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Aliens: Vorsorgen für den Erstkontakt

Was tun, wenn Außerirdische auf die Erde kämen? Diese Frage beschäftigt die Exosoziologie – ein neuer Forschungszweig, der für die Menschheit existenziell wichtig werden könnte.
Radioteleskope in New Mexico. Was wäre, wenn sie das Signal einer extraterrestrischen Lebensform auffingen?

Wir schreiben das Jahr 2063. Der Dritte Weltkrieg ist vorüber, die meisten Städte liegen in Schutt und Asche. Die wenigen Überlebenden versuchen irgendwie über die Runden zu kommen. Als einem Mann die Erfindung des Warp-Antriebs gelingt, geschieht das Unglaubliche: Ein Raumschiff von einem anderen Planeten landet auf der Erde. Und alles wird anders.

So jedenfalls stellt sich Hollywood die Begegnung mit Außerirdischen vor. Der Kinofilm »Star Trek: Der erste Kontakt« aus dem Jahr 1996 erzählt davon, wie ein solches Ereignis die Menschheit auf ungeahnte Weise vereint. Armut, Krankheiten, Krieg – alles Geschichte. Schon bald gibt es nicht einmal mehr Geld.

Michael Schetsche hält diese Vorstellung für naiv. Der Soziologieprofessor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg rechnet damit, dass es eher wie im Kinofilm »Independence Day« ablaufen könnte, der im gleichen Jahr in die Kinos kam: Eine technologisch überlegene Spezies greift die Erde an; das Weiße Haus wird per Laserstrahl pulverisiert. »Wenn wir uns dämlich anstellen«, sagt Schetsche, »kann das im schlimmsten Fall zum Ende der Menschheit führen.«

Wer nun denkt, der Wissenschaftler tüftle gerade am Drehbuch für einen neuen Sciencefiction-Film, liegt falsch. Es geht ihm um seriöse und plausible Forschungsfragen. So identifizieren Astronomen immer mehr mit der Erde vergleichbare Exoplaneten. Zudem hat die Forschung auf unserem Heimatplaneten gezeigt, dass Leben selbst in unwirtlichen Regionen der Erde gedeihen kann. Die Existenz extraterrestrischer Organismen schließen viele Wissenschaftler längst nicht mehr aus. Erst kürzlich haben Forscher eine – äußerst umstrittene – Berechnung veröffentlicht, laut der es allein in der Milchstraße 36 außerirdische Zivilisationen geben müsste. Doch auch wenn diese Aussage unhaltbar ist, so besteht grundsätzlich durchaus die Möglichkeit, dass es außerirdisches Leben im Universum gibt.

»Wenn wir uns dämlich anstellen, kann das im schlimmsten Fall zum Ende der Menschheit führen«
Michael Schetsche

Damit die Menschheit nun nicht irgendwelchen Aliens zum Opfer fällt, will Schetsche ein Forschungsgebiet vorantreiben, das bislang kaum bekannt ist: die Exosoziologie. Als Teil der Zukunftsforschung beschäftigen sich Exosoziologen mit den Folgen, die ein Erstkontakt mit sich brächte. »Die Menschheit wäre auf ein solches Ereignis nicht vorbereitet«, glaubt Schetsche. Die Überzeugungen vieler Menschen würden in ihren Grundfesten erschüttert. »Der Kulturschock wäre fatal und ein Börsencrash das Mindeste, was uns passiert«, sagt er. Vor allem aber gebe es praktische Dinge, die geklärt werden müssten: Wer darf für die Menschheit sprechen? Die Vereinten Nationen? Die EU? Donald Trump? Und wie würde ein solcher Kommunikationsversuch ablaufen? Zwar kennt auch Schetsche noch keine endgültigen Antworten auf all diese Fragen, plädiert aber dafür, dass sich Soziologen genau damit beschäftigen sollten.

Die Bundesregierung hält einen Erstkontakt für unwahrscheinlich

Bislang scheint allerdings kaum jemand zuhören zu wollen. Beispiel Deutschland: Hier stellte der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek (Bündnis 90 / Die Grünen) 2018 eine parlamentarische Anfrage. Welche Vorkehrungen, Protokolle oder Pläne es für einen möglichen Erstkontakt gebe, wollte er wissen. Antwort des zuständigen Staatssekretärs: Solche Pläne existierten nicht, »da die Bundesregierung einen Erstkontakt auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand für äußerst unwahrscheinlich hält«. Schetsche ist überzeugt, dass diese Argumentation zu kurz gedacht ist. »Natürlich gibt es auf der Erde genug Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen«, sagt der Wissenschaftler. »Dass es in den nächsten 100 Jahren einen Erstkontakt gibt, kann man aber deshalb nicht ausschließen.«

Schon frühere Versuche, die Exosoziologie zu etablieren, scheiterten an mangelndem Interesse. So forderte der US-Soziologe Jan H. Mejer bereits 1983 die Etablierung eines solchen Fachgebiets. In seinem Paper »Towards an Exo-Sociology: Constructs of the Alien« warnte er davor, dass einer unvorbereiteten Menschheit ein Schicksal wie einst den amerikanischen Ureinwohnern drohen könnte. Diese hatten den Waffen der Kolonisten und den Kämpfern zu Pferd wenig entgegenzusetzen. Später starben sie zudem massenhaft an den eingeschleppten Krankheiten.

Damit sich die Geschichte nicht wiederholt, möchte Soziologieprofessor Schetsche ein Problembewusstsein schaffen. Zusammen mit seinem Kollegen Andreas Anton vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) hat er das Lehrbuch »Die Gesellschaft der Außerirdischen« veröffentlicht. Darin werden verschiedene Szenarien beleuchtet: der Fernkontakt, der Fund von Alienartefakten und die direkte Begegnung in unserem Sonnensystem.

Wie könnte das erste Aufeinandertreffen verlaufen?

Szenario 1, der Fernkontakt: Ein außerirdisches Signal erreicht die Erde. Was wären die Folgen? Vermutlich keine allzu gravierenden. Jedenfalls im Alltag nicht, prognostizieren die beiden Forscher. »Das Auffangen eines lichtschnellen Signals, das – einmal angenommen – 1000 Lichtjahre zurückgelegt hat, bedeutet ja auch, dass dieses Signal vor 1000 Jahren ausgesendet wurde.« Demnach wäre die außerirdische Zivilisation noch sehr weit entfernt. Womöglich existiert sie gar nicht mehr, wenn die Botschaft ankommt. Irdische Belange könnten das Interesse an außerirdischem Leben schon bald wieder überlagern.

Szenario 2, die Menschheit findet im All oder auf der Erde Artefakte von Außerirdischen. Auch in diesem Fall wäre das Alter des Funds entscheidend. Ebenso, wie gut die Funktionalität des Objekts erhalten ist. Daran würde sich bemessen, wie intensiv und wie lange sich die Menschheit mit dem Fund befasst. »Je jünger und je funktionsfähiger das Objekt ist, desto mehr Interesse, aber auch kollektive Besorgnis wird der Fund auslösen«, sind Schetsche und Anton überzeugt. Für politischen Streit könnte zusätzlich die Frage sorgen, wer das Objekt – und eine womöglich damit verbundene Technologie – nutzen darf.

»Der Kulturschock wäre fatal und ein Börsencrash das Mindeste, was uns passiert«
Michael Schetsche

Vor allem Szenario 3, einen direkten Kontakt, sehen die Autoren pessimistisch. In einem weiteren Gedankenexperiment schildern sie die sozialen, politischen und religiösen Verwerfungen, die ein solches Ereignis auf der Erde auslösen könnte. Von Plünderungen und Hysterie ist die Rede; Nordkorea schießt eine Atomrakete ins All, die Welt steht kurz davor, sich selbst zu zerstören. Doch dazu kommt es nicht: Die künstliche Intelligenz, die das Ufo steuert, übernimmt auf der Erde das Kommando – »jetzt wache ich über euch«.

Die Passage liest sich wie ein Sciencefiction-Roman, doch Schetsche und Anton ist die Sache ernst. »Wer uns besucht, ist technisch überlegen«, sagt Schetsche. Man dürfe aber nicht voraussetzen, dass technischer Fortschritt dann auch mit ethischem Fortschritt einherginge. Wobei der Begriff »Ethik« an sich schon diskutabel sei, da er auf menschlichen Annahmen basiere. »Unsere irdischen Maßstäbe sind nicht das Maß aller Dinge.« Ebenso könne eine Zivilisation von einer künstlichen Intelligenz gesteuert sein oder aus einer solchen bestehen.

