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Evolution: Inseln der Zwerge, Inseln der Giganten

Aus riesigen Waldelefanten wurden Inselzwerge, kaum dass sie nach Sizilien geschwommen waren. Andernorts wuchsen normal große Zuzügler zu wahren Giganten heran. Warum ist das so?
So zwergenhaft war der sizilianische Zwergelefant nicht

Was heißt schon »Zwerg-«, wenn es um Elefanten geht? Mit einer Schulterhöhe von rund zwei Metern hätten die ausgestorbenen sizilianischen Zwergelefanten auf die meisten Menschen locker herabsehen können. Und mit ihrem Gewicht von 1700 Kilogramm übertrafen sie sogar noch heutige Spitzmaulnashörner Afrikas. Trotzdem trägt Palaeoloxodon mnaidriensis sein Attribut zu Recht: hatten sich diese Elefanten doch innerhalb von wenigen zehntausend Jahren aus den Europäischen Waldelefanten entwickelt, die mit einer Schulterhöhe von 3,7 Metern und einem Gewicht von zehn Tonnen zu den größten Elefanten gehörten, die je über den Globus getrottet sind.

Der sizilianische Zwergelefant gilt als Ergebnis eines Phänomens, das Fachleute als Inselverzwergung bezeichnen: Immer wieder finden sich Arten, die auf Zwergenmaß schrumpften, kaum dass sie sich auf einer Insel niederließen, so offenbar auch Palaeoloxodon mnaidriensis auf der Mittelmeerinsel. Doch die Erklärung wirft nicht nur die Frage auf, ob der gigantische Waldelefant wirklich sein Urahn war, sondern genereller noch: Weshalb verzwergten die Elefanten, während andere Tiere – Vögel, Ratten und sogar Hundertfüßer – auf ihren Eilanden einen regelrechten Riesenwuchs zeigten? Und wie schnell läuft dieser Prozess ab?

Leider erhält sich altes Erbgut, das Antworten auf solche Fragen liefern könnte, nur schlecht in der warmen Heimat der Zwerge und Giganten. Einem Team um Sina Baleka, Johanna Paijmans und Michael Hofreiter von der Universität Potsdam ist es nun aber doch gelungen, Erbgut aus dem Felsenbein eines Zwergelefanten zu isolieren. Dieses Knöchelchen umgibt das Innenohr der Dickhäuter und wurde von den Fachleuten in der Puntali-Höhle auf Sizilien gefunden. Offensichtlich schützt es die darin enthaltene DNA besonders gut, denn das Team konnte Erbgut aus den Mitochondrien genannten Energiezentralen der Knochenzellen analysieren. In der Zeitschrift »Current Biology« schließt die Gruppe anhand dieser Erbgutsequenzen nun tatsächlich auf eine enge Verwandtschaft mit einem Europäischen Waldelefanten, Palaeoloxodon antiquus, der vor ungefähr 120 000 Jahren im Geiseltal lebte, das rund 15 Kilometer südwestlich von Halle (Saale) liegt. »Das muss aber keineswegs heißen, dass die Europäischen Waldelefanten aus der Mitte Deutschlands die Urahnen der sizilianischen Zwerge waren«, erklärt der Potsdamer Forscher Michael Hofreiter. Es hält sich das Erbgut in kühleren Gefilden bloß besser als im Mittelmeerraum, wo die Dickhäuter vor allem beheimatet waren.

Zwischen Sachsen-Anhalt und Sizilien

Sie lebten in den damals parkähnlichen Landschaften mit vielen offenen Wiesen und häufigen Baumgruppen. In Warmzeiten wanderten sie weit in den Norden und erreichten sogar die Gegend des heutigen Moskau. Nach Sizilien gelangten sie jedoch wohl erst, als in Kaltzeiten der Meeresspiegel viel tiefer lag als heute und sie nur noch ein kurzes Stück schwimmen mussten, wie Hofreiter erklärt. Diese wenig wasserscheuen Waldelefanten waren mit jenen aus dem heutigen Mitteldeutschland allerdings selbst nur noch weitläufig verwandt. Ihre jeweiligen Abstammungslinien trennten sich laut DNA-Untersuchung schon vor rund 400 000 Jahren auf. Der Sprung nach Sizilien, durch den sich die Vorgängerpopulation des Zwergelefanten abspaltete, erfolgte jedoch erst 200 000 oder sogar mehr als 300 000 Jahre später.

