteigen sollte, sind Forschende sich uneinig. Jedes Gramm weniger zählt, sagen die einen. In Maßen ist Zucker kein Problem und zu viel Kontrolle tut auch nicht gut, entgegnen die anderen.

Zucker ist nicht gleich Zucker

Erschwerend hinzu kommt, dass nicht ganz klar ist, was sich überhaupt hinter dem Begriff »zuckerfreie Ernährung« verbirgt. Eine einheitliche Definition gibt es nämlich nicht – aber komplett auf Zucker zu verzichten, ist nie damit gemeint. Das wäre gar nicht möglich, denn nicht nur Schokolade, Kuchen oder Fertiggerichte sind reich daran. Auch Obst, Gemüse und Nüsse enthalten unter anderem Glukose (Traubenzucker), Fruktose (Fruchtzucker) und Saccharose (Haushaltszucker) in unterschiedlichen Verhältnissen. Zuckerhaltige Lebensmittel ganz vom Speiseplan zu streichen, ist zudem keine gute Idee, weil eine solche Diät sehr einseitig wäre. Den meisten Menschen, die eine zuckerfreie Ernährung praktizieren, geht es aber gar nicht darum. Vielmehr verzichten sie auf so genannten freien Zucker. Das ist erstens der Zucker, der Speisen hinzugefügt wird, um sie schmackhafter oder appetitlicher zu machen, und zweitens jener, der von Natur aus in Fruchtsaft, Honig und Sirup enthalten ist.

Was ist eigentlich Zucker?

Chemisch gesehen sind Zucker all jene Kohlenhydrate, die süß schmecken. Sie können aus einem einzelnen Zuckermolekül bestehen (Monosaccharide) oder aus einer Kette dieser Grundbausteine (Zweifachzucker und Mehrfachzucker). Im Verdauungstrakt spalten Enzyme solche Ketten in die einzelnen Einfachzucker auf, die der Körper dann weiterverarbeiten kann. Zu den Zuckern zählt etwa der Haushaltszucker (Saccharose) – ein Zweifachzucker, der aus je einem Teil Traubenzucker (Glukose) und einem Teil Fruchtzucker (Fruktose) besteht – sowie unterschiedliche Einfachzucker wie Glukose, Fruktose oder Galaktose.

Natürliche Zuckeralternativen wie Honig, Ahornsirup oder Agavendicksaft werden häufig als gesünder angepriesen. Laut Fachleuten ist das allerdings ein Irrglaube. Die flüssigen Süßungsmittel enthalten zwar geringe Mengen an Vitaminen, Aminosäuren und Mineralstoffen. Doch zum größten Teil bestehen sie dennoch aus einer Zutat, nämlich Zucker. Am Ende landet dieser als Glukose und Fruktose im Körper.

Und wie sieht es aus, wenn die Süße aus Früchten stammt? Obst enthält vor allem Fruktose. Sie gilt sogar als besonders schädlich, zudem ist sie zugleich sehr süß und günstig herzustellen. Deshalb verwenden Softdrinkhersteller den Fruchtzucker gern in ihren Limonaden. Aus chemischer Sicht gleicht die Fruktose in einem Glas Cola jener in einer Orange. Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings: In der Frucht umgibt den Zucker eine Matrix aus Nähr- und Ballaststoffen. Das sorgt dafür, dass der Körper ihn langsamer und unvollständig aufnimmt. Wer Obst aber püriert oder presst, zerstört dieses Geflecht. In der Folge kann der Darm die Fruktose ungehindert aufnehmen. Darum wirkt ein Glas Orangensaft ähnlich auf den Stoffwechsel wie ein Glas Cola.

Zu viel des Guten

In den OECD-Staaten nehmen die meisten Menschen viel mehr Zucker zu sich, als sie sollten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt etwa, nicht mehr als zehn Prozent der Energiezufuhr durch freien Zucker zu decken. Bei einem täglichen Energiebedarf von 2000 Kilokalorien ergibt das rund 50 Gramm. Deutsche verbrauchten im Jahr 2022/23 jedoch zirka 90 Gramm Haushaltszucker (Saccharose) pro Kopf und Tag – also fast das Doppelte der empfohlenen Maximalmenge. Während die Menschen in der Schweiz im Schnitt etwas mehr Zucker essen als jene in Deutschland, konsumieren Österreicherinnen und Österreicher etwas weniger. Zu Lebensmitteln zugesetzte Glukose und Fruktose sowie Honig und Sirup sind in diesen Zahlen allerdings nicht berücksichtigt. In Wahrheit ist die zugeführte Zuckermenge also noch viel größer.