Noch genießt die Exosoziologie einen Exotenstatus. Ein verwandtes Feld ist die »Astrosoziologie«: eine Disziplin, die der amerikanische Soziologe Jim Pass mit seinem »Astrosociology Research Institute« (ARI) vertritt. Das Erkenntnisinteresse ist dort aber ein anderes. Es geht darum, wie sich die Menschheit durch die Raumfahrt entwickelt. Auf seiner Website schreibt Pass, er habe die Disziplin der Astrosoziologie 2004 ins Leben gerufen, »um eine Lücke in den Gesellschaftswissenschaften zu füllen, die fast so groß wie das Vakuum des Weltalls zu sein schien«. In seinem Institut forscht und lehrt allerdings niemand, sondern es vernetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen.

»Man weiß aktuell nicht, ob es überhaupt ein ›intelligentes Leben‹ außerhalb unseres Planeten gibt und ob es sich lohnt, in die Forschung zu investieren«
Johanna Groß, Soziologin, Kommunale Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen

In Deutschland tut sich die Fachwelt schwer, eine klare Haltung zur Exosoziologie zu finden. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) verweist auf Anfrage an Michael Schetsche zurück – er kenne sich mit den Fragestellungen besser aus. Johanna Groß, Vorstandsmitglied im Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS), antwortet per E-Mail. »Wenn man vom Grundsatz und der Zielrichtung ausgehen würde, dass unerforschte Gesellschaften und/oder ein intelligentes Leben … existieren würden, ist es sicherlich interessant, sich mit Exosoziologie … auseinanderzusetzen«, schreibt Groß, die an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen eine Professur innehat. Den (noch) fehlenden Kontakt zu Außerirdischen sieht Groß als größtes Risiko des Fachbereichs: »Man weiß aktuell nicht, ob es überhaupt ein ›intelligentes Leben‹ außerhalb unseres Planeten gibt und ob es sich lohnt, in die Forschung zu investieren.« Der Fokus sei daher »sehr spekulativ«. Dennoch sieht sie auch positive Aspekte: »Aus meiner Sicht kann ein möglicher Gewinn dieser Forschungsrichtung darin bestehen, sich über Best- und Worst-Case-Szenarien mit gesellschaftlichen sowie individuellen Denk- und Verhaltensmustern auseinanderzusetzen«, schreibt die Soziologieprofessorin.

Erstkontakt als Lehrinhalt

Derweil sind Michael Schetsche und Andreas Anton nicht mehr die Einzigen, die sich dezidiert mit Exosoziologie beschäftigen. Der Neueste im Bunde heißt Fabian Fries. Der Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hilt im Sommersemester 2020 erstmals ein Seminar mit dem Titel »Alien Attack?! – Die Gesellschaft der Außerirdischen«.

Die Resonanz sei ausgesprochen gut, sagt Fries. »Die Studierenden sind richtig angefixt.« Fries sagt von sich selbst, er befasse sich bevorzugt mit randständigen Forschungsthemen. Als 2012 ein großer Hype um das Ende des Maya-Kalenders entstanden war, betrieb er Feldforschung für ein DFG-Projekt – und traf Weltuntergangsgläubige. Für sein aktuelles Seminar greift der Wissenschaftler nun auf Schetsches und Antons Lehrbuch zurück. Er teilt deren eher pessimistische Grundhaltung. »Wenn wir aus der Menschheitsgeschichte eines gelernt haben«, sagt er, »dann, dass bei einem asymmetrischen Kulturkontakt die schwächere Seite immer den Kürzeren gezogen hat.«

Michael Schetsche möchte trotzdem nicht als Miesepeter missverstanden werden. »Ich habe durchaus Hoffnung«, sagt er. »Wenn es wirklich überlegene Lebensformen sind, auf die wir treffen, dann können diese vielleicht schon auf Erfahrungen mit anderen Erstkontakten zurückgreifen.« Vielleicht würden die Aliens dann die Atomrakete, die ein nervöser Menschengeneral ins All schickt, mit ihren hoch entwickelten Waffen sofort zerstören. Oder gleich die ganze Erde. Aber das weiß man eben erst, wenn es wirklich passiert.

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