Solche Datierungen stellt das Team allerdings vor größere Probleme, weil die Gruppe nicht einmal das Alter des Elefanten aus der sizilianischen Puntali-Höhle genau kennt. Die Altersbestimmung mittels Radiokarbonverfahren ergab lediglich, dass der Elefant älter sein muss, als es mit dieser Methode datierbar ist – also mindestens 50 000 Jahre. In solchen Fällen kann eine Aminosäuredatierung weiterhelfen: Nach dem Tod des Organismus wandeln sich Aminosäuren sehr langsam in ihre Spiegelbildform um, so dass sich irgendwann ein Gleichgewicht zwischen der Ursprungsform und der gespiegelten einstellt. Weil aber präzise datierte Vergleichsstücke fehlen, mit denen sich diese molekulare Uhr eichen ließe, ist die Datierung ebenfalls ungenau. Nach Berücksichtigung aller verfügbarer Daten sollte der Elefant aus der Puntali-Höhle irgendwann in der Zeit vor 50 000 bis 175 000 Jahren auf Sizilien gelebt haben.

Wie schnell verzwergten die Giganten vom Festland?

Wie lange es gedauert hat, bis sich aus den Zehntonnern ein 1700 Kilogramm schwerer Puntali-Elefant entwickeln konnte, lässt sich so nur schwer schätzen. Michael Hofreiter und sein Team haben es trotzdem versucht – und kamen auf einen verblüffenden Wert: Seit ihrer Isolierung auf Sizilien könnten die Elefanten theoretisch pro Generation bis zu 200 Kilogramm Gewicht und vier Zentimeter Schulterhöhe verloren haben.

Diese Werte klingen ungewöhnlicher, als sie sind: So stieg die durchschnittliche Körpergröße der Menschen in den Industrieländern in den sechs Generationen seit Mitte des 19. Jahrhunderts um rund zehn Zentimeter. Da ein Europäischer Waldelefant einen Menschen um mehr als das Doppelte überragen würde, wären die Dickhäuter auf dem Weg zum Zwergelefanten ähnlich schnell geschrumpft, wie die Zweibeiner seit der Industrialisierung gewachsen sind. »Allerdings ist der Verlust von 200 Kilogramm Körpergewicht in jeder Generation ein Extremwert in unserer Kalkulation«, sagt Hofreiter. Ähnlich wahrscheinlich wäre auch ein Verlust von nur 740 Gramm Gewicht und 0,15 Millimeter Schulterhöhe pro Generation, was eine praktisch unmerkliche Änderung darstellen würde.

Modell eines Europäischen Waldelefanten | Palaeoloxodon antiquus gehörte wohl zu den größten Elefanten, die es je gab.

Beim Menschen ist längst bekannt, dass die Ernährungssituation und indirekt auch der Wohlstand bei solchen Veränderungen eine wichtige Rolle spielen. In guten Perioden werden die nachfolgenden Generationen größer, in Krisenzeiten stoppt diese Entwicklung oder kehrt sich gar um. Ähnliches könnte bei den Elefanten auf Sizilien eine Rolle gespielt haben. Auch eine große Insel hat nicht unendlich viele Ressourcen und kann daher nur eine begrenzte Zahl von Giganten ernähren. Sind die Tiere dagegen kaum ein Fünftel so schwer, könnten theoretisch sechsmal mehr von ihnen über Sizilien stapfen. »Das verbessert die Überlebenschancen stark«, erklärt Michael Hofreiter. Denn es beugt der genetischen Verarmung vor, unter der zu kleine Populationen leiden.

Kleinere Tiere, kleinere Populationen

»Bei Elefanten sehen wir daher auf Inseln häufig eine Tendenz zum Verzwergen«, sagt Hofreiter. So fanden Paläontologen auch auf Kreta die Spuren von Minielefanten oder -mammuts. Und auf Sizilien lebte in den Zeiten vor dem Dickhäuter aus der Puntali-Höhle sogar eine weitere, noch viel zwergenhaftere Elefantenart, Palaeoloxodon falconeri, mit einer Schulterhöhe von weniger als einem Meter. Die Bullen dieser Art wogen ungefähr 300 und die Kühe sogar nur 170 Kilogramm.

