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News: Evolution auf Abwegen

Die menschgemachte Evolution gilt als wenigstens genauso launisch wie ihr natürliches Vorbild. Kein Wunder also, dass sie manchmal ein Ergebnis liefert, das irgendwie so gar nicht den Erwartungen entspricht.
Oszillator vs. Radio
Im Laufe der Jahrmillionen hat sie das Leben Generation für Generation geformt und schließlich an ihren jeweiligen Lebensraum perfekt angepasste Wesen hervorgebracht. Und da sich der Mensch besonders gern und häufig erfolgreicher Konzepte der Natur bedient, war es nur eine Frage der Zeit, bis findige Köpfe auf die Idee kamen, das Prinzip Evolution für ihre Zwecke zu nutzen.

So kommen heute evolutionäre oder genetische Algorithmen häufig dann zum Einsatz, wenn es gilt, komplexe und diffuse Optimierungsaufgaben zu bewältigen, wie die Planung einer Reiseroute zum Beispiel. Auch Paul Layzell und Jon Bird von der University of Sussex in Brighton ging es um eine Reiseroute – allerdings um eine für Elektronen. Die beiden Wissenschaftler wollten mithilfe eines evolutionären Algorithmus einen Oszillatorschaltkreis "ausbrüten" – also eine elektronische Schaltung, deren Ausgangssignal sich periodisch wiederholt.

Als Ausgangsmaterial für ihre Schöpfung setzten die Forscher dem Algorithmus zehn Transistoren vor, die bereits fest verlötet auf einer Platine steckten. Dabei waren die elektronischen Bauteile über programmierbare Schalter – gleichsam die "Gene" des Systems – miteinander verbunden und konnten so beliebig miteinander kombiniert werden. Je nachdem für welchen elektronischen Bauplan diese Schaltergene codierten, ergab sich ein ganz bestimmte Funktion. Zum Start des Experiments wurden die Transistoren zufällig miteinander verschaltet, wobei die Gesamtheit der Schaltergene sozusagen das "Chromosom" der Urschaltung bildeten.

Davon ausgehend veränderte nun ein Vererbungsmechanismus die Chromosomen: So traten zufällige Mutationen einzelner Gene auf, das heißt, einige Schalter wurden wahllos umgelegt. Und wie beim biologischen Vorbild durften sich die neu entstandenen Schaltungen mit alten "paaren", dabei Gene austauschen und so ein neues Chromosom erzeugen. Dabei bewertete eine so genannte "Fitnessfunktion" die Güte der jeweiligen Schaltung. Denn nur die Verdrahtung, die eine möglichst perfekte Oszillation am Ausgang lieferte, durfte überleben. Schaltungsmuster, die nichts taugten – sprich: keine ordentliche Schwingung lieferten –, wurden dagegen gnadenlos dem virtuellen Genpool entzogen.

Und so entwickelte sich dann Generation für Generation ein Schaltplan, der im Laufe der Zeit ein immer besseres Ausgangssignal lieferte. Einige tausend Durchläufe mussten Layzell und Bird auf das endgültige Ergebnis warten. Genetische Algorithmen liefern halt nicht die schnellste Lösung – aber schließlich hat sich auch Mutter Natur für ihre Evolution einige Zeit gelassen. Und eine weitere Eigenart lässt sich sowohl beim Vorbild als auch beim elektronischen Pendant beobachten: Der Algorithmus bringt manchmal recht unkonventionelle Lösungen hervor.

Genau das durften nun auch Layzell und Bird erfahren. Denn nachdem das Ausgangssignal eine wirklich hübsche Oszillation lieferte, warfen die beiden Forscher einen scharfen Blick auf den finalen Gensatz – und siehe da: Aus eigenem Antrieb konnte die Schaltung keine Oszillationen hervorbringen, denn es handelte sich überhaupt nicht um den Bauplan eines Oszillators, vielmehr lag die Verschaltung eines Radioempfängers vor!

Was war geschehen? Offenbar hatte sich die Schaltung irgendwann einmal die Funksignale eines nahen Computers eingefangen – ganz so wie beim Betätigen eines Lichtschalters manchmal ein knackendes Geräusch aus der Stereoanlage ertönt. Wie Layzell und Bird herausfanden, wirkte ein langes Stück Leiterbahn wie eine Antenne und empfing die elektromagnetischen Wellen des Rechners. Da diese Signale bereits schön regelmäßig waren, erschien es der künstlichen Evolution wohl günstiger, sich dieser Eingabe zu bedienen, als selbst eine entsprechende Schaltung zu entwickeln. Und so wurden im Laufe der Generationen nur noch Konzepte vererbt, die den Empfang verbesserten. Die eigentliche Aufgabe, das oszillierende Signal zu erzeugen, überließ der Algorithmus lieber dem fremden System – offensichtlich eine fruchtbare Symbiose.

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