Vulkanismus: Europas Zeitbombe
Der Vesuv in Italien gehört zu den gefährlichsten Vulkanen der Erde. Doch Wissenschaftler und Behörden sind uneins, wie man sich auf eine Eruption vorbereiten sollte.
Es beginnt mit einer gewaltigen Explosion, die eine Säule aus Asche und Gestein bis zu 40 Kilometer hoch in die Stratosphäre jagt. Dann stürzen die Trümmer wieder auf die Erde, glühend heißer Bimsstein prasselt auf den Boden, und dicke Decken aus Asche bedecken zunehmend die Umgebung. Dächer stürzen ein, und Autos kommen knirschend zum Stehen. Doch das Schlimmste folgt erst noch: Bald rasen Lawinen aus geschmolzener Asche, Bims und Gasen die Hänge des Vulkans herab; sie pulverisieren Häuser und begraben alles, was auf ihrem Weg liegt. Innerhalb kürzester Zeit wird aus einer lebendigen Großstadt eine vulkanische Wüstenlandschaft: Neapel im Todeskampf nach einer katastrophalen Explosion des Vesuv – des Vulkans, der 79 n. Chr. Pompeji zerstörte.
Dieses Szenario mag weit hergeholt klingen, doch nach dem jüngsten Erdbeben in Japan und den nachfolgenden Tsunamis werden in vielen Regionen die Risiken durch Naturgewalten neu eingeschätzt und beurteilt. Und Neapel muss als besonders gefährdet gelten, denn hier leben drei Millionen Menschen im unmittelbaren Schatten des Vesuvs.
Kakophonie der Meinungen
Sicher ist: Der schlummernde Riese schläft nicht ewig. Seismische Messungen wiesen unter dem Berg eine ungewöhnliche Schicht in acht bis zehn Kilometer Tiefe nach. Mastrolorenzo und seine Kollegin Lucia Pappalardo interpretieren diese Lage als aktives Magmareservoir, das große plinianische Ausbrüche verursachen könnte – benannt nach Plinius dem Jüngeren, der diese explosiven Eruptionen bei der Katastrophe von 79 n. Chr. beschrieben hat.
Die ersten Zeichen, dass der Vesuv sich wieder rührt, könnten Wochen oder sogar Jahre vor der eigentlichen Eruption auftreten. Doch sie liefern kaum einen Anhaltspunkt, wann diese exakt stattfinden wird. Pappalardo und Mastrolorenzo hatten Gesteinsbruchstücke vergangener Ausbrüche geochemisch analysiert: Sie belegen, dass die Magma schnell innerhalb von nur wenigen Stunden aus ihrer tief gelegenen Kammer bis zum Krater aufgestiegen ist.
Lange Jahre galt die Explosion des Vesuvs aus dem Jahr 79 n. Chr. als die stärkste, die man kannte. 2006 veröffentlichten Mastrolorenzo und Michael Sheridan von der University of Buffalo in New York, dass es vor rund 3800 Jahren in der Bronzezeit einen noch viel gewaltigeren Ausbruch gegeben haben könnte – zumindest deuteten dies geologische Spuren an. Glühende pyroklastische Ströme – Lawinen aus heißer Asche und Gestein – schossen damals mehr als 20 Kilometer weit ins Umland des Vulkans und bedeckten ein Gebiet, auf dem heute die Stadt Neapel steht. "Die Ablagerungen im Zentrum Neapels reichen vier Meter tief", beschreibt Sheridan. "Dabei reichen schon wenige Zentimeter aus, um alles Leben zu ersticken."
Angesichts dieser Erkenntnisse drängen die Fachleute des Vesuv-Observatoriums darauf, dass die neapolitanischen Behörden ihre Notfallpläne auf das schlimmstmögliche Katastrophenszenario abstimmen sollten: den bronzezeitlichen Ausbruch. "Die Krise könnte heute beginnen", so Mastrolorenzo. "Doch niemand wäre in der Lage vorauszusehen, wie lange sie dauern würde, welche Art von Eruption stattfände und wie sich das Ereignis entwickeln könnte." Die Forscher empfehlen, dass ein 20 Kilometer breiter Streifen rund um den Vesuv komplett evakuiert werden sollte, wenn Erdbeben und andere geotektonische Zeichen signalisieren, dass der Berg wieder erwacht.