Ähnliche Tendenzen zur Verzwergung gab es auch in der Neuen Welt: So lebten auf den Channel Islands vor der Küste Kaliforniens Zwergmammuts, die fast so klein wie ihre Elefantenverwandtschaft auf Sizilien waren. Und auch bei anderen Säugetierarten scheint das Inselleben die Körpergröße zu reduzieren. Auf schwer zugänglichen Eilanden entstanden Zwergnilpferde und Minihirsche. Sogar nahe Verwandte des modernen Menschen könnten diesen Prozess durchlaufen haben: Auf der Philippineninsel Luzon und auf Flores, Indonesien, entdeckten Forscherteams Skelette von Menschen sehr geringer Körpergröße, die dort vermutlich bis vor wenigen Jahrzehntausenden lebten. Noch ist unklar, wie genau sich diese »Hobbits« in den Stammbaum des Menschen einfügen lassen, es könnte sich aber durchaus um eine verzwergte Art des Homo erectus oder seiner nahen Verwandten handeln.

Riesenwuchs mitten im Ozean

Auf manchen Inseln zeigt sich jedoch ein ganz anderes Phänomen. Hier schrumpfen die Neuankömmlinge nicht, sondern wachsen im Gegenteil zu außergewöhnlicher Größe heran. Meist findet sich der »Inselgigantismus« auf Eilanden, die zu abgelegen sind, um von landlebenden Säugern erreicht zu werden. Die Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern vom nächsten Kontinent überwinden zumeist Arten, die sehr gut im Fliegen oder Schwimmen sind oder besonders hart im Nehmen – zum Beispiel kleinere Tiere, die auf Flößen einige Wochen unfreiwilliger Seereise überleben.

Landen sie am Ufer einer isolierten Insel an, betreten sie eine Welt voller neuer Möglichkeiten. Im Lauf der Evolution haben sie hier immer wieder ökologische Nischen besetzt, die andernorts meist von Säugetieren beansprucht werden. Auf dem südpazifischen Phillip Island etwa fanden Wissenschaftler unlängst Hundertfüßer, die den Platz an der Spitze der Nahrungskette eingenommen hatten. Mit ihrem Gift töten die teils über 30 Zentimeter langen Gliederfüßer die Küken einheimischer Vögel.

Aber auch Vögel können die Rolle der Spitzenräuber übernehmen. Der riesige Haastadler hatte mit seiner Spannweite von drei Metern beispielsweise keine natürlichen Feinde mehr in seiner Heimat Neuseeland. Dort fehlten auch Huftiere, um Wiesen und Savannen abzuweiden. »Dann passen sich gern Vögel an diese ungenutzten Ressourcen an«, erklärt der Ökologe Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth. Und weil es dort meist auch keine Füchse, Marder oder andere Raubtiere gab, konnten sie zudem auf das Fliegen verzichten, das mit extremen Energiekosten verbunden ist. Stattdessen spielte die Evolution sämtliche Vorteile der Größe aus. Manche Arten entwickelten sich zu Riesen, die auch zu Fuß die Blätter in den oberen Etagen der Bäume erreichten oder Früchte schlucken konnten, die beim besten Willen nicht in den Schnabel einer Meise oder einer Amsel passen. »In den Wäldern Neuseelands weideten Moa-Hennen mit ausgestrecktem Hals wie Giraffen auf zwei Beinen bis in 3,60 Meter Höhe die Blätter der Waldbäume ab«, berichtet der Paläo-Ornithologe Paul Scofield vom Canterbury Museum in Christchurch in Neuseeland. Ähnlich entwickelten sich wohl auch die bis zu drei Meter hohen Elefantenvögel auf Madagaskar und die ähnlich großen Donnervögel Australiens, die zu den Gänsen gehörten.

Für Homo sapiens sind die Riesen fette Beute

»Nachdem vor rund 800 Jahren die ersten Kanus der Maori auf Neuseeland landeten, waren die Moas in nicht einmal 100 Jahren verschwunden«, erklärt Paul Scofield. Schließlich waren diese Riesenvögel nicht an clevere Zweibeiner angepasst, die ihnen einfach die Sehnen an den Beinen durchschnitten und so dem gesamten Klan ein Festmahl servieren konnten. »Aus ähnlichen Gründen waren seit jeher auch Riesenschildkröten Menschen hilflos ausgeliefert«, sagt der Reptilienforscher Uwe Fritz vom Museum für Tierkunde der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden. Über Jahrmillionen hatten sie sich auf ihr Erfolgsrezept verlassen: Kopf einziehen und im Panzer ausharren, bis die Gefahr vorüber ist. Nichts wappnete sie gegen Seefahrer, die sie einsammelten, auf den Rücken wuchteten und in dieser misslichen Lage, aus der sie sich nicht selbst befreien konnten, als lebenden Proviant an Bord ihrer Schiffe schleppten.

Auch wenn es so wirkt, weil sie heute nur auf Inseln vorkommen, stellen Riesenschildkröten jedoch keinen Fall von Inselgigantismus dar. Funde zeigen, dass sie einst auch auf dem Festland weit verbreitet waren. Die Tiere seien im Grunde große Rasenmäher gewesen, die wie viele Huftiere auf dem Grasland weideten, sagt Fritz. Ihren Panzer konnte auch das stärkste Raubtiergebiss kaum knacken. »Selbst in Mitteleuropa gab es Riesenschildkröten, und in Südspanien kamen sie bis vor zwei Millionen Jahren vor«, sagt Fritz.

Aldabra-Riesenschildkröte auf der Seychelleninsel La Dique | Riesenschildkröten kommen heutzutage nur noch auf Inseln vor. Trotzdem stellen sie wohl keinen Fall von Inselgigantismus dar.

Der Senckenberg-Forscher vermutet daher, dass Riesenschildkröten sich nicht erst auf Inseln entwickelt haben, sondern bereits als Giganten dort angekommen sind. Darauf weist auch der Panzer der erst im Jahr 1840 ausgerotteten Riesenschildkröten hin, die einst auf den Maskarenen-Inseln Réunion, Mauritius und Rodrigues im Indischen Ozean lebten. Weil dort keine gefährlichen Raubtiere mit mächtigem Gebiss lebten, wurde ihr dicker Panzer überflüssig und war am Ende nur noch papierdünn. Wegen ihrer Genügsamkeit konnten die Riesenschildkröten die lange Reise zu fernen Inseln gut überstehen, mitunter können sie jahrelang ohne Nahrung auskommen. Offensichtlich machen ihnen auch lange Zeiten im Salzwasser wenig aus; das beweist eine Aldabra-Riesenschildkröte, die am 14. Dezember 2004 an der Küste Ostafrikas in Tansania an Land stapfte. An ihren Beinen und am Panzer wuchsen bereits viele Seepocken, die sich im Salzwasser dort festgesetzt haben müssen. Demnach muss das Tier mehrere Monate lang im Salzwasser getrieben sein. Vermutlich war die Riesenschildkröte vom Aldabra-Atoll mit den Meeresströmungen mindestens 740 Kilometer weit ohne Nahrung und Süßwasser bis an die afrikanische Küste geschwemmt worden. Diese lange Reise hat das Reptil offensichtlich gut überstanden. »Es war zwar abgemagert, sah aber sonst gesund aus«, erklärt Uwe Fritz.

Die Männchen reisen in den Schildkrötenweibchen mit

Im Vergleich mit großen Säugetieren haben Riesenschildkröten bei solchen Exkursionen einen weiteren Megavorteil: Ein einziges Weibchen genügt, um eine abgelegene Insel dauerhaft zu besiedeln. »Schildkröten-Weibchen legen sich einen Samenvorrat von mehreren Männchen an und befruchten ihre Eier damit erst bei einer guten Gelegenheit lange nach der Paarung«, sagt der Reptilienexperte. Dadurch gelangen gleich mehrere Väter – wenn auch nur in Form ihres Erbguts – auf die Insel. Diese kleine Vielfalt aber verbessert die Chancen enorm, dass die Neuankömmlinge sich dauerhaft auf einer Insel etablieren können.

Wenn Riesenschildkröten für etwas der Beweis sind, dann dafür, dass Menschen solche sanften Riesen schon seit Urzeiten ausrotten. »Kollegen in Florida entdeckten die Überreste einer Riesenschildkröte, die vor rund 12 000 Jahren mit einem Speer durchbohrt und in ihrem eigenen Panzer gebraten wurde«, sagt der Senckenberg-Forscher. Überall verschwanden sie, sobald der Mensch in ihre Nachbarschaft kam. Nur nicht auf den Galapagosinseln im Pazifik, die erst seit 1832 dauerhaft von Menschen besiedelt wurden, und auf dem Aldabra-Atoll im Indischen Ozean. Dort gibt es an der Oberfläche kein Süßwasser hat. Nur deshalb blieben sie wohl von den invasiven Zweibeinern namens Mensch verschont.

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