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Shackletons Antarktis-Expedition: Gefangen in der Eishölle des Südens

Er wollte als erster Mensch die Antarktis durchqueren – doch die Endurance-Expedition von Ernest Shackleton stand unter keinem guten Stern. Vor 100 Jahren nahm die Entdeckungsreise eine dramatische Wendung.
Die Endurance: Unversehrt am Meeresboden?

Am 21. November 1915 triumphiert die Natur zum dritten Mal über Ernest Shackleton. "Dort lag unser armes Schiff anderthalb Meilen entfernt in seinem Todeskampf. Es sank mit dem Bug voran, das Heck ragte in die Luft. Dann tauchte die Endurance plötzlich weg und das Eis schloss sich für immer über ihr", notiert der Polarforscher in seinem Reisebericht.

Nach zwei gescheiterten Vorstößen zum Südpol zwischen 1901 und 1909 beendet der Untergang der Endurance im Packeis des Weddell-Meeres auch Shackletons dritten Versuch, die Antarktis zu bezwingen. Statt um Entdeckerruhm geht es für ihn und seine Crew – insgesamt 28 Männer, die sich aus dem berstenden Schiff aufs Packeis geflüchtet haben – jetzt nur noch ums Überleben. Gestrandet auf einer Eisscholle weitab der menschlichen Zivilisation, beginnt für die Männer der letzte Akt des Dramas Endurance-Expedition.

"Es werden Männer gesucht für eine gefährliche Reise. Kleines Gehalt, bittere Kälte, lange Monate in kompletter Dunkelheit, dauernd in Gefahr, sichere Heimkehr zweifelhaft. Ehre und Anerkennung im Fall der Rückkehr"

Begonnen hatte alles mit einer Zeitungsanzeige im Jahr 1914: "Es werden Männer gesucht für eine gefährliche Reise. Kleines Gehalt, bittere Kälte, lange Monate in kompletter Dunkelheit, dauernd in Gefahr, sichere Heimkehr zweifelhaft. Ehre und Anerkennung im Fall der Rückkehr."

Die Herausforderung, die Shackleton hier skizzierte, war in der Tat außergewöhnlich: Erstmals sollte der Eiskontinent Antarktis von Menschen durchquert werden. Nachdem ihm der Norweger Amundsen drei Jahre zuvor den Titel des ersten Menschen am Südpol weggeschnappt hatte, wollte sich Shackleton mit dieser Leistung in den Annalen der Polarforschung verewigen – und wohl auch aus dem übergroßen Schatten der britischen Polarlegende Robert Falcon Scott treten.

Mehr als 5000 Bewerber

Der hatte sich 1911 mit Amundsen ein Wettrennen um den Südpol geliefert, das für Scott und vier seiner Begleiter tödlich endete. Ein Desaster, das in der britischen Öffentlichkeit zum heroischen Scheitern stilisiert wurde, nachdem Scotts pathetische Tagebuchaufzeichnungen aus den letzten Tagen der Expedition bekannt geworden waren. Fortan galt der Südpol als der ultimative Bewährungsort für britisches Heldentum – und so konnte sich Shackleton seine Antarktiscrew schließlich aus mehr als 5000 Bewerbern zusammenstellen.

Als die Endurance am 8. August 1914 England verlässt, steht dann aber eine ganz andere Form von Heldentum auf der Tagesordnung: Wenige Tage zuvor ist der Weltkrieg ausgebrochen. Shackletons unverzüglich formuliertes Angebot, Schiff und Besatzung der Kriegsmarine zur Verfügung zu stellen, wird von allerhöchster Stelle abgelehnt: Der König persönlich überreicht ihm den Union Jack für die Expedition. Und so entführt die Endurance ihre Mannschaft aus dem beginnenden Chaos des Völkerkrieges in die menschenleere Eiswüste am anderen Ende der Erde.

Sir Ernest Shackleton | Ernest Shackleton, aufgenommen von Frank Hurley während der Endurance-Expedition.