Scaillet stimmt zu, dass die seismisch ungewöhnliche Schicht in zehn Kilometer Tiefe Magma sein könnte, doch wäre es auch nicht ausgeschlossen, dass es sich um Wasser, Lake oder eine andere Flüssigkeit handelt. "All dies ist noch nicht geklärt", so der Geologe.
Notfallplanung
Angesichts der Ungewissheiten, wie stark zukünftige Ausbrüche ausfallen, und einer Öffentlichkeit, die sich mehr über ihre Alltagsprobleme wie Staus oder Kriminalität sorgt, stehen die Wissenschaftler und Behörden vor einer gewaltigen Aufgabe, wenn sie die Gefahren durch den Vesuv entschärfen wollen. Ein dichtes Netz an Sensoren und anderen Geräten überwacht konstant den Puls des Vulkans, ob die Erde bebt, der Boden sich hebt und welche vulkanischen Gase austreten.
Und Italiens Ministerium für Zivilschutz pflegt einen Nationalen Notfallplan für den Vesuv, der 1995 erstmals aufgelegt wurde. Er basiert auf dem Szenario einer mittelschweren Eruption, wie sie etwa 1632 stattgefunden hat. Sie hatte 6000 Menschenleben gefordert, beeinträchtigte jedoch ein wesentlich kleineres Gebiet als frühere plinianische Eruptionen. Der Plan teilt die Umgebung des Vulkans je nach Art der Katastrophe in drei Zonen ein: In der roten Zone, die am nächsten zum Vesuv liegt, drohen pyroklastische Ströme am stärksten. Deshalb fordern die Einsatzregeln, dass alle 600 000 Bewohner dieser Gegenden evakuiert werden, bevor ein Ausbruch beginnt.
In der gelben Zone lauert die Gefahr vor allem im Ascheregen und durch Gesteinsbomben. Hier sollen die Behörden bis zum Beginn der Eruption warten und je nach Windrichtung entscheiden, welche Gebiete geräumt werden sollen. Die blaue Zone schließlich könnte von Überschwemmungen und Schlammströmen heimgesucht werden, die der Ausbruch auslöst. Die Rettungsmaßnahmen sehen hier ähnlich aus wie in der gelben Zone. Die Stadt Neapel wurde in diesen Überlegungen komplett ausgespart, da die vorherrschenden Winde die Asche normalerweise nach Osten – und damit weg von der Metropole – blasen.
2003 kündigte das Ministerium an, dass es die Notfallleitlinien regelmäßig aktualisieren werde, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzuarbeiten. Deshalb wurde die rote Zone ausgeweitet, so dass sie nun die östlichen Bezirke von Neapel einschließt. Und die Behörden verringerten die Zeit, in der eine Evakuierung abgeschlossen sein muss, von zwei Wochen auf 72 Stunden, da wahrscheinlich weniger Vorwarnzeit bleibt.
Aus Präventionssicht mache dies Sinn, meint der Vulkanologe Jonathan Fink von der Portland State University in Oregon. Sobald sich der Vulkan rührt, könnten Behörden und Wissenschaftler immer noch umdisponieren. "Überschätzt man einen Ausbruch, ist der Fehler verzeihlicher als im umgekehrten Fall", so Fink weiter.
Das DPC verficht hingegen, das Eruptionsrisiko anhand des "gegenwärtigen tektonischen Zustands des Vulkans bewertet wird – und nicht einfach der größte Ausbruch der jemals in seiner Geschichte als Maßstab gilt". Dem stimmt auch Warner Marzocchi vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanonologie(INGV) in Rom zu: "Man kann nicht alles auf den schlimmstmöglichen Fall setzen. Man muss den Risiken rational begegnen." Eine komplette Evakuierung von Neapels drei Millionen Einwohnern sei "unmöglich zu leisten".
Marzocchi und seine Kollegen entwickeln Computermodelle – basierend auf den Eintrittswahrscheinlichkeiten der verschiedenen Szenarien –, die den Behörden im Krisenfall helfen sollen zu entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Peter Baxter, Fachmann für Notfallplanungen an der University of Cambridge, wandte eine derartige Methode bereits während des Ausbruchs des Vulkans Montserrat in der Karibik an, um vorherzusagen, welche Gebiete betroffen sein würden. Eine vollständige Räumung der Insel ließ sich so vermeiden.
