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Expedition nach Arabien: Die Reise der Gescheiterten

Die erste europäische Forschungsreise auf die Arabische Halbinsel endete, bevor sie richtig losging. Kein Teilnehmer bis auf den Kartografen Carsten Niebuhr überlebte. Seine Schriften befeuerten vor 250 Jahren die Gelehrtenwelt.
»Kriegsübungen der Araber in Yemen«, Druck aus dem Jahr 1772 im Reisebericht von Carsten Niebuhr.
»Ich habe diese Übung im Reiten nirgends besser gesehen als zu Loheia (…) und derjenige, welcher seinen Gegner so in die Enge zu bringen wußte, daß er seiner Lanze nicht mehr ausweichen konnte, hatte gesieget.« Carsten Niebuhr beobachtete Anfang der 1760er Jahre im Jemen Militärübungen arabischer Fürsten.

Ein halbes Dutzend Männer schiffte sich im Januar 1761 in Kopenhagen ein. Im Auftrag des dänischen Königs sollten sie in den Orient segeln und als erste Europäer Arabien erforschen. Gut sechs Jahre später kehrte ein Einziger von ihnen zurück, der Mathematiker und Kartograf Carsten Niebuhr (1733–1815). Alle anderen Teilnehmer dieser ersten Wissenschaftsexpedition europäischer Gelehrter in die damals noch weitgehend unbekannte Region waren verstorben, der Malaria erlegen. Sie seien »Opfer der Wissenschaft« geworden, schrieb Niebuhr 1774 im ersten Band seiner »Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern«.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte der Heimkehrer wohl schon, dass seine Pionierleistung nicht gebührend anerkannt würde, jedenfalls nicht vom geistigen Vater der Unternehmung, Johann David Michaelis (1717–1791). Der Aufklärungstheologe und Professor für Orientalistik an der Universität Göttingen hatte Niebuhr bereits 1767 bei dessen Heimkehr kaum eines Wortes gewürdigt. Für Michaelis war die Expedition im Grunde schon knapp vier Jahre zuvor gescheitert. Damals waren ausgerechnet jene Forscher gestorben, von denen er sich am ehesten Antworten auf die brennendsten Fragen aus Bibelkunde, Philologie und Naturwissenschaften erhofft hatte. Fragen wohlgemerkt, die er von Gelehrten in ganz Europa zusammengetragen hatte. Der Mathematiker Niebuhr konnte ihm diese Antworten nicht geben, davon war Michaelis überzeugt. Sein Herzensprojekt war scheinbar in einem völligen Fehlschlag geendet.

Über Jahre hinweg hatte der Orientalist die Reise geplant und bereits 1755 eine rein wissenschaftliche Expedition nach Arabien angeregt. Die Südspitze der Arabischen Halbinsel erschien ihm ein besonders lohnendes Ziel. Zum einen war der Landstrich, den sich heute der Jemen, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate teilen, seit der Römerzeit als »Arabia Felix« bekannt, als das glückliche Arabien, das Reich der Königin von Saba, das legendäre Land von Weihrauch, Myrrhe und – im 18. Jahrhundert besonders begehrt – Kaffee. Zum anderen hatte zu jener Zeit tatsächlich noch kaum ein Europäer die Region besucht. Und die wenigen, die kamen, beschränkten sich auf Hafenstädte wie Mokka oder Muskat. Michaelis' Expedition sollte aber ins Landesinnere führen, wo die Reisenden tatsächlich Neues entdecken und Erkenntnisse gewinnen würden.

Die Bibel über das Arabische erforschen

»Dieß Land ist noch an uns unbekannten Geschenken der Natur reich; seine Geschichte steiget bis in allerälteste Zeiten hinauf«, schrieb Michaelis in seiner Vorrede zu den »Fragen an eine Gemeinschaft gelehrter Männer, die auf Befehl Ihro Majestät des Königes von Dänemark nach Arabien reisen«, die allerdings erst 1762, nach Abreise der Expedition veröffentlicht wurde. Zudem unterscheide sich das in Jemen und Oman gesprochene Arabisch vom westlichen, den europäischen Gelehrten bekannten Arabisch. »Und da dieß Arabische, welches wir kennen, bisher das sicherste Hilfsmittel zur Erklärung des Hebräischen gewesen ist, was für ein Licht müßen wir denn billig für das allerwichtigste Buch des Althertums, für die Bibel erwarten, wenn wir die östliche Dialect Arabiens so gut kennen, als die westliche?«

Carsten Niebuhr (1733–1815) | Der deutsche Mathematiker und Kartograf begab sich in dänischen Diensten auf eine Forschungsreise nach Arabien.

Arabien galt den damaligen Europäern als Region, in der sich seit biblischen Zeiten nur wenig verändert habe. Der Theologe erhoffte sich daher Einsichten für ein besseres Verständnis des Alten Testaments, etwa Klarheit über unbekannte Tiere in den Büchern Mose oder Erkenntnisse über eine etwaige ehemalige Landbrücke zwischen Afrika und Asien im Roten Meer – über welche die Israeliten einst dem Pharao entkommen sein könnten. Es gelang Michaelis, den aus Hannover stammenden dänischen Außenminister Johann Hartwig Ernst von Bernstorff (1712–1772) für das Projekt zu gewinnen. Ein Mann der Aufklärung, der seinerseits für die Finanzierung der Forschungsreise durch den dänisch-norwegischen König Friedrich V. sorgte.

