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Ichthyologie: Es fischelt

Unendliche Weiten, zerrende Strömungen, bodenlose Tiefen - und mittendrin treibt der Nachwuchs bunter Fische fernab der Heimat. Finden sie wieder zurück in den schützenden Hort vertrauter Korallen und wenn ja, wie? "Immer der Nase nach", muss wohl eine Antwort lauten.
Wo bitte geht's zum Riff?
Der Anemonenfisch – mittlerweile berühmt-berüchtigt durch den Kassenschlager "Findet Nemo" – hat ein sehr beengtes Zuhause: Er lebt in und um einzelne Seeanemonen, die er kaum freiwillig verlässt. Manche Korallengrundel der Gattung Gobidion lebt in Revieren, die nur vierzig Kubikzentimeter groß sind. Und selbst größere Arten wie der Imperator-Kaiserfisch (Pomacanthus imperator), der es immerhin auf rund vierzig Zentimeter Körperlänge bringt, begnügt sich zumeist mit einer nur tausend Quadratmeter umfassenden Heimstatt, die ihm Auskommen und Fortpflanzung zu sichern scheint.

Vieraugen-Falterfisch | Viele Korallenfische – hier der Vieraugen-Falterfisch (Chaetodon capistratus) verbringen ihre Kindheit außerhalb des Riffs im Plankton, da dort weniger Feinde lauern.
Einmal im Leben gehen viele Korallenfische allerdings auf große Reise – und das schon in jungen Jahren. Denn spätestens sobald sie als Larven aus den Eiern geschlüpft sind, lassen sie sich mit den Strömungen fort vom Korallenriff verdriften, das für Jungtiere einem regelrechten Haifischbecken gleicht. Relativ fern des Zeugungsorts verbringen sie ihre Kindheit im Plankton des offenen Meeres, bevor sie sich wieder häuslich niederlassen. Aber wo eigentlich: Zieht es sie wieder zurück zum Elternhaus? Oder nehmen die Nachwuchsfische das erstbeste Korallenriff in Beschlag, an dem sie vorbeikommen? Rätsel, die vielleicht nicht nur Verhaltensforscher interessieren, sondern auch Naturschützer. Beispielsweise könnte dies die Wiederbesiedelung zerstörter Habitate in die eine oder andere Richtung beeinflussen.

Ungesteuerte Aus- und Verbreitung der Tiere sollte allerdings dafür sorgen, dass sich benachbarte Populationen genetisch mannigfaltig mischen und entsprechend das Erbgut nicht extrem voneinander abweicht. Doch dem ist zumindest bei manchen Arten nicht so, wie Meeresbiologen um Gabriele Gerlach vom Marine Resources Center in Woods Hole anhand von Genanalysen einiger Bewohner des australischen Great Barrier Reef herausbekommen haben. Döderleins Kardinalbarsch (Apogon doederleini) etwa verbringt als Larve rund einen Monat außerhalb des Riffs im offenen Wasser und ist zu dieser Zeit ein schlechter Schwimmer. Eigentlich sollte er sich also am besten dort ansiedeln, wohin ihn Wind und Wellen treiben – und folglich die einzelnen Bestände gut durchmischen, sofern die Strömungen mitspielen.

Kardinalbarsch-Nachwuchs | Nachwuchs von Döderleins Kardinalbarsch: Um heimzukehren ins Riff, nutzen die Jungtiere ihre Nase.
Innerhalb der verglichenen fünf Korallenriffe in der so genannten Capricorn/Bunker-Gruppe dominieren zumeist von Südost nach Nordwest gerichtete Ströme, sodass zumindest die nördlichen Kardinalbarsche rege durch passiv von Süden eingeschwemmte Jungtiere bereichert werden könnten: Deren Lebensräume könnten also laut eines hydrodynamischen Modells der Forscher zeitlich noch innerhalb des Planktonstadiums der Fische erreicht werden, während ein umgekehrter Austausch auf diesem Wege wohl fast völlig ausscheidet. Doch beschränken sich die genetischen Differenzen zwischen den einzelnen Populationen nicht nur auf die von Gerlach und ihren Kollegen erwarteten Abweichungen zwischen einer nördlichen und einer südlichen Gruppe.

Tatsächlich herrscht unter ihnen eine strikte Trennung vor: Selbst wenn nur drei Kilometer zwischen ihren einzelnen Vorkommen lagen, unterscheiden sich die Barsche in ihrer genetischen Zusammensetzung so eindeutig, dass sie sich so gut wie nie untereinander fortpflanzen. Als Larven fortgespülte Apogon doederleini kehren folglich trotz ihrer gehemmten Bewegungsfähigkeiten immer wieder in den Schoß ihres Mutterriffes zurück und ähneln damit in ihren genetischen Distanzen dem Schwalbenschwanz-Riffbarsch (Acanthochromis polyacanthus), der selbst als Larve standhaft vor Ort bleibt und sich damit ebenso wenig mit ferneren Artgenossen vermengt.

Wie aber finden die pubertierenden Kardinalbarsche wieder heim, wo sie doch keinerlei Erinnerung an "ihre" Korallenbänke haben dürften? Frühere Untersuchungen und Experimente deuteten an, dass die Geräuschkulisse der Riffe der Orientierung dienen könnte: Je lauter Papageienfische die Korallenstöcke zermahlen, Krebse mit ihren Scheren klappern oder Seesterne über den Grund schleifen, desto eher und in größerer Zahl finden sich hier die über das Meer verstreuten Jungfische wieder ein. Lärm jedoch kann den Tieren nur die Grobrichtung vorgeben, die Feinabstimmung beim Navigieren muss jedoch ein anderer Botschafter übernehmen, den Menschen wahrscheinlich eher unangenehm mit Fischen in Erinnerung bringen: Duftstoffe.

Ortswahl von Fischen im Vergleich | Ortswahl von Fischen im Vergleich: Schwalbenschwanz-Riffbarsch (Acanthochromis polyacanthus, oben) sind hochgradig ortstreu und bleiben selbst als Larven am Riff. Ihre einzelnen Populationen unterscheiden sich deshalb deutlich. Döderleins Kardinalbarsche (Apogon doederleini) treiben dagegen als Larven hinaus ins Meer, sie kehren jedoch später zu ihrem Riff zurück – auch ihre Gruppen weisen unterschiedliche Genzusammensetzungen auf. Der Neon-Demoiselle (Pomacentrus coelestis) hingegen lässt sich jung verdriften, siedelt sich aber dennoch dort an, wohin es ihn zufällig verschlägt. Seine Bestände sind folglich am besten durchmischt.
Experimente in eigens konstruierten zweikanäligen Messröhren und anschließende Genanalysen zeigten, dass die Rückwanderer eindeutig das Wasser – oder darin gelöste olfaktorische Signale – ihres Geburtsortes bevorzugten, während sie jenes fremder Orte mieden. Die Döderleins Kardinalbarsche und verwandte Arten ähneln damit Lachsen, die auf diese Weise ebenfalls ihren ursprünglichen Heimatfluss vom Meer aus wiederfinden. Hier wie dort könnte dies auf lange Sicht die Artenvielfalt steigern, da Fortpflanzungsbarrieren oft den ersten Schritt zur Aufspaltung in einzelne Spezies auslösen.

Den Duft der Heimat nehmen die Tropenfische nach Meinung der Forscher wahrscheinlich gleich zu Beginn ihrer Reise auf, während der sie immerhin einige Tage in der Nähe des heimatlichen Riffes herumdümpeln, bevor es sie weiter davon treibt. Unklar ist ihnen jedoch noch die Art und Zusammensetzung der Gerüche; sie tippen vor allem auf arteigene Pheromone, mit denen ähnliche Kardinalbarscharten bereits versuchsweise zu künstlichen Riffen geködert wurden. Um die Sprösslinge wirklich zielsicher nach Hause zu führen, vermengen sie sich wahrscheinlich noch mit anderen Essenzen aus der Riffgemeinschaft, die insgesamt eine spezifische Note im Wasser hinterlassen. Ein uns die Nasen rümpfen lassendes Element dürfte dabei allerdings fehlen: Tote Fische werden im artenreichen Riff zu schnell vertilgt.

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