Im Fall des Vesuvs nutzten Baxter und sein Team geologische Daten und Modelle von Eruptionsprozessen, um einen "Ereignisbaum" zu entwickeln, der die gesamte Bandbreite möglicher Ausbruchsszenarien wiedergibt. Falls Messgeräte auf dem Vulkan Anzeichen von magmatischer Unruhe aufzeichnen, spuckt die Analyse eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine explosive, aber nur eine 4-prozentige für eine katastrophale plinianische Eruption aus. Am ehesten bricht der Vesuv dann zwar gewaltsam, aber auch in relativ kleinem Umfang aus – ähnlich wie 1944, mit Lavaströmen und gemäßigtem Ascheniederschlag.
Im Moment scheint dieser probabilistische Ansatz der vielversprechendste Weg für Vulkanologen und Katastrophenplaner zu sein, da es noch kein Erfolgsrezept für die exakte Vorhersage von Vulkanausbrüchen gibt. "Es ist ein extrem komplexes Rätsel, das wir lösen müssen", meint Augusto Neri vom INGV in Pisa. "Wir wissen einfach überhaupt nicht, wie der Vulkan funktioniert."
Dieses Szenario mag weit hergeholt klingen, doch nach dem jüngsten Erdbeben in Japan und den nachfolgenden Tsunamis werden in vielen Regionen die Risiken durch Naturgewalten neu eingeschätzt und beurteilt. Und Neapel muss als besonders gefährdet gelten, denn hier leben drei Millionen Menschen im unmittelbaren Schatten des Vesuvs.
Seit einer kleineren Eruption 1944 ist der Vulkan beunruhigend ruhig. Neuere Studien schätzen jedoch, dass der Vesuv noch gefährlicher sein könnte, als man bislang annimmt. Diese Erkenntnisse lösten eine scharfe Debatte darüber aus, wie riskant der Feuerberg tatsächlich ist und welches Ausmaß ein katastrophaler Ausbruch annehmen könnte. Die örtlichen Behörden stehen vor der gewaltigen Aufgabe, wie sie die zahlreichen Bewohner des Großraums schützen können, sollte der Vulkan erneut zum Leben erwachen. "Es gibt keinen zeitgeschichtlichen Präzedenzfall für die nötigen umfangreichen Evakuierungsmaßnahmen", sagt Guiseppe Mastrolorenzo vom Vulkanobservatorium des Vesuvs in Neapel.
Kakophonie der Meinungen
Sicher ist: Der schlummernde Riese schläft nicht ewig. Seismische Messungen wiesen unter dem Berg eine ungewöhnliche Schicht in acht bis zehn Kilometer Tiefe nach. Mastrolorenzo und seine Kollegin Lucia Pappalardo interpretieren diese Lage als aktives Magmareservoir, das große plinianische Ausbrüche verursachen könnte – benannt nach Plinius dem Jüngeren, der diese explosiven Eruptionen bei der Katastrophe von 79 n. Chr. beschrieben hat.
Die ersten Zeichen, dass der Vesuv sich wieder rührt, könnten Wochen oder sogar Jahre vor der eigentlichen Eruption auftreten. Doch sie liefern kaum einen Anhaltspunkt, wann diese exakt stattfinden wird. Pappalardo und Mastrolorenzo hatten Gesteinsbruchstücke vergangener Ausbrüche geochemisch analysiert: Sie belegen, dass die Magma schnell innerhalb von nur wenigen Stunden aus ihrer tief gelegenen Kammer bis zum Krater aufgestiegen ist.
Lange Jahre galt die Explosion des Vesuvs aus dem Jahr 79 n. Chr. als die stärkste, die man kannte. 2006 veröffentlichten Mastrolorenzo und Michael Sheridan von der University of Buffalo in New York, dass es vor rund 3800 Jahren in der Bronzezeit einen noch viel gewaltigeren Ausbruch gegeben haben könnte – zumindest deuteten dies geologische Spuren an. Glühende pyroklastische Ströme – Lawinen aus heißer Asche und Gestein – schossen damals mehr als 20 Kilometer weit ins Umland des Vulkans und bedeckten ein Gebiet, auf dem heute die Stadt Neapel steht. "Die Ablagerungen im Zentrum Neapels reichen vier Meter tief", beschreibt Sheridan. "Dabei reichen schon wenige Zentimeter aus, um alles Leben zu ersticken."