Shackletons Plan sieht vor, mit der Endurance die Antarktis im Gebiet der Weddell-See zu erreichen, anzulanden und den Marsch durch den Eiskontinent anzutreten. Eine zweite Gruppe ist derweil mit dem Schiff Aurora zur gegenüberliegenden Seite der Antarktis unterwegs. Von dort aus soll sie in Richtung der anmarschierenden Weddell-Gruppe vorstoßen und entlang ihrer Route Versorgungsdepots anlegen.

Die Natur hat andere Pläne

Ein Plan, von dessen Gelingen die Crew um Shackleton fest überzeugt ist: Als die Endurance am 5. Dezember 1914 mit der Walfangstation auf der kleinen Insel Südgeorgien die letzte menschliche Ansiedlung vor der Antarktis hinter sich lässt, notiert der "Boss", wie ihn seine Männer nennen: "Der Morgen trüb und wolkenverhangen, mit gelegentlichen Regen- und Schneeschauern, doch an Bord der Endurance sind alle frohen Mutes."

Doch die Natur hat andere Pläne als die Männer auf der Endurance: Mitte Januar wird das Schiff von Packeis in der Weddell-See eingeschlossen. Es kann sich nie wieder aus der Umklammerung befreien.

"Der Morgen trüb und wolkenverhangen, mit gelegentlichen Regen- und Schneeschauern, doch an Bord der Endurance sind alle frohen Mutes"

Die folgenden Monate sind geprägt vom Warten auf eine Lücke im Eis, durch die die Endurance entkommen könnte. Während Schiff und Besatzung mit dem Eis driften, vertreiben sich die Männer die Zeit mit Hunderennen, Fußballspielen auf dem Eis und kleinen Theaterstücken. Noch bietet die Endurance ihnen sichere Zuflucht vor Kälte, Schnee und Sturm.

Das ändert sich, als mit Beginn der wärmeren Jahreszeit Stürme gewaltige Eisschollen auf das Schiff zutreiben. Die Endurance gerät unter immer stärkeren Eisdruck. Unter dem Datum 30. September notiert Shackleton: "So hart waren wir bisher noch nie bedrängt worden. Die Decks erzitterten, die Planken bogen und die Stützbalken krümmten sich. Sogar die Hunde schienen die Gefahr des Augenblicks zu spüren."

Noch einmal übersteht das Schiff die vermeintlich aussichtslose Situation, doch es ist klar, dass die Männer auf der Endurance keine Zukunft mehr haben. Shackleton lässt die Crew aufs Eis umziehen, ihr Lager dort erhält den Namen Ocean Camp – eine ständige Mahnung, dass unter dem dünnen Eis nichts ist als kalter, tödlicher Ozean.

"Dort lag unser armes Schiff anderthalb Meilen entfernt in seinem Todeskampf"

Während die Endurance allmählich vom Eis zermalmt wird, gelingt es den Männern immerhin noch, Nahrungsvorräte und Werkzeuge aus dem Schiff zu bergen. Auch die drei Beiboote werden geborgen, als letzte Rettung für den Fall, dass das Eis unter den Männern aufbricht. Noch hofft Shackleton allerdings, seine Mannschaft zu Fuß über die geschlossene Eisdecke auf festes Land führen zu können.

Einen Monat nach dem Untergang der Endurance bricht die Expedition auf. Doch Shackletons Plan erweist sich rasch als undurchführbar: Warmes Wetter hat den Untergrund so aufgeweicht, dass die Männer bei jedem Schritt bis zu den Knien einsinken. Unter diesen Umständen die Ausrüstung und die schweren Boote über das Eis zu befördern, ist unmöglich. Erneut muss ein Lager auf dem Eis aufgeschlagen werden, müssen die Männer ihr Schicksal der Eisdrift anvertrauen.

Ein gottverlassenes Stück Felsen

Ihrem neuen Zuhause geben sie den Namen Patience Camp – das Lager der Geduld. Und Geduld ist tatsächlich gefragt: Mehr als drei Monate müssen sie hier ausharren, während am Horizont langsam die Gipfel ferner Inseln an ihnen vorüberziehen. Obwohl in Sichtweite, ist festes Land für die im Eis gefangenen Männer unerreichbar. Immerhin gelingt es ihnen, durch die Jagd auf Robben und Pinguine die Nahrungsvorräte zu ergänzen. Trotzdem macht sich Hunger breit, denn Shackleton hält vorsorglich Vorräte für 40 Tage zurück – Proviant für die sich abzeichnende Fahrt in den Booten.

