Evolution: Gescheiterter Landgang
Die Entwicklung der Landwirbeltiere verlief wohl komplizierter als bisher angenommen. Manche Spezies gerieten dabei in eine evolutionäre Sackgasse, so dass sie den Landgang mittendrin aufgaben. Das berichtet ein Forschungsteam um Thomas Stewart von der University of Chicago. Die Gruppe stellt ihre Erkenntnisse in der Fachzeitschrift »Nature« vor.
Stewart und sein Team haben fossile Überreste des Fleischflossers Qikiqtania wakei untersucht – eines Fischs, der vor etwa 380 Millionen Jahren zur Zeit des Devons lebte. Er erreichte eine Länge von rund 75 Zentimetern, hatte kräftige paddelförmige Flossen und war geschuppt. Wie seine Fossilien erkennen lassen, besaß er einen flachen Schädel mit breitem Maul; seine Augen saßen oben auf dem Kopf. Im Jahr 2004 haben Forscher auf der Ellesmere-Insel in Nordkanada die versteinerten Überbleibsel eines Exemplars gefunden – Teile des Schädels und der Halsregion, diverse Schuppen und eine komplette Brustflosse. Die Analyse dieser Teile zeigt, dass Q. wakei ein eigenartiges Mischwesen darstellte: Er hatte sich ein Stück weit in Richtung Landtier entwickelt, blieb aber zugleich an das Leben im Wasser angepasst.
Ausflüge ins Trockene
Q. wakei war recht nahe verwandt mit dem Fleischflosser Tiktaalik roseae, der etwa zur selben Zeit existierte. Dieser wuchs auf mehr als zwei Meter Länge an und wurde somit beträchtlich größer. T. roseae gilt als eines der frühesten Wirbeltiere, die sich auf dem Trockenen bewegen konnten. Er hatte starke Brustflossen mit gut entwickelten Armknochen und beweglichen Handgelenken, auf die er sich wahrscheinlich stützte, um sich nah der Küstenlinie aus dem Wasser zu stemmen und ans Ufer zu robben. Zudem besaß er einen großen, robusten Beckengürtel, an dem bewegliche Oberschenkelknochen ansetzten. Forscherinnen und Forscher vermuten, dass er paddeln und laufen konnte – sowohl mit den vorderen als auch den hinteren Gliedmaßen. Überdies lebte er in einer Zeit, in der manche Fischarten kleine Knochen in ihren Flossen auszubilden begannen, aus denen später die Hände und Finger der Landwirbeltiere wurden. Anscheinend stand T. roseae am evolutionären Übergang zu landlebenden Wirbeltieren; seine Fossilien lassen Anzeichen dafür erkennen, dass er bereits kurze Ausflüge in trockene Gefilde unternahm.
Der kleinere Q. wakei hingegen hatte den Versuch offenbar abgebrochen, schreiben Stewart und sein Team. Zwar zeigte er ebenfalls einige Anpassungen, um über die Wasserlinie zu spähen und sich in Richtung Ufer zu bewegen, etwa den flachen Kopf mit oben liegenden Augen und die fleischigen Flossen. Sein gut erhaltener Oberarmknochen (»Humerus«) lässt aber keine Ansatzstellen für starke Muskeln erkennen, die zum Bewegen an Land nötig gewesen wären. Auch ist dieser Knochen gekrümmt und war somit zum Hochstemmen und Abstützen eher wenig eignet. Vermutlich habe Q. wakei seine Brustflossen vorrangig dafür genutzt, durchs Nass zu paddeln, schreiben die Wissenschaftler.
© Justin Lemberg und Thomas Stewart, University of Chicago
Überreste eines Fleischflossers
3-D-Rekonstruktion der gefundenen fossilen Überreste des Fleischflossers Qikiqtania wakei, der vor rund 380 Millionen Jahren lebte.
Q. wakei und T. roseae gehörten beide zu den so genannten Stammtetrapoden – jener Gruppe, aus der die Landwirbeltiere hervorgingen. Doch während sich T. roseae anschickte, das Ufer zu erklimmen, war Q. wakei augenscheinlich im feuchten Element geblieben, so dass seine Brustflossen keine Stützfunktion ausprägten.
Oft werde es so dargestellt, als hätten sich die Landwirbeltiere in einer geraden Linie entwickelt, die frühere mit späteren Formen verband, schreiben die Forscher. Das Beispiel Q. wakei zeige aber, dass manche Spezies dabei einen Pfad nahmen, auf dem sie gewissermaßen stecken blieben. »T. roseae gilt als Übergangsorganismus, weil sich an ihm leicht die schrittweisen Veränderungen erkennen lassen, die der Wechsel vom Wasser aufs Land mit sich brachte«, sagt Stewart. »Aber Evolution funktioniert nicht in jedem Fall so einfach.«
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