Domestikation: Europäer verdrängten amerikanische Urhunde
In den 1960er und 1970er Jahren gruben Archäologen in Illinois zwei Lagerplätze aus, an denen indigene Menschen einst die Überreste ihrer Jagd und Fischerei hinterließen – und wo sie auch ihre Hunde begraben hatten. Insgesamt sammelten die Wissenschaftler die Überreste von fünf Tieren ein, die vor etwa 10 000 Jahren gestorben waren, wie Radiokarbondaten ergaben. Das macht sie zu den frühesten Hunden, die wir bislang aus Nordamerika kennen, wie eine Studie auf »bioRxiv« darstellt: Gleichzeitig ist dies die älteste bekannte Bestattung von Hunden weltweit. Einer der Hunde war etwa so groß wie ein Schäferhund, die anderen waren allerdings kleiner und schlanker – und alle wurden wohl zur Jagd eingestezt, wie Angela Perri von der Durham University und ihr Team im Artikel vermuten.
Wann die ersten Hunde überhaupt den Kontinent erreichten, war Gegenstand einer zweiten Studie von Máire Ní Leathlobhair von der University of Cambridge und ihrem Team, die in »Science« veröffentlicht wurde. Diese Gruppe hat die Mitochondrien-DNA von 71 Hundeknochen aus Sibirien und Nordamerika analysiert und die Daten mit jenen von 145 heutigen und historischen Hunderassen aus verschiedenen Regionen verglichen. Diese DNA wird nur über die Mutter weitergegeben, weist eine relativ konstante Mutationsrate auf und kann als molekulare Uhr betrachtet werden. Sie zeigt jedenfalls, dass die nordamerikanische Urhunde einer sehr eigenständigen Linie angehörten, die heute vollständig verschwunden ist und keine Spur mehr in noch existierenden Hunderassen hinterlassen hat. Am nächsten verwandt sind sie mit Artgenossen, die vor 9000 Jahren auf der russischen Schochow-Insel existierten, 600 Kilometer nördlich der sibirischen Festlandsküste.
Beide Linien – aus Nordamerika und von Schochow – gehen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, der vor 16 000 Jahren gelebt hatte – zu einer Zeit, als prinzipiell Hunde spätestens domestiziert wurden. Angesichts fehlender früherer Nachweise gehen Leathlobhair und Co davon aus, dass die Tiere erst tausende Jahre nach den ersten Menschen die Bering-Landbrücke während der Eiszeiten überquert haben. Vor rund 16 000 Jahren gelangten die Einwanderer darüber nach Nordamerika, die Vierbeiner mussten ihnen bis vor spätestens 11 000 Jahren gefolgt sein. Damals verschwand der Landzugang, weil der Meeresspiegel nach Ende der letzten Eiszeit anstieg.
Ob Hunde tatsächlich erst nach den Menschen auf den Kontinent gelangten, bezweifelt allerdings Melinda Zeder vom Smithsonian Institution National Museum of Natural History in Washington gegenüber »Science«. Es gebe noch verschiedene Knochen aus Sibirien und dem Yukon-Gebiet, die bislang nicht bestimmt seien, aber zu Hunden gehören könnten. Das würde das Ankunftsdatum womöglich um tausende Jahre nach vorne verlegen, so Zeder.
Warum die uramerikanischen Hundelinien ausgestorben sind und sich nicht im Erbgut der eingeführten Rassen verewigt haben, ist unklar. Womöglich erlitten sie das gleiche Schicksal wie ihre indigenen Besitzer und starben massenhaft durch eingeschleppte Krankheiten, auf die ihr Immunsystem nicht vorbereitet war. Viele Europäer fürchteten wohl auch die wolfsartigen Kreaturen, wie ein Zitat des Naturforschers John James Audobon zeigt, das ebenfalls in »Science« erwähnt wird: »Sollte ich einem dieser Tiere im Wald begegnen, würde ich es ziemlich sicher töten.« Diese Hunde waren laut den Beschreibungen der Kolonialisten und Naturforscher recht groß und stark, und sie kläfften nicht, sondern heulten. Diese Beschreibungen stammen aus dem 19. Jahrhundert; wenig später waren die Tiere ausgestorben.
Die ältesten noch lebenden, näheren Verwandten dieser Linie sind die heutigen Huskys und Alaskan Malamutes, die ebenfalls zu den Schlittenhunden gehören. Alle diese Gefährten leiden jedoch von Anbeginn bis heute unter einem sexuell übertragenen Hundekrebs. Er trägt seit mindestens 8000 Jahren die annähernd gleiche genetische Signatur und befiel wohl schon die Vorfahren aller heute noch lebenden und ausgestorbenen Hundelinien. Das zeigte zumindest der DNA-Vergleich zweier Tumore mit dem Erbgut der Tiere aus verschiedenen Jahrtausenden.
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