Angesichts dieser Erkenntnisse drängen die Fachleute des Vesuv-Observatoriums darauf, dass die neapolitanischen Behörden ihre Notfallpläne auf das schlimmstmögliche Katastrophenszenario abstimmen sollten: den bronzezeitlichen Ausbruch. "Die Krise könnte heute beginnen", so Mastrolorenzo. "Doch niemand wäre in der Lage vorauszusehen, wie lange sie dauern würde, welche Art von Eruption stattfände und wie sich das Ereignis entwickeln könnte." Die Forscher empfehlen, dass ein 20 Kilometer breiter Streifen rund um den Vesuv komplett evakuiert werden sollte, wenn Erdbeben und andere geotektonische Zeichen signalisieren, dass der Berg wieder erwacht.
Doch nicht alle Wissenschaftler teilen diese düsteren Voraussagen. Einige Forschergruppen meinen sogar, dass der Vesuv einen weniger explosiven Charakter entwickelt. Bruno Scaillet und seine Kollegen von der Université d'Orléans in Frankreich argumentieren, dass sich der eruptive Typ des Vulkans gewandelt hat, weil seine Magmakammer nach oben gewandert ist. Die relativ kleine Explosion 1944 begann relativ flach in nur drei Kilometer Tiefe – und es gibt Hinweise darauf, dass die Gesteinsschmelze dort weniger viskos ist und entsprechend kleinere Explosionen auslöst, weil sie den Schlot nicht so leicht verstopft. Sollte sich dies bestätigen, könnten auch die nächsten Ausbrüche jenen aus der jüngeren Vergangenheit ähneln.
Scaillet stimmt zu, dass die seismisch ungewöhnliche Schicht in zehn Kilometer Tiefe Magma sein könnte, doch wäre es auch nicht ausgeschlossen, dass es sich um Wasser, Lake oder eine andere Flüssigkeit handelt. "All dies ist noch nicht geklärt", so der Geologe.
Notfallplanung
Angesichts der Ungewissheiten, wie stark zukünftige Ausbrüche ausfallen, und einer Öffentlichkeit, die sich mehr über ihre Alltagsprobleme wie Staus oder Kriminalität sorgt, stehen die Wissenschaftler und Behörden vor einer gewaltigen Aufgabe, wenn sie die Gefahren durch den Vesuv entschärfen wollen. Ein dichtes Netz an Sensoren und anderen Geräten überwacht konstant den Puls des Vulkans, ob die Erde bebt, der Boden sich hebt und welche vulkanischen Gase austreten.
Und Italiens Ministerium für Zivilschutz pflegt einen Nationalen Notfallplan für den Vesuv, der 1995 erstmals aufgelegt wurde. Er basiert auf dem Szenario einer mittelschweren Eruption, wie sie etwa 1632 stattgefunden hat. Sie hatte 6000 Menschenleben gefordert, beeinträchtigte jedoch ein wesentlich kleineres Gebiet als frühere plinianische Eruptionen. Der Plan teilt die Umgebung des Vulkans je nach Art der Katastrophe in drei Zonen ein: In der roten Zone, die am nächsten zum Vesuv liegt, drohen pyroklastische Ströme am stärksten. Deshalb fordern die Einsatzregeln, dass alle 600 000 Bewohner dieser Gegenden evakuiert werden, bevor ein Ausbruch beginnt.
In der gelben Zone lauert die Gefahr vor allem im Ascheregen und durch Gesteinsbomben. Hier sollen die Behörden bis zum Beginn der Eruption warten und je nach Windrichtung entscheiden, welche Gebiete geräumt werden sollen. Die blaue Zone schließlich könnte von Überschwemmungen und Schlammströmen heimgesucht werden, die der Ausbruch auslöst. Die Rettungsmaßnahmen sehen hier ähnlich aus wie in der gelben Zone. Die Stadt Neapel wurde in diesen Überlegungen komplett ausgespart, da die vorherrschenden Winde die Asche normalerweise nach Osten – und damit weg von der Metropole – blasen.
2003 kündigte das Ministerium an, dass es die Notfallleitlinien regelmäßig aktualisieren werde, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzuarbeiten. Deshalb wurde die rote Zone ausgeweitet, so dass sie nun die östlichen Bezirke von Neapel einschließt. Und die Behörden verringerten die Zeit, in der eine Evakuierung abgeschlossen sein muss, von zwei Wochen auf 72 Stunden, da wahrscheinlich weniger Vorwarnzeit bleibt.
Trotzdem mahnen einige Geologen, dass der Plan wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Letztes Jahr bemerkten Pappalardo und Mastrolorenzo sowie Guiseppe Rolandi von der Universität Neapel, dass selbst bei einer nur mittleren Eruption einige Gemeinden durch pyroklastische Ströme gefährdet wären, die momentan nicht in der roten Zone erfasst sind. Mastrolorenzo betont zudem, dass die Behörden nicht zu lange mit der Räumung der gelben Zone warten sollten, denn die feine Asche füllt rasch die Luft und hüllt die Gegend in absolute Dunkelheit. "Man muss die Menschen da herausholen, bevor alles beginnt", so der Forscher. Und bisweilen wehe der Wind Richtung Neapel, so dass es auch dort heftig Asche regnet. Alles in allem bestehen sie darauf, dass sich die Notfallmaßnahmen am schlimmsten Szenario ausrichten – und sie die neapolitanische Metropole mit ihren drei Millionen Bewohnern umfassen.
Aus Präventionssicht mache dies Sinn, meint der Vulkanologe Jonathan Fink von der Portland State University in Oregon. Sobald sich der Vulkan rührt, könnten Behörden und Wissenschaftler immer noch umdisponieren. "Überschätzt man einen Ausbruch, ist der Fehler verzeihlicher als im umgekehrten Fall", so Fink weiter.
Das DPC verficht hingegen, das Eruptionsrisiko anhand des "gegenwärtigen tektonischen Zustands des Vulkans bewertet wird – und nicht einfach der größte Ausbruch der jemals in seiner Geschichte als Maßstab gilt". Dem stimmt auch Warner Marzocchi vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanonologie(INGV) in Rom zu: "Man kann nicht alles auf den schlimmstmöglichen Fall setzen. Man muss den Risiken rational begegnen." Eine komplette Evakuierung von Neapels drei Millionen Einwohnern sei "unmöglich zu leisten".
Marzocchi und seine Kollegen entwickeln Computermodelle – basierend auf den Eintrittswahrscheinlichkeiten der verschiedenen Szenarien –, die den Behörden im Krisenfall helfen sollen zu entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Peter Baxter, Fachmann für Notfallplanungen an der University of Cambridge, wandte eine derartige Methode bereits während des Ausbruchs des Vulkans Montserrat in der Karibik an, um vorherzusagen, welche Gebiete betroffen sein würden. Eine vollständige Räumung der Insel ließ sich so vermeiden.
Im Fall des Vesuvs nutzten Baxter und sein Team geologische Daten und Modelle von Eruptionsprozessen, um einen "Ereignisbaum" zu entwickeln, der die gesamte Bandbreite möglicher Ausbruchsszenarien wiedergibt. Falls Messgeräte auf dem Vulkan Anzeichen von magmatischer Unruhe aufzeichnen, spuckt die Analyse eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine explosive, aber nur eine 4-prozentige für eine katastrophale plinianische Eruption aus. Am ehesten bricht der Vesuv dann zwar gewaltsam, aber auch in relativ kleinem Umfang aus – ähnlich wie 1944, mit Lavaströmen und gemäßigtem Ascheniederschlag.
Im Moment scheint dieser probabilistische Ansatz der vielversprechendste Weg für Vulkanologen und Katastrophenplaner zu sein, da es noch kein Erfolgsrezept für die exakte Vorhersage von Vulkanausbrüchen gibt. "Es ist ein extrem komplexes Rätsel, das wir lösen müssen", meint Augusto Neri vom INGV in Pisa. "Wir wissen einfach überhaupt nicht, wie der Vulkan funktioniert."
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