"Inzwischen war Blubber, die Fettschicht der Robben, fester Bestandteil unserer Ernährung", schreibt Shackleton in seinem Expeditionsbericht. "Bis vor Kurzem galt allein der Gedanke daran als Ekel erregend. Das dickflüssige schwarze Öl, das er ausschwitzt, sieht aus wie Maschinenöl, aber wir tranken es gierig."

"Inzwischen war Blubber, die Fettschicht der Robben, fester Bestandteil unserer Ernährung"

Am 8. April passiert das Unvermeidliche: Das Eis unter Patience Camp bricht auf, mit knapper Not retten sich die Männer in die Boote. Obwohl selbst mit dem Kapitänspatent ausgestattet, vertraut Shackleton nun vor allem auf die Fähigkeiten von Frank Worsley. Der Kapitän der Endurance gilt als hervorragender Navigator. Und tatsächlich schafft er es, die Boote durch Sturm und Nebel nach Elephant Island zu steuern – ein gottverlassenes Stück Felsen nördlich der antarktischen Halbinsel.

Zwar haben die Männer nun wieder festen Boden unter den Füßen, trotzdem bleibt ihre Lage prekär. Weil Berge und Gletscher das Innere der Insel unzugänglich machen, müssen sie auf einer windigen Landzunge am Ufer ausharren. Zudem liegt Elephant Island abseits der Routen von Walfängern, die als Einzige gelegentlich in die antarktischen Gewässer vorstoßen.

Hoffnung auf Rettung gibt es also nicht, zudem bleibt die Versorgungslage angespannt. Auf Elephant Island abzuwarten hieße also, auf den Tod zu warten. "Mir drängte sich der Schluss auf, dass der Versuch, mit einem Boot Hilfe zu holen, unumgänglich war", so Shackleton in seinen Erinnerungen.

Überlebenskampf im tosenden Meer

Mit einem Boot Hilfe holen – was so lakonisch klingt, meint tatsächlich einen Höllenritt: 1500 Kilometer durch das stürmischste Seegebiet der Erde in einem winzigen Beiboot. Wenn die Bezeichnung "Nussschale" in der Seefahrt jemals Berechtigung hatte, dann für die James Caird – das Boot, das der Schiffszimmermann Harry McNish jetzt hastig für die Hochsee tauglicher macht.

McNish gehört zu den fünf Männern, die Shackleton auf die gefährliche Fahrt mitnimmt. Natürlich ist auch Kapitän Worsley an Bord, dessen Navigationskünste den Stecknadelkopf Südgeorgien in den Weiten des Südatlantiks aufspüren sollen. Die Insel ist das einzig realistische Ziel der Fahrt – die Südspitze des amerikanischen Kontinents liegt zwar näher, scheidet wegen der vorherrschenden Winde aber aus. Am 24. April 1916, neun Tage nach dem Erreichen von Elephant Island, sticht die James Caird wieder in See.

Abfahrt von Elephant Island | Gemeinsam mit fünf Männern macht sich Ernest Shackleton am 24. April 1916 in einem Beiboot auf den Weg nach Südgeorgien, um Hilfe für die Mannschaft der Endurance zu holen, die inzwischen auf Elephant Island festsitzt.

"Die Geschichte der folgenden 16 Tage ist die Geschichte eines Überlebenskampfes inmitten eines tosenden Meeres", schreibt Shackleton. "Der subantarktische Ozean wurde seinem schlechten Ruf mehr als gerecht." Durchnässt, halb erfroren und von den Entbehrungen der vorangegangenen Monate geschwächt, sind die Männer kaum noch in der Lage, das Boot auf Kurs zu halten.

