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Chemie-Rätsel: Erstes organisches Molekül mit bislang unmöglicher Bindung

Eine klassische chemische Bindung besteht aus zwei Atomen, die sich zwei Elektronen teilen. Ganz besonders streng halten sich organische Moleküle daran. Außer in diesem Molekül.
Zwei Kugeln mit einem Stab dazwischen.
Warum halten Elektronen zwei Atome zusammen? Die Natur der chemischen Bindung ist bis heute nicht völlig geklärt.

Nahezu unser gesamter Alltag basiert auf Chemie – Medizin, Energie, moderne Materialien. Doch hinter alldem verbirgt sich bis heute ein großes, grundlegendes Rätsel: Was ist eine chemische Bindung? Warum halten geteilte Elektronen zwei Atome zusammen? Bis heute diskutieren Fachleute diese Frage und suchen nach immer exotischeren Bindungstypen, um die Wechselwirkungen zwischen Elektronen und Atomen aufzuklären. Nun hat ein Team um Takuya Shimajiri eine exotische Bindung erzeugt, an der sich Experten seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen: ein einzelnes Elektron, das zwei Kohlenstoffatome zusammenhält. Wie die Arbeitsgruppe nun in der Fachzeitschrift »Nature« berichtet, entsteht die Bindung zwischen zwei Kohlenstoffmolekülen, die jeweils sehr raumgreifende weitere Molekülteile tragen. Das dehnte die normale Zwei-Elektronen-Bindung zwischen ihnen so stark, dass die Fachleute ihr ein einzelnes Elektron entziehen konnten. Dadurch verblieb ein einziges bindendes Elektron.

Klassische chemische Bindungen zwischen zwei Atomen, so genannte kovalente Bindungen, bestehen aus Elektronenpaaren: eine Einfachbindung enthält zwei, eine Doppelbindung vier Elektronen. Atome mit komplexeren Elektronenschalen, zum Beispiel Übergangsmetalle, aber auch Bor, bilden exotischere Bindungstypen aus, darunter drei Atome, die sich zwei Elektronen teilen. Bei solchen Elementen kennt man auch Bindungen mit einem einzelnen Elektron – doch die besonderen elektronischen Verhältnisse, die das möglich machen, erschweren auch die Interpretation. Moleküle aus Kohlenstoff und Wasserstoff dagegen besitzen weder überzählige, frei herumwedelnde Elektronenpaare noch leere Bindungsplätze, die sich in die Bindungsverhältnisse an anderen Stellen einmischen und alles komplizierter machen. Deswegen ist es beinahe unmöglich, solche organischen Stoffe von ihren gewohnten Elektronenpaaren abzubringen. Um so interessanter wären Ein-Elektronen-Bindungen in diesen Molekülen.

Dazu allerdings muss man den recht stabilen Zwei-Elektronen-Bindungen genau ein Elektron entziehen. Reaktionspartner, die stark genug sind, das zu erreichen, entziehen jedoch auch das zweite Elektron gleich mit und zerschlagen das gesamte Molekül. Um das zu verhindern, konstruierte das Team um Shimajiri ein Molekül, in dem die Elektronen des bindenden Elektronenpaares energiereicher sind als das Radikal der Ein-Elektronen-Bindung. Normalerweise ist es genau umgekehrt, wie der Begriff Radikal ja auch schon andeutet. Energiereicher wird das Elektronenpaar, wenn man die Bindung stark dehnt. Das erreichte das Team, indem es beide Kohlenstoffatome mit sehr großen weiteren Molekülteilen ausstattete, die sich ins Gehege kommen und so die Atome voneinander wegdrücken. Mit Hilfe von Iod gelang es dem Team nun, dem Molekül genau ein Elektron zu entziehen. Messungen der Molekülschwingungen durch Raman-Spektroskopie zeigten anschließend, dass zwischen den Kohlenstoffatomen die gewünschte Ein-Elektronen-Bindung entstanden war.

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