ExoMars: Ist der europäische Marsrover noch zu retten?
Seit Langem arbeitet die Europäische Weltraumorganisation (ESA) an diesem Projekt: erstmals selbst einen Rover zum Mars zu bringen. Doch das Unternehmen ExoMars scheint mit einem Fluch belegt zu sein. 2018 verhinderten Probleme mit dem komplexen Fallschirmsystem den ursprünglich geplanten Start. Dann, 2020, wurde der Start wegen der Corona-Pandemie abgeblasen. Und jetzt hat der Einmarsch Russlands in die Ukraine alle Hoffnungen zunichtegemacht, 2022 den Rover ins All zu bringen. Für das Forschungsteam ist die Situation besonders schlimm. »Ich konnte wochenlang nicht über diese Mission sprechen, ohne zu weinen«, sagt Valérie Ciarletti vom Laboratory for Atmospheres, Environments, Space Observations (LATMOS) in Frankreich. Ciarletti leitet die Arbeitsgruppe für das Untergrundradar des Rovers.
Mehr als 20 Jahre lang liefen die Arbeiten an dem Projekt, und nun steht der vollständig montierte Rover in einer Anlage in Turin in Wartestellung. Es erscheint immer unwahrscheinlicher, dass ExoMars jemals abheben wird. Längst ist nicht sicher, ob die ESA überhaupt einen vierten Startversuch unternehmen will oder die Mission einfach abbrechen wird. Noch könnte das Projekt zwar gerettet werden, aber zu welchem Preis?
Der europäische Rover, der nach der englischen Chemikerin Rosalind Franklin benannt wurde – sie hatte die Doppelhelixstruktur der DNA entdeckt –, würde einen großen Fortschritt auf der Suche nach Leben auf dem Mars bedeuten. Denn der NASA-Rover Perseverance, der derzeit ein einstiges Flussdelta im Jezero-Krater erforscht, arbeitet aufwändiger. Er muss Proben ausgraben, sammeln und für eine Analyse zur Erde zurückbringen. Der Rover Rosalind Franklin hingegen untersucht seine Funde direkt vor Ort, ohne dass die Proben zur Erde gebracht werden müssen. Anders als Perseverance und auch der weitere NASA-Rover Curiosity könnte er zudem tiefer in die Marsoberfläche eindringen: Sein Bohrer kann bis zu zwei Meter hinuntergehen – und in dieser Tiefe ist es wahrscheinlicher, dass vermeintliche Spuren von Leben nicht durch die kosmische Strahlung ausgelöscht wurden. »Der ExoMars-Rover wurde speziell aus astrobiologischer Sicht entwickelt«, sagt Melissa McHugh von der University of Leicester. Sie und ihr Team betreuen das Laserspektrometer des Rovers. »Was sich unter der Marsoberfläche befindet, hat biologisch gesehen eine enorme Bedeutung.«
Der Krieg hat alle Pläne für ExoMars zunichtegemacht
Wäre Anfang 2022 alles nach Plan verlaufen, wäre der Franklin-Rover im September mit einer russischen Proton-Rakete gen Mars gestartet. Im Juni 2023 hätte dann eine russische Landeplattform namens Kasatschok den Rover auf der Oberfläche abgesetzt. Doch am 17. März 2022, nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte, beschloss die ESA, das Roverprojekt auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Die Weltraumorganisation geht aber davon aus, dass sie bis zu ihrer Ministerratstagung im November 2022 offiziell über die Fortsetzung der Mission entschieden haben wird.
Eine kleine Chance, das Projekt zu retten, besteht allerdings noch. Eine Möglichkeit wäre: Die ESA ersetzt Kasatschok und baut selbst einen Lander – mit Hilfe von Bauteilen und Wissen der NASA. »Unsere Teams arbeiten mit den Teams der NASA an den technischen Schritten, die unternommen werden müssten«, sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher in einem Interview mit »SpaceNews« im April 2022. In einer E-Mail an »Scientific American« bestätigte die NASA derartige Bemühungen: »Wir haben kürzlich damit begonnen, die Optionen für die ExoMars-Mission gemeinsam zu bewerten«, heißt es in der Nachricht. »Sobald wir mehr wissen, werden wir diese Informationen in unsere Pläne einfließen lassen.«
Eine weitere, jedoch eher unwahrscheinliche Alternative wäre, die Mission weiterhin mit Russland durchzuführen. Laut Jorge Vago von der ESA würde eine erneute Partnerschaft einen Start im Jahr 2024 möglich machen. Es wäre »der schnellste und einfachste Weg« zum Mars, so Vago, weil sowohl der Rover als auch seine Landeplattform bereits gebaut sind. Aber angesichts der andauernden Kriegssituation in der Ukraine ist dieses Szenario nur schwer vorstellbar. Für Vago ist es daher die einzig realistische Option, dass die ESA gemeinsam mit der NASA einen eigenen Lander baut. »Das braucht Zeit«, fügt er hinzu.
Nur alle 26 Monate ist eine Reise zum Mars möglich
Doch an Zeit mangelt es der ESA. Die Reise von der Erde zum Mars ist am einfachsten, wenn beide Planeten günstig zueinander stehen, was alle 26 Monate der Fall ist. Weil es aber recht lange dauert, neue Hardware zu bauen und sie zu testen, wäre ein Start im Jahr 2024 ausgeschlossen, sagt Vago; 2026 oder 2028 wären eher denkbar. Die ESA könnte zwar die Teile wiederverwenden, die sie selbst zum Kasatschok-Lander beigesteuert hat; jedoch müssten die von den Russen gebauten Komponenten – die Landebeine, der Hitzeschild, die Triebwerke für die Abstiegsphase und einiges mehr – von Grund auf neu entwickelt werden. Die Triebwerke stellen dabei ein besonderes Problem dar, da bislang kein europäischer Hersteller solche für die Landung auf dem Mars geeigneten Antriebe anbietet. Ebenso verfügt die ESA über kein Plutonium. Der Stoff wird für die Radioisotopen-Heizeinheit benötigt, die den Rover warmhalten soll. Die USA (oder Russland) könnten hingegen Plutonium liefern. »Wir fragen also die NASA, ob sie uns das zur Verfügung stellen könnte«, sagt Vago. »Das sind die Gespräche, die wir im Moment führen.«
Die ESA und die NASA arbeiten bereits an den nächsten Schritten für ihr gemeinsames Programm zur Rückführung von Proben vom Mars. Europa soll einen Rover entwickeln und ein Raumfahrzeug bauen – der eine soll die Proben von Perseverance auf dem Mars einsammeln, das andere diese zur Erde zurückfliegen. Laut Vago könnte die ESA die NASA dann um Unterstützung für ExoMars bitten, wenn die ESA ihre geplanten Beiträge zur Rückführung der Proben genau festgelegt hat.
Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Anfang der 2000er Jahre legten Europa und die USA gemeinsame Pläne vor, bei der Suche nach Leben auf dem Mars zusammenzuarbeiten. Vorgesehen waren zwei Rover, deren wissenschaftliche Ziele sich überschneiden sollten. Dann zog sich die NASA 2011 aus dem Vorhaben zurück – mit dem Hinweis, dass die Mittel fehlen würden. Noch im selben Jahr kündigte die US-Raumfahrtbehörde ein Missionskonzept an, aus dem später der milliardenschwere Perseverance-Rover hervorging. Die Europäer wollten weiterhin ihren Rover Rosalind Franklin bauen, waren nun aber gezwungen, sich an Russland als Partner zu wenden. Die Erfahrung hinterließ bei der Europäischen Weltraumorganisation einen bitteren Beigeschmack. »Wir waren perplex«, erinnert sich Chris Lee, ehemaliger leitender Weltraumwissenschaftler bei der U.K. Space Agency. »Die Leute waren sehr verärgert.«
ExoMars soll 4,1 Milliarden Jahre alten Marsuntergrund erforschen
Der Franklin-Rover soll in einer Region der nördlichen Marshemisphäre landen, in einem Gebiet namens Oxia Planum. Dort befindet sich ein vermutlich 4,1 Milliarden Jahre altes Flussdelta. Es ist damit hunderte Millionen Jahren älter als die geologischen Regionen, die momentan von Perseverance und Curiosity erforscht werden. Wenn die Rovermission tatsächlich stattfinden sollte, dann wird die ESA den Ort sicher nicht ändern. »Wir wollen zu dem Standort gehen, den wir haben«, sagt Vago. »Es ist erstaunlich. Es wäre der älteste Ort, der je von einer Marsmission besucht wurde. Das gibt uns die einmalige Chance, die frühesten Minerale zu untersuchen, die auf dem Mars entstanden sind.«
Eine weitere, wohl weniger gute Möglichkeit wäre, dass die ESA die Mission abbläst. Auch um Kosten einzusparen. Nicht nur die Entwicklung eines neuen Landungssystems sowie eine neue Trägerrakete müssten finanziert werden, sondern auch die Einlagerung des Rovers. Das Gefährt muss unter sterilen Bedingungen sechs Jahre lang eingemottet werden – das erfordert eine erhebliche Investition. Schon jetzt müssen die Ingenieure den Rover ständig mit Argon abspülen, damit er nicht von Mikroben kontaminiert wird. Einige Fachleute überlegen inzwischen, ob diese Ressourcen nicht besser an anderer Stelle eingesetzt werden sollten. »Ist es das wert?«, fragt Lee. »Wenn es bei den Gesprächen zwischen der NASA und der ESA nicht darum geht, ExoMars zu reaktivieren, sehe ich wirklich keinen Sinn mehr darin.« David Southwood, ehemaliger ESA-Direktor für Robotererkundung, ist hingegen davon überzeugt, dass die Agentur alles tun sollte, um den Rover zum Mars zu bringen. »Auf meiner Wunschliste steht das ganz oben.«
Sicher ist: Die Angelegenheit wird sich wohl noch Monate hinziehen. Das lässt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Mission im Unklaren über ihre Zukunft. »Wenn ExoMars nie starten wird, ist das eine Verschwendung von Zeit und Arbeit«, sagt Ciarletti. »Seit fast 20 Jahren haben wir an einem Instrument [für den Rover] gearbeitet. Das ist absolut enttäuschend.« Im Moment können die europäischen Fachleute, die darauf warten, dass ihr erster selbst entwickelter Rover den Mars erreicht, also nicht viel mehr tun als warten.
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