Als eine Monsterwelle auf das Schiffchen zurast, scheint alles verloren. "Um Gottes willen festhalten, sie erwischt uns", schreit Shackleton noch, dann wird das Boot hochgeschleudert und taumelt durch die tosende See. Doch irgendwie kommt es durch, und irgendwie schaffen es die Männer, das halb vollgelaufene Boot wieder leer zu schöpfen.

Ein letzter Gewaltmarsch

In der Enge des Bootes verkrampfen die Körper derart, dass Kapitän Worsley sich irgendwann nicht mehr strecken kann. Trotzdem gelingt es ihm, die James Caird präzise durch die Wasserwüste zu navigieren. 16 Tage nach ihrem Aufbruch erreichen die Männer Südgeorgien – allerdings auf der unbewohnten Seite der Insel.

Die James Caird jetzt noch um die Insel zu steuern, fehlt es ihnen an Kraft. Sich noch einmal der Gewalt des Ozeans auszuliefern, wäre zudem ein nicht kalkulierbares Risiko angesichts der tückischen Winde, die ein leichtes Boot wie die James Caird jederzeit auf die felsige Küste schleudern könnten.

"Wir waren ungewaschen, unsere Bärte lang, die Haare verfilzt, die Kleidung zerlumpt und dreckig. Man hätte sich nur schwerlich drei übler aussehende Halunken vorstellen können"

Neun Tage gönnt der Boss sich und seinen Männern in einem rasch errichteten Camp Erholung, dann bricht er zusammen mit Worsley und dem für seine Bärenkräfte bekannten Thomas Crean zu einem letzten Gewaltmarsch auf. Statt der Antarktis müssen sie zwar diesmal nur Südgeorgien durchqueren, doch gilt das Innere der Insel wegen hoher Berge und mächtiger Gletscher als kaum passierbar.

Die drei Männer wissen, dass sie schnell Erfolg haben müssen – sie verzichten bewusst auf Schlafsäcke und nehmen nur wenige Vorräte mit. Ihr Ziel, die gut 30 Kilometer Luftlinie entfernte Walfangstation Stromness, wollen sie möglichst im Direktmarsch erreichen. Doch das zerklüftete Innere der Insel lässt direkte Wege kaum zu. Immer wieder müssen die drei Wanderer umkehren, weil ein vermeintlich gangbarer Pfad plötzlich an einem Abgrund endet.

Als sie an einen Schneehang kommen, dessen Ende sich im Nebel verliert, setzen sie sich einfach auf den Hosenboden und rutschen hinunter. Dass ihre Rutschpartie an einer Abbruchkante mit einem tödlichen Sturz in die Tiefe enden könnte, ist den Erschöpften in diesem Moment gleichgültig: "Wir waren sterbensmüde", so Shackleton.

Vier Rettungsmissionen nach Elephant Island

Schließlich stellt sich ihnen ein letztes Hindernis in den Weg, ein Wasserfall, durch dessen eiskaltes Wasser sie sich mühsam abseilen. Dann endlich ist das Ziel erreicht: Drei völlig entkräftete Gestalten wanken in die Walfangstation. "Wir waren ungewaschen, unsere Bärte lang, die Haare verfilzt, die Kleidung zerlumpt und dreckig. Man hätte sich nur schwerlich drei übler aussehende Halunken vorstellen können", so Shackleton.

Die ersten Menschen, denen sie begegnen, sind zwei kleine Jungen, die sich vor den wilden Gestalten rasch in Sicherheit bringen. Der Empfang durch die Walfänger ist dann aber ausgesprochen herzlich. Zwei Stunden nach Ankunft der Gruppe bricht ein Schneesturm los, den die Wanderer wohl nicht überlebt hätten.

Die restliche Crew der James Caird wird einen Tag später von den Walfängern geborgen. Bis zur Rettung der auf Elephant Island Gestrandeten vergeht allerdings noch einige Zeit. Drei Rettungsversuche scheitern, weil die ausgeschickten Schiffe das Packeis nicht brechen können. Erst Shackletons vierte Rettungsmission hat Erfolg: Am Morgen des 30. August 1916 taucht der Boss an Bord des chilenischen Dampfers Yelcho vor Elephant Island auf, eine Stunde später sind alle Männer der Endurance in Sicherheit.

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