Evolution: Erste Landpflanzen früher als gedacht?
Das Leben auf der Erde war schon alt, bis es allmählich vielzellige, größere Formen annahm. Noch länger dauerte es dann, bis sich die Nachkommen eines Urahnen aller Pflanzen aus dem Meer heraustrauten und den bis dahin höchstens von Mikroben bewohnten festen Erdboden besiedelten: Vermutlich geschah das vor 420 Millionen Jahren, meinten Forscher bislang. Womit sie allerdings falschlagen, behauptet Philip Donoghue von der University of Bristol: Tatsächlich waren Pflanzen schon deutlich früher an Land – und hatten dann gleich damit begonnen, den Grundstein für die weitere Evolution des Lebens auf der Erde zu legen.
Paläobotaniker tun sich traditionell schwer damit, den Landgang der ersten Pflanze exakt zu datieren – vor allem deswegen, weil die weichen Gewebe der botanischen Pioniere keine fossilen Spuren hinterlassen haben. Sie produzierten zum Beispiel keine festen, ligninhaltigen Teile wie spätere Nachkommen. Die bislang ältesten Überreste von Landpflanzen hatten Forscher vor Jahren in Argentinien entdeckt: Mehr als 470 Millionen Jahre alte so genannte Cryptosporen von mindestens fünf Gattungen von Lebermoos-Urahnen zeigten, dass zu dieser Zeit schon ein vielfältiges Pflanzenleben existiert hatte. Wann aber begann es, sich zu entwickeln?
Donoghues Team nahm sich der Frage mit Computerpower an: Die Wissenschaftler trugen rund 100 Gensequenzen der unterschiedlichsten heute lebenden Algen und Pflanzen zusammen und analysierten durch Quervergleiche exakter als zuvor die Ganggeschwindigkeit der molekularen Uhr des Pflanzenreichs – also die Geschwindigkeit, mit der sich das Erbgut im Lauf der Evolution verändert hat. Mit diesem Wert rechneten sie dann zurück, wann der älteste gemeinsame Vorfahre aller Landpflanzen gelebt hat. Zudem erlaubte ihnen der Fortschritt der Computerleistungsfähigkeit auch, ihre Analysen mit allen denkbaren Verwandtschaftsbeziehungen der unterschiedlichen Pflanzengroßgruppen durchzuspielen und so das plausibelste Ergebnis zu erhalten.
Am Ende ergab die in »PNAS« veröffentlichte Analyse, dass die ersten Pflanzen wohl schon im Kambrium vor rund 500 Millionen Jahren an Land gegangen waren, also knapp 100 Millionen Jahre früher als zuvor vorsichtig angenommen. Wahrscheinlich handelte es sich bei ihnen wirklich eher um Vorläufer der Lebermoose. Erst danach, im Ordovizium, spalteten sich dann andere Moosvarianten von der gemeinsamen Entwicklungslinie ab, die später einmal auch alle Farne, Bäume und Blumen hervorbringen sollte. Spätestens mit Beginn des Silurs hatte sich schon die moderne Linie der Gefäßpflanzen differenziert.
Der frühe Landgang der Pflanzen dürfte, wenn er sich bestätigt, Konsequenzen auf andere Forschungszweige neben der Botanik haben. Denn schon die ersten Pflanzen an Land begannen auch die terrestrische Atmosphäre des Planeten zu verwandeln: Sie entzogen ihr Kohlendioxid für ihre Fotosynthese und schwächten den Effekt des Treibhausgases ab, wodurch die Erde kühler wurde. Zudem veränderten die Pflanzen das Grundgestein, auf dem sie wuchsen, was vielfältige biogeophysikalische Effekte nach sich zog. Verwittertes Gestein an Land und ins Meer gespülte Sedimente verringerten die Kohlendioxidkonzentration weiter. Dieser Prozess setzte aber deutlich früher ein als bisher gedacht, wenn die Analysen der evolutionären Uhr von Donoghue und Co stimmen – und er braucht eine längere Anlaufzeit als vermutet, weil der tatsächliche Einbruch der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre und die Abkühlung erst später nachweisbar sind.
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