Unerwartete Anpassung: Evolution lässt Pilze in andere Lebewesen eindringen
Eine Gruppe von Pilzen, die Helmlinge, macht derzeit anscheinend eine bedeutende evolutionäre Veränderung durch. Pilze der Gattung Mycena, die normalerweise totes Material abbauen, scheinen gerade die Fähigkeit zu entwickeln, auch in gesunde Bäume einzudringen – womöglich befördert durch den Menschen. Das jedenfalls ist die Schlussfolgerung einer Arbeitsgruppe um Christoffer Bugge Harder von der Universität Kopenhagen aus einer Untersuchung an Baumwurzeln. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Environmental Microbiology« berichtet, waren Mycena-Pilze die einzige Gattung, die totes Material abbaut und immer wieder in lebenden Wurzeln auftauchte. »Das legt nahe, dass die Helmlinge eine evolutionäre Entwicklung durchmachen: von Zersetzern toter Pflanzen zu Eindringlingen in lebende Pflanzen«, sagt Bugge Harder laut einer Pressemitteilung der Universität.
Allerdings sind die Pilze vermutlich keine feindseligen Eindringlinge. Das Team untersuchte Fruchtkörper der Pilze auf ihre Isotopenzusammensetzung, die Aufschluss über ihre Ernährungsweise gibt. Demnach lebt ein Teil der Pilze noch von toter Materie, ein anderer Teil jedoch kooperiert mit Bäumen – ein als Mykorrhiza bezeichneter Prozess. Laut den Isotopendaten liefern die Pilze den Bäumen Stickstoff, einen entscheidenden Nährstoff, und erhalten dafür kohlenstoffreiche Substanzen wie Zucker. Diese Art der Kooperation ist bei Pilzen nicht ungewöhnlich – allerdings sind viele Pilze so stark spezialisiert, dass sie ohne ihre Wirtspflanze nicht leben können.
Wegen dieser Spezialisierung waren Fachleute lange der Ansicht, dass Pilze in drei Gruppen mit unterschiedlicher Lebensweise einzuteilen sind: jene, die ausschließlich mit Pflanzen kooperieren, Parasiten sowie solche, die totes Material abbauen. »Diese strenge Unterteilung ist jedoch zunehmend in Frage gestellt worden«, sagt Bugge Harder. »Unsere Forschung an Mycena stützt eine Verwischung dieser Trennlinien.« Demnach scheinen die Helmlinge irgendwo zwischen den klassischen ökologischen Nischen zu stehen – sie könnten eventuell auch Parasiten sein. Eine mögliche Ursache dieser Evolution sei der Mensch, der mit großen Baumplantagen den Pilzen Raum für die Anpassung gebe, vermutet der Forscher. In alten Wäldern seien alle Möglichkeiten zur Kooperation mit Bäumen schon von spezialisierten Pilzen besetzt. Die Monokulturen dagegen mit vielen unbesetzten Nischen könnten eine Art Experimentierfeld für die Pilze sein.
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