Europäische Gewässer: Kaum noch Fortschritte bei der Wasserqualität
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwandelten sich die Gewässer Europas zusehends in offene Kloaken und industrielle Abwasserkanäle. Der Schock in der Bevölkerung über diese offensichtliche Verschmutzung führte zur Einführung unterschiedlichster Gegenmaßnahmen, mit denen die Wasserqualität in Europa wiederhergestellt werden sollte. Welchen Erfolg diese Umweltschutzbemühungen hatten und noch haben, zeigt nun die aktuelle Studie eines Wissenschaftlerteams.
Demnach ist die Wirksamkeit dieser Maßnahmen inzwischen offenbar ausgereizt: Zwar habe sich die Gewässergüte seit den 1960er Jahren sukzessive verbessert, aber vor rund zehn Jahren ein Plateau erreicht, auf dem es kaum noch Fortschritt gebe, schreibt die Gruppe im Fachmagazin »Nature«. Und das, obwohl der Artenreichtum, wie er vor der großflächigen Verschmutzung herrschte, noch lange nicht wieder erreicht sei.
»Unsere Daten zeigen, dass sich Flüsse durchaus erholen können, wenn wir als Gesellschaft die richtigen Maßnahmen umsetzen«, erklärte die Mitautorin Sonja Jähnig vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). »Allerdings haben wir seit 2010 beim Zustand der Artenvielfalt kaum noch Fortschritte erzielt, so dass es heute zusätzlicher Anstrengungen bedarf.«
Die Gruppe um Erstautor Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt analysierte 1816 Zeitreihen mit Daten zu Flüssen in 22 europäischen Ländern, aus denen die Populationsentwicklungen von 2648 Wirbellosen hervorgingen. Die frühesten Daten stammten aus dem Jahr 1968, die jüngsten aus dem Jahr 2020.
Die Zunahme der biologischen Vielfalt in den 1990er und 2000er Jahren sei wahrscheinlich auf »die Wirksamkeit von Wasserqualitätsverbesserungen und Renaturierungsprojekten« zurückzuführen, sagte Haase gegenüber der dpa. Zu den Meilensteine im Gewässerschutz gehört etwa die EU-Wasserrahmenrichtlinie.
Wie die Gruppe in ihrer Studie schreibt, träten nun jedoch zusehends neue – »umfassende und schwer wiegende« – Stressfaktoren auf, unter denen die Biodiversität in Flüssen und Bächen weiter leiden werde. Dazu zählt allen voran der Klimawandel. Schon jetzt verzeichneten jene Gewässer, die sich in den letzten Jahren besonders aufgeheizt haben, im Schnitt geringere Zuwächse in der Artenvielfalt. Laut Haase und Kollegen kämen außerdem neue Schadstoffe und invasive Arten als Belastungen hinzu.
Alte Probleme wie der erhöhte Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft bestehen dabei weiter und müssten etwa durch konsequenten Ausbau von Kläranlagen angegangen werden. Dünger und Pestizide aus der Landwirtschaft sowie so genannte »micropollutants«, die trotz geringer Konzentration in der Umwelt Schaden anrichten, würden oberirdisch in Flüsse und Bäche geschwemmt. Eine verbesserte Kanalinfrastruktur könne hier Abhilfe schaffen. In den vergangenen Jahren machte insbesondere England durch sein desaströses Abwassernetz Schlagzeilen. Immer wieder werden dort Abwässer ungefiltert freigesetzt, weil Kanäle mit den anfallenden Wassermengen überfordert sind.
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