»Wenn ein König eine solche Unternehmung bezahlt, will er in der Regel auch konkrete Ergebnisse sehen«, sagt Martin Krieger, Professor für die Geschichte Nordeuropas an der Universität Kiel. Eine von Gelehrten in ganz Europa aufmerksam verfolgte wissenschaftliche Expedition bedeutete natürlich einigen Prestigegewinn für den dänischen Monarchen, doch Friedrich verfolgte noch andere Interessen. »Dänemark war eine Kolonialmacht«, so der Historiker. »Und für die Dänen bedeutete Kolonialismus vor allem Handel.« Das Land unterhielt schon seit dem 17. Jahrhundert Stützpunkte in Westafrika und der Karibik. In den 1760er Jahren kamen Niederlassungen in Indien dazu.

Ziel war es, eine Kolonisierung auszukundschaften

Der Jemen und der Oman im Süden der Arabischen Halbinsel waren für den Dänenkönig aus wirtschaftlicher Sicht interessant. Zum einen lagen hier bedeutende Häfen, etwa das jemenitische Mokka, der wichtigste Umschlagplatz für Waren aus Indien und Afrika. Zum anderen hielten die Händler dieser Hafenstadt das weltweite Monopol für den Handel mit Kaffeebohnen. Auch Holländer, Briten und Franzosen hatten längst Niederlassungen in Mokka gegründet. Es lohnte sich also durchaus, dort ebenfalls vertreten zu sein.

Nachdem die Finanzierung gesichert war, stürzte sich Michaelis 1758 in die Vorbereitungen. Drei Jahre feilte er an der Unternehmung, an der er selbst gar nicht teilnehmen wollte. Er stellte auch die Reisegruppe zusammen. Als »Mathematicus und Astronomus« sollte Niebuhr die Aufgabe zufallen, die bereisten Gebiete zu kartografieren. Er bildete gemeinsam mit dem Philologen Frederik Christian von Haven, einem Kenner der »morgenländischen Sprachen«, und dem Naturkundler Peter Forsskål, Botaniker und Zoologe des Teams, die wissenschaftlichen Kernmannschaft der Expedition. Die drei jungen Akademiker lernten Arabisch oder frischten ihre bereits vorhandenen Kenntnisse auf und befassten sich mit Geschichte und Gegenwart des Orients. Außerdem bereiteten sie sich auf ihre jeweiligen Aufgaben vor. Niebuhr, der als Mathematiker auch die Geometrie der Landvermessung beherrschte, übte sich beispielsweise in der Bestimmung von Längen- und Breitengraden.

Um die Bedeutung der Expedition zu unterstreichen, sollten alle drei Absolventen der Universität Göttingen zu Professoren ihrer Alma Mater ernannt werden. Niebuhr lehnte dies bescheiden ab und wurde daraufhin zum Leutnant des dänischen Ingenieurskorps befördert. Ganz ohne offiziellen Rang ging es nicht: Die Männer sollten schließlich als Gesandte des dänischen Königs ins Morgenland fahren. Kurz vor der Abreise nach Arabien stießen der Arzt Christian Carl Kramer und der für die Kupferstiche zuständige Maler Georg Wilhelm Bauernfeind zu der Gruppe – außerdem ein schwedischer Dragoner namens Berggren, der die Forscher als ihr Diener begleitete.

Der König forderte Höflichkeit und Zurückhaltung

Unterdessen hatte Michaelis Wissenschaftler in ganz Europa dazu aufgerufen, ihm Fragen an die »Gesellschaft gelehrter Männer« zu schicken. Das nahm allerdings einige Zeit in Anspruch. Bei Aufbruch der Forscher lagen gerade mal zwei Fragen vor. Erst im folgenden Jahr veröffentlichte der Professor den Fragenkatalog mitsamt den königlichen Instruktionen.

»Vornehmer Araber« | Niebuhr lieferte eine Fülle an Wissen über Ägypten, den Jemen, den Oman oder auch Persien. Das Bild zeigt einen vornehm gekleideten jemenitischen Mann. Niebuhr: »Die Araber tragen das Hemd über ihre weite Beinkleider (sic!) von Leinwand. Sie haben eine Weste mit engen Ermeln, und einen weiten Oberrock. In ihrem großen Gürtel tragen sie eine Jambea d(as) i(st) ein großes Messer.«

Letztere ermahnten die Reisenden, »sich gegen die Einwohner Arabiens der grössesten Höflichkeit zu befleissigen« und insgesamt zurückhaltend aufzutreten. Außerdem sollten sie brauchbare Handschriften für die königliche Bibliothek in Kopenhagen erwerben. Nicht gefragt waren Abschriften des Koran, »die man nach jedem Türckenkriege in Europa weit wohlfeiler hat«. Willkommen waren hingegen »Schriften, die in die Naturgeschichte, in die Geographie und Historie laufen«.

Auch die 100 Fragen der Gelehrten Europas deckten ein breