Ernährung: Warum Männer gerne Fleisch essen und Frauen lieber Salat
Beginnen wir mit einem kleinen Test an: Ordnen Sie folgende Lebensmittel Männern oder Frauen zu: Steak, Gemüsequiche, Bier, Yogi-Tee, Schweinshaxe, Früchtequark. Kinderleicht? Kein Wunder, denn Männer und Frauen essen tatsächlich unterschiedlich, das belegen auch zahlreiche Studien. Für die 2008 veröffentlichte Nationale Verzehrstudie II etwa wurden fast 20 000 Männer und Frauen aus Deutschland befragt: Danach essen Männer fast doppelt so viel Fleisch und Wurst wie Frauen und trinken deutlich mehr Bier und Limonade. Frauen hingegen trinken mehr Tee und essen mehr Obst, Gemüse, Jogurt und Quark. Auch gibt es mehr als doppelt so viele Vegetarierinnen, wobei laut einer aktuellen Umfrage des Robert Koch-Instituts insgesamt 4,3 Prozent der Bevölkerung auf Fleisch verzichten. Aber warum gibt es überhaupt unterschiedliche Essensvorlieben bei Mann und Frau? Und sind diese genetisch verankert oder durch Kultur und Erziehung geprägt?
Sicher ist, dass Essen für uns weit mehr ist als ein biologisches Bedürfnis. Alle Tiere fressen – aber nur wir kochen. Diese Lebensart spielte in unserer Evolution wahrscheinlich eine herausragende Rolle: Wir verdauten unsere Nahrung leichter, sparten Energie, und unsere Gehirne wuchsen – wir wurden zu "Cookivores" und entwickelten eine ungeheure Fülle an Esskulturen. Auf der Kehrseite unserer Esslust stehen Fehlernährung und Übergewicht. Die gesundheitlichen Folgen kosten die Gesellschaft Milliarden, weswegen weltweit versucht wird, das menschliche Essverhalten zu verstehen, um es letztlich positiv beeinflussen zu können.
"Jungs lernen von klein auf, dass Fleisch groß und stark macht"Christine Brombach
Soziologen sind dabei vom "Gender-doing" überzeugt: Männer essen demnach nicht Fleisch, weil Männer viel Fleisch brauchen, sondern sie essen Fleisch, um zu zeigen, dass sie Männer sind. "So lernen Jungs von klein auf, dass Fleisch groß und stark macht", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und folgert: "Unser Essverhalten ist sozial konstruiert." Der Kulturwissenschaftler Gunter Hirschfelder von der Universität Regensburg bestätigt: "Kulturell gesehen wird man nicht als Mann oder Frau geboren, sondern im Laufe seines Lebens dazu gemacht und beim Essen: dazu gezwungen." Die unterschiedlichen Vorlieben beim Essen seien das Ergebnis unserer Kulturgeschichte und nachhaltig eingeschliffen.
Fleisch ist dabei das symbolträchtigste aller Lebensmittel: "Es steht für Kraft und Virilität und verkörpert die dominante Stellung des Mannes", sagt Brombach. Der Hausherr residierte früher nicht nur am Kopfende des Tisches, sondern wurde auch als Erster bedient und bekam das beste Bratenstück. In allen Kulturen ist Fleisch kostbar und untrennbar mit Männlichkeit verbunden: Denn bevor der Mensch vor rund 10 000 Jahren sesshaft wurde, musste er jagen, um Fleisch zu essen – und Jäger sind meist Männer. Mann und Frau unterscheiden sich aber nicht nur bei der Speisenwahl. "Männer essen auch anders: Sie essen größere Portionen, beißen herzhaft zu, kauen schneller und kraftvoller", so Brombach. Als männlich gelten auch scharfes Essen sowie das Trinken aus der Flasche.
Typisch weibliches Essen ist weich und gesund
Auch Frauen verhalten sich gewissermaßen typisch weiblich beim Essen: "Sie essen kleinere Portionen, kauen langsamer und nippen am Weinglas", sagt Brombach. "Frauenlebensmittel" wie Gemüse, Quark und Fisch sind weich und können auch ohne Kauen leicht geschluckt werden – ketzerisch könnte man sagen: die perfekte Nahrung fürs "schwache" Geschlecht, Kinder und Alte. Wie stark solche archaischen Rollenmuster sind, zeigt sich besonders gut im Sommer: Grillen ist Männersache, gerne mit einem Bier in der Hand. Den Salat bereiten die Frauen zu. Nicht nur in Deutschland ernähren sich Frauen tendenziell gesundheitsbewusster: Von Island bis Südafrika, Kolumbien bis Japan essen Frauen weniger Fett und mehr Ballaststoffe, das fand eine Studie heraus, die 23 Länder untersucht hatte. Globalisierung bedeutet offenbar auch: weltweit das gleiche Schönheitsideal – das Frauen antreibt, Kalorien zu sparen.
Im besten Fall ernähren sie sich dadurch gesünder. Der gesellschaftliche Druck kann sie jedoch krank machen: "Frauen sorgen sich stärker um ihre Figur, sind generell unzufriedener mit ihrem Gewicht und versuchen häufiger abzunehmen", fasst Brombach zusammen. Essen ist für sie oft ein zweischneidiges Schwert, und das Problem fängt schon in jungen Jahren an: Mädchen achten darauf, was sie essen, um dünn zu sein. Die Folge: Sie erkranken häufiger an Essstörungen wie Bulimie und Magersucht. Laut dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts gibt es bei jedem dritten jungen Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren Hinweise auf eine Essstörung, bei Jungen sind weniger als einer von sieben auffällig.
Frauen essen nicht nur etwas gesundheitsbewusster als Männer, sie kaufen auch anders ein: In einer Studie mit gut 14 000 Teilnehmern kreuzten Frauen als wichtigste Kaufkriterien "Qualität", "Preis" und "Familienvorlieben" an. Die teilnehmenden Männer kreuzten am häufigsten "Geschmack" an. "Männer essen insgesamt lustbetonter, und ihr Verhältnis zu Essen ist unkomplizierter", sagt Brombach. Entsprechend sind sie auch häufiger übergewichtig als Frauen – nur stört es sie weniger. Mit dem Alter kommt die Weisheit: Ab etwa 50 ernähren sich auch Männer gesundheitsbewusster. Und die Bildung spielt bei der Lebensmittelwahl ebenfalls eine Rolle: Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus essen weniger Obst und Gemüse und konsumieren mehr Süßwaren, Fleisch und Fastfood als Jungen und Mädchen aus besser gestellten Familien, so eine Erhebung des Robert Koch-Instituts.
Stehen Frauen schon immer mehr auf Salat?
Die kulturellen und familiären Einflüsse unseres Essverhaltens sind nicht von der Hand zu weisen. Aber gibt es nicht auch biologische Gründe dafür, dass Männer auf Steaks stehen und Frauen auf Salat? Um unser Verhalten zu verstehen, schauen Biologen gerne in die Vergangenheit. Homo sapiens lebte viele Jahrtausende lang als Jäger und Sammler mit einer klaren Arbeitsteilung: Die Männer – von Natur aus kräftiger – jagten, die Frauen sammelten Wurzeln und Beeren und versorgten die Kinder. Nun kann niemand wissen, ob Männer schon damals lieber Fleisch aßen – aber man kann heute noch traditionell lebende Völker studieren. Colette Berbesque, Anthropologin an der Roehampton University in London, fand heraus, dass auch die Hadza aus Tansania unterschiedliche Nahrungsvorlieben haben: Am beliebtesten ist bei beiden Geschlechtern Honig, bei den Männern kommt an zweiter Stelle Fleisch, gefolgt von Wurzeln und Beeren. Bei Frauen kommen in der Reihenfolge Beeren, dann Wurzeln und erst an vierter Stelle Fleisch.
Berbesque hat dafür verschiedene Erklärungen. Bei der evolutionären geht es, vereinfacht gesagt, um den Fortpflanzungserfolg: Das menschliche Verhalten ist darauf optimiert, die eigenen Gene weiterzugeben. Bei Berbesque liest sich das wie folgt: Hadza-Männer sind nicht immer erfolgreich bei der Jagd, Fleisch ist demzufolge alles andere als eine zuverlässige Nahrungsquelle. Frauen setzen deswegen womöglich auf weniger energiereiche Nahrung, die aber verlässlich ergiebig ist. Sie tun dies aus zwei Gründen: zum einen, um ihre Fettreserven zu bewahren und damit ihre Fruchtbarkeit, zum anderen, um ihre Kinder zuverlässig versorgen zu können. Männer hingegen setzen auf Fleisch und sichern sich damit das Wohlwollen, also die Paarungsbereitschaft der Frauen, denn Fleisch ist auch bei Frauen beliebt.
Um den Ursprung menschlichen Verhaltens zu verstehen, ist es oft hilfreich, das Verhalten unserer nächsten Verwandten zu beobachten. In diesem Fall finden sich bemerkenswerte Parallelen: Schimpansen fressen hauptsächlich Früchte und Blätter. Termiten oder Fleisch sind aber willkommene Leckerbissen. "Weibchen essen Fleisch, aber im Schnitt weniger als 50 Prozent von den Mengen, die die Männchen in der Regel zu sich nehmen", sagt Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Die Jagd erfolgt in Gruppen, meist durch Männchen; Weibchen können aber auch beteiligt sein. Ist die Beute gefangen, wird sie unter den Jägern verteilt, die einen Teil der Beute auch an Unbeteiligte weitergeben. "Durch das Teilen von Fleisch können Männchen die Gunst der Weibchen gewinnen und später, wenn diese fortpflanzungsbereit sind, in Kopulationen ummünzen", erklärt Wittig.
Frauen sind hocheffiziente Fettspeicher
Berbesques zweite Erklärung ist physiologischer Natur: "Womöglich haben die Geschlechter einfach einen unterschiedlichen Nahrungsbedarf. Allerdings ist es schwierig herauszufinden, was die jeweils optimale Ernährung für ein Geschlecht ist." Tatsächlich verwerten wir als Gemischtesser alles: Wurzeln, Pilze, Blattgemüse, Getreide, Nüsse, Eier, Fleisch – überleben aber auch als reine Paläoesser, Vegetarier oder gar Veganer. Einige Fakten sprechen für diese Theorie: Männer und Frauen in allen ethnischen Gruppen unterscheiden sich in ihrem Körperbau. Männer sind im Durchschnitt größer, haben mehr Muskelmasse und benötigen mehr Kilokalorien pro Tag als Frauen. Bei einem Bürojob etwa reichen ihnen 2400 Kalorien pro Tag, Frauen 1900 Kalorien. Obwohl Frauen im Durchschnitt weniger Kalorien zu sich nehmen, haben sie einen höheren Körperfettanteil.
Die Erklärung dafür ist der elementare Unterschied zwischen den Geschlechtern: Nur Frauen kriegen Kinder. Und dafür braucht es Energie. "Die Geschichte zeigt, dass Frauen auch unter widrigen Bedingungen schwanger werden und Kinder gebären. Das legt eine äußerst wirkungsvolle physiologische Anpassung nahe", schreiben die Autoren einer Studie, die die unterschiedlichen Stoffwechselwege der Geschlechter untersucht haben. Mit anderen Worten: Frauen sind hocheffiziente Fettspeicher. Was auch erklärt, warum sie ihre Kalorienzufuhr stärker reduzieren müssen als Männer, um abzunehmen. Noch nicht bis ins Detail verstanden sind die Unterschiede beim Ausdauersport: Frauen verbrennen bei Belastung mehr Fett und weniger Kohlenhydrate und Proteine als Männer. Forscher vermuten, dass auch hier die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen am Werk sind.
Sicher ist, dass unser Griff zu Steak oder Quark beeinflusst wird. Wer den höheren Anteil daran hat – Kultur oder Biologie –, ist ungewiss. Folgendes Beispiel kommt der Wahrheit wohl am nächsten: Die längste Zeit unserer Evolution war Milch ein Nahrungsmittel, das ausschließlich Säuglinge vertrugen. Sie bilden das Enzym Laktase, das den Milchzucker Laktose spaltet. Erwachsenen fehlte das Enzym, weswegen sie Milch nicht verwerten konnten. Vor rund 7500 Jahren, also ein paar tausend Jahre nachdem der Mensch seine Lebensweise geändert hatte, sesshaft wurde und Kühe, Ziegen und Schafe hielt, mutierte bei einem Menschen in Südosteuropa ein Gen: Jener Mensch bildete auch als Erwachsener Laktase. Das mutierte Gen bot einen Überlebensvorteil, denn Milch ist nahrhaft und breitete sich – evolutionär betrachtet – extrem schnell nach West- und Nordeuropa aus, wo heute 90 Prozent der Erwachsenen Milch vertragen. Und die Lehre der Geschichte? Die Kultur und die Biologie des Menschen sind untrennbar miteinander verwoben.
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