Evolution: »Überflüssiger« Muskel hilft uns, konzentriert zuzuhören

Rund 10 bis 20 Prozent der Menschen können aktiv mit den Ohren wackeln, angetrieben von winzigen Muskeln. Lange nahmen Wissenschaftler an, dass diese Muskeln nur ein evolutionäres Überbleibsel sind, das die meisten von uns gar nicht mehr einsetzen. Das war allerdings ein Trugschluss. Mehr noch: Diese Ohrmuschelmuskeln kommen häufiger zum Einsatz als gedacht, berichtet ein Team um Daniel Strauss von der Universität des Saarlandes. Die Muskeln regen sich demnach, wenn wir intensiv oder angestrengt zuhören.
Wie Strauss und seine Arbeitsgruppe bereits 2020 entdeckt hatten, werden Ohrmuschelmuskeln aktiv, wenn wir interessante Geräusche hören, deren Herkunftsrichtung wir nicht genau orten können. Je nach Art der Laute und ihrer Richtung sorgen die Muskeln dafür, dass unsere Ohren ihre Lage verändern, wobei sowohl Bewegungen nach oben oder unten als auch Drehungen nach vorn oder hinten möglich sind. Erst eine extrem feine Bildauflösung erlaubte es, das nachzuweisen. Zuvor hatte man gedacht, es handle sich bei Ohrmuschelmuskeln um ein evolutionäres Relikt, das Menschen und andere Primaten seit 25 Millionen Jahren begleite. Seine ursprüngliche Bedeutung, Ohren aktiv zu einer akustischen Quelle hin auszurichten, habe es längst verloren, so die Hypothese.
In ihrer neuen Studie zeigen Strauss & Co., dass sich Ohrmuschelmuskeln beim intensiven Zuhören bewegen, etwa während eines Konzerts oder Gesprächs. Sie testeten dazu 20 Menschen mit gutem Gehör, indem sie ihnen drei Ausschnitte aus Hörbüchern vorspielten, wobei sich der Schwierigkeitsgrad von Mal zu Mal steigerte. Parallel dazu erfassten Hautsensoren die elektrische Aktivität in den Ohrmuscheln. Beim leichtesten Test erklang parallel zum Hörbuch ein Podcast mit männlicher Stimme in geringer Lautstärke. Beim mittleren Schwierigkeitsgrad waren zeitgleich zum Hörbuch zwei leise Podcasts mit männlicher beziehungsweise weiblicher Stimme zu hören. Beim höchsten Schwierigkeitsgrad schließlich wurden beide Podcasts laut abgespielt, während eine Sprecherin das Hörbuch vorlas.
Die Ohrmuschelmuskeln reagierten unterschiedlich auf die verschiedenen Testbedingungen. Die hinteren Muskeln etwa sprachen auf veränderte Richtungen an, aus denen die Geräusche kamen, während sich die oberen Muskeln dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe anpassten. Je höher dieser war, desto angestrengter mussten die Versuchsteilnehmer zuhören und umso häufiger verloren sie den Faden. Zudem antworteten sie auf Fragen, die den Buchinhalt betrafen, immer ungenauer, je schwieriger das Zuhören wurde.
Das ist wenig überraschend, doch gleichzeitig korrelierte es mit dem Aktivitätsniveau der Muskeln der oberen Ohrmuschel: Sie wurden im mittleren Modus nicht stärker aktiv als im leichten, waren aber beim hohen Schwierigkeitsgrad sehr rege. Die Probanden hatten folglich unbewusst versucht, ihre Ohren auf das Hörbuch auszurichten. Unklar ist allerdings, ob dieser Mechanismus tatsächlich zu einer besseren Schallwahrnehmung verhilft.
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