Die gesundheitlichen Folgen sind gut erforscht: Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel lässt die Haut schneller altern, verfettet die Organe und wirkt sich negativ auf kognitive Fähigkeiten aus. Übermäßiger Zuckerkonsum fördert außerdem Karies sowie Übergewicht und steigert das Risiko für Krebs, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese »Zivilisationskrankheiten« gehören heute zu den weltweit führenden Todesursachen. Andreas Pfeiffer, Ernährungsforscher an der Charité in Berlin, vermutet, dass sie vor allem mit der zunehmenden Fettleibigkeit zusammenhängen, die vom Überfluss an Süßem begünstigt wird.

Zucker liefert schnell Energie

Glukose stellt dabei den wichtigsten Brennstoff unserer Zellen dar. Sie wird im Darm aufgenommen und über das Blut im Körper verteilt. Der Vorgang stößt einen ausgeklügelten Stoffwechselkreislauf an. Die in der Bauchspeicheldrüse hergestellten Hormone Insulin und Glukagon sorgen dabei dafür, dass sich der Blutzuckerspiegel bei gesunden Menschen immer zwischen 70 und 140 Milligramm pro 100 Milliliter Blut einpendelt.

Über den Blutkreislauf gelangt der Brennstoff überall dorthin, wo er gebraucht wird. Bei der so genannten Zellatmung, die überwiegend in den »Kraftwerken« der Zellen, den Mitochondrien, stattfindet, werden Sauerstoff und Glukose zu Wasser und Kohlenstoffdioxid verstoffwechselt. Dabei entsteht Adenosintriphosphat, das der Körper als universellen Energieträger nutzt. In der Leber und in geringerem Maß auch in anderen Organen stellen die Zellen aus überschüssiger Glukose Glykogen her, das sie einlagern können. Was dann noch übrig bleibt, wird in Fett umgewandelt und als Langzeitreserve im Körper angelegt.

Das Gehirn verbraucht allein rund 120 Gramm Glukose pro Tag, was etwa zwei Dritteln des Tagesbedarfs des gesamten Körpers im Ruhezustand entspricht

Anders sieht es bei Fruktose aus: Dieser Einfachzucker hat keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel, sättigt nicht, und der Körper kann ihn erst nach einem zusätzlichen Stoffwechselschritt zur Energiegewinnung heranziehen. Fruktose wird größtenteils von der Leber aufgenommen und dort – sofern ausreichend Glukose vorhanden ist – sogleich in Fett umgewandelt. Das kann dazu beitragen, dass sich eine Fettleber ausbildet.

Rote Blutkörperchen sind auf Glukose angewiesen, und Muskeln verbrennen sie vermehrt bei physischer Anstrengung. Besonders viel des Brennstoffs fließt allerdings in Neurone. Das Gehirn verbraucht allein rund 120 Gramm Glukose pro Tag, was etwa zwei Dritteln des Tagesbedarfs des gesamten Körpers im Ruhezustand entspricht. Fällt der Blutzuckerspiegel zu stark ab, macht sich das schnell durch Beschwerden bemerkbar: Betroffenen wird schwindelig, sie fühlen sich plötzlich schwach und können Sehstörungen entwickeln. Hält der Mangel an, fallen sie in Ohnmacht und schließlich ins Koma.

Doch wir müssen unseren Bedarf an Glukose nicht ausschließlich in Form von Zucker zu uns nehmen. Der Körper ist nämlich dazu fähig, bestimmte Stoffe so zu verdauen, dass daraus Traubenzucker entsteht. Stärke, wie sie etwa in Getreide oder Kartoffeln vorkommt, besteht aus verketteten Glukosemolekülen. Enzyme im Verdauungstrakt spalten sie in ihre Bausteine auf. Sobald der Zucker aus der Nahrung aufgebraucht ist, kann die Glukoneogenese aus gespeicherten Fetten oder Aminosäuren Nachschub herstellen. Das dauert allerdings länger und kostet zusätzlich Energie. Glukose gilt deshalb als besonders schneller und direkter Energielieferant.

Kleine Zuckerbomben | Oft ist es schwierig einzuschätzen, wie viel Zucker ein Nahrungsmittel enthält – und wie schnell die empfohlene Maximalmenge von 50 Gramm/Tag (entsprechend etwa 17 Zuckerwürfeln) erreicht ist. Die Grafik zeigt beispielhaft, welche Menge wo drinsteckt.

Ist völliger Verzicht die Lösung?

Theoretisch ist es also möglich, völlig ohne zuckerreiche Nahrungsmittel auszukommen. Bei der Frage, ob das auch gesundheitliche Vorteile hat, gehen die Meinungen in der Fachwelt jedoch auseinander. Anne Christin Meyer-Gerspach und Bettina Wölnerhanssen, Koleiterinnen der metabolen Forschung am Claraspital Basel, sind von den Vorzügen überzeugt. »Mit jedem Gramm weniger tut man seiner Gesundheit etwas Gutes«, betont Meyer-Gerspach. Anders als bei Proteinen, Fetten, Vitaminen und Mineralstoffen gäbe es keinen Zucker, den der Körper braucht und nicht selbst herstellen kann.

Andreas Pfeiffer sieht den Konsum entspannter: »Zucker an sich ist nicht toxisch. Nur die größere Menge ist es.« Ihm zufolge ist ein süßer Zahn vor allem über die Gewichtszunahme mit Krankheiten verknüpft. Gesunde Menschen, die nicht dazu neigen, zuzunehmen, müssten sich demnach auch keine allzu großen Sorgen machen.

»Die meisten schädlichen Wirkungen von Zucker wie Fettleber, Diabetes und Gefäßschäden sieht man erst nach mehreren Jahren«Anne Christin Meyer-Gerspach, Ernährungswissenschaftlerin

Die Basler Forscherinnen halten jedoch dagegen. »Die meisten schädlichen Wirkungen von Zucker wie Fettleber, Diabetes und Gefäßschäden sieht man erst nach mehreren Jahren. Vieles passiert schon, ohne dass man es über Übergewicht wahrnimmt«, erklärt Meyer-Gerspach. Eine 2021 veröffentlichte Studie eines Teams um Bettina Geidl-Flueck untermauert dies. 94 normalgewichtige Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren wurden dafür in vier Gruppen eingeteilt: Drei Gruppen bekamen über sieben Wochen hinweg dreimal täglich 200 Milliliter stark gesüßte Getränke – je nach Gruppe enthielten sie Saccharose, Fruktose oder Glukose. Die Lebern der Testteilnehmer, die Saccharose oder Fruktose erhalten hatten, hatten im Anschluss höhere Fettwerte. Bei Glukose blieb der Effekt im Vergleich mit der unbehandelten Kontrollgruppe aus. Fruktose kann demnach schon nach kurzer Zeit unsichtbare Schäden im Körper anrichten.

Zucker auf nüchternen Magen besonders schädlich?

Die Situation bei Glukose ist etwas komplizierter. Lange stand der mittlere Blutzuckerspiegel – also der über mehrere Stunden berechnete Durchschnittswert – im Fokus der Forschung. Mit Hilfe neuerer Glukosesensoren, die permanent den Blutzucker messen, lässt sich mittlerweile untersuchen, welchen Effekt sprunghafte Anstiege haben. Zu ihnen kommt es vor allem, wenn man den Zucker auf einen leeren Magen zu sich nimmt – also zum Beispiel nach einem Marmeladenbrot zum Frühstück oder einer heißen Schokolade am Nachmittag. Diversen Ernährungsratgebern zufolge sind solche Blutzuckerspitzen besonders schädlich und machen müde. Pfeiffer betont, dass die Evidenz dazu nicht eindeutig ist. Bei Diabetikern gebe es zwar schon Daten, die dafür sprechen, dass die plötzlichen Anstiege höhere Risiken bergen, sagt er. Bei Gesunden fehle es hingegen noch an Untersuchungen.

Die Vorzüge einer möglichst zuckerfreien Ernährung sind ähnlich schlecht erforscht. Eine Studie aus dem Jahr 2019 legt nahe, dass Menschen mit einer Fettleber davon profitieren, Zucker weitgehend vom Speiseplan zu streichen. Die 20 übergewichtigen Jugendlichen, die daran teilnahmen, aßen acht Wochen lang nur so viel freien Zucker, dass dieser maximal drei Prozent ihrer Energiezufuhr deckte statt wie zuvor zehn Prozent. Dadurch ging die Verfettung ihrer Leber signifikant zurück. Inwiefern und wie lange der Effekt nachwirkt, lässt sich nicht aus der Studie ableiten.

Vergleichbare Arbeiten mit gesunden, normalgewichtigen Probandinnen und Probanden fehlen noch. Ob es für alle Menschen gut wäre, ganz auf freien Zucker zu verzichten oder ob die Dosis das Gift macht, lässt sich darum aktuell nicht empirisch beantworten. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass zuckerarm zu essen schlecht für den Körper sein könnte – mit einer Ausnahme.

Mangel im Marathon

Ausdauersportlerinnen und -sportler erleben nach länger andauernder körperlicher Belastung gelegentlich einen Hungerast. Er tritt ein, wenn die Glukose, die in Muskeln und Leber gespeichert ist, zur Neige geht. Daraufhin sinkt der Blutzuckerspiegel der Betroffenen rapide ab und ihre Leistung lässt nach. Schwindel und Schwächegefühl können hinzukommen. Die Glukoneogenese aus Fett hilft dann wenig, denn sie dauert zu lange, um für ausreichend Nachschub zu sorgen.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät Leistungssportlern deshalb, während einer starken Belastung, die mehr als eine Stunde andauert, Zucker zu sich zu nehmen – als Getränk, Snack oder Gel. Wer länger als zweieinhalb Stunden Sport macht, soll bis zu 90 Gramm Zucker pro Stunde zuführen. Im Lauf eines Marathons sind das etwa 400 Gramm, ein Vielfaches der von der WHO empfohlenen Maximalmenge. Wie kann das noch gesund sein? »Wenn ich die Energie, die ich aufnehme, unmittelbar verbrenne, sollte es eigentlich keine negativen Effekte geben«, erklärt Daniel König, Sport- und Ernährungsmediziner an der Universität Wien. Ausgenommen davon sind Schäden an den Zähnen. Für kürzere Joggingrunden oder für leichte bis moderate Anstrengungen wie eine Bergtour empfiehlt König aber keine Zuckerrationen.

Unter Kontrolle

Zucker ist jedoch mehr als ein Energielieferant – und seine Wirkung geht über die rein physiologischen Stoffwechselprozesse hinaus. Menschen essen Süßes, weil sie Trost suchen oder Stress abbauen wollen. Sie schenken einander Pralinen als Zeichen der Zuneigung und feiern Feste mit Sekt und Kuchen. Die Rolle, die Zucker bei diesen Situationen spielt, ist kaum überraschend, denn er aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns.

Personen, die ihre Ernährung stark kontrollieren, haben häufig ein negatives Körperbild und neigen eher zu Essstörungen

Ein Komplettverzicht bedeutet demnach auch, solchen Genussmomenten und dem »sozialen« Bindemittel Zucker zu entsagen – etwa dem Kuchen bei der Geburtstagsfeier und dem Tiramisu bei Freunden. Für manchen wird das Essen so zu einem Bereich der Verbote. Der Druck, sich an die Regeln zu halten und sie immer strikter auszulegen, kann in eine Spirale der Selbstoptimierung münden und Essstörungen nach sich ziehen. Ähnliches gilt für andere Diäten mit starren Vorgaben. Im krassen Gegensatz dazu steht das Konzept des intuitiven Essens. Es geht von dem Ideal aus, das Menschen auf ihre eigenen Körpersignale hören und so essen sollten, wie es sich für sie gut anfühlt.

Gemäß einer 2017 veröffentlichten Studie haben Personen, die ihre Ernährung stark kontrollieren, häufig ein negatives Körperbild. Zudem neigen sie eher zu Essstörungen. Intuitives Essen ist dagegen mit einem positiveren Körperbild und einem geringeren Risiko von Essstörungen verbunden. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Welcher Faktor den anderen bedingt – also ob Menschen sich mit ihrem Körper weniger wohl fühlen, weil sie ihr Essverhalten mehr kontrollieren oder umgekehrt –, bleibt dabei allerdings offen. Außerdem beruhen die Untersuchungen meist allein auf Selbstaussagen der Probanden.

Uneinigkeit über Süßstoffe

Die Ergebnisse deuten jedoch zumindest darauf hin, dass strikte Regeln für manche Menschen kein guter Weg sind, um den Zuckerkonsum einzuschränken. Folgendes Versprechen könnte für sie verlockend klingen: Man kann den Zucker aus dem Speiseplan streichen, ohne auf Süßes verzichten zu müssen. Eine ganze Reihe an Süßstoffen macht es möglich. Aspartam, Sucralose, Saccharin und das pflanzliche Stevia sind nur einige davon. Unser Körper zieht keine Energie aus ihnen, sie haben also keine Kalorien. Dennoch besitzen sie ein Vielfaches der Süßkraft von Zucker. Hinzu kommen kalorienärmere Zuckeraustauschstoffe wie Birkenzucker oder Erythrit.

Wie Süßstoffe den Körper beeinflussen, wird schon lange diskutiert. Die Studienlage dazu ist unübersichtlich, denn jede Substanz wirkt anders. Obendrein kommen die einzelnen Arbeiten häufig zu widersprüchlichen Ergebnissen. So kam eine Untersuchung aus dem Jahr 2014 zu dem Schluss, dass Saccharin das Mikrobiom des Darms schädige und Diabetes auslösen könne. Diese Interpretation der Daten schlug in der Öffentlichkeit hohe Wellen, wurde aber von unbeteiligten Fachleuten stark kritisiert. 2021 gelang es einer anderen Forschungsgruppe nicht, die Befunde zu replizieren. Im Juli 2023 stufte die WHO das Süßungsmittel Aspartam als »möglicherweise Krebs erregend« ein. Das geschah auf Basis von Evidenz, die Expertinnen und Experten für äußerst dünn halten. Sogar Metaanalysen, die den gesamten Wissensstand zusammenfassen sollen, kommen teils zu entgegengesetzten Schlüssen.

Etwas Licht ins Dunkel bringt eine Auswertung, die ein Team um die dänische Ernährungsforscherin Anne Raben 2021 veröffentlichte. Es begutachtete 33 Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang zwischen Süßstoffen und Körpergewicht, in die insgesamt 183 Studien eingeflossen waren. Einigen zufolge machen die Mittel dick, andere kamen zu dem Fazit, sie würden bei der Gewichtsreduktion helfen, wieder andere fanden keinen Effekt. Die Hälfte kam mangels verfügbarer Evidenz zu gar keinem Ergebnis. In seiner Veröffentlichung schreibt Rabens Team, es erscheine »weitgehend willkürlich«, welche Untersuchungen die unterschiedlichen Gruppen für ihre Übersichtsarbeiten heranzogen. Die Dänen vermuten eine starke Verzerrung bei der Auswahl der Studien: Die Autoren wählten sie eventuell nicht allein nach objektiven Kriterien aus, sondern ließen sich womöglich von persönlichen Überzeugungen leiten. Ob finanzielle Interessenkonflikte ebenfalls eine Rolle spielen, lässt die Arbeit offen.

Dazu, wie Zuckerersatzstoffe langfristig auf den Organismus wirken, brauche es noch mehr Untersuchungen, sagt Meyer-Gerspach. Sie hält es für ratsam, »dass man Zucker nicht eins zu eins mit Süßstoff ersetzt«. Bislang ist man sich bei den gesundheitlichen Auswirkungen von Zuckerersatzstoffen zwar uneins, aber das bedeutet nicht, dass sie keine haben. Zudem gibt es einen offensichtlich negativen Effekt: Die Substanzen konditionieren das Gehirn darauf, weiter nach Süßem zu verlangen. Das macht es wiederum schwieriger, auf Naschereien zu verzichten und den Zuckerkonsum langfristig einzuschränken. Und das, hier sind sich die Fachleute einig, wäre in jedem Fall eine gute Idee.

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  • Quellen

Benzian, H. et al.: Redefining the non-communicable disease framework to a 6 × 6 approach: incorporating oral diseases and sugars. The Lancet Public Health 8, 2023

Geidl-Flueck, B. et al.: Fructose- and sucrose- but not glucose-sweetened beverages promote hepatic de novo lipogenesis: A randomized controlled trial. Journal of Hepatology 75, 2021

Normand, M. et al.: Low-energy sweeteners and body weight: A citation network analysis. BMJ Nutrition, Prevention & Health 4, 2021

Schwimmer, J. B. et al.: Effect of a low free sugar diet vs usual diet on nonalcoholic fatty liver disease in adolescent boys. JAMA 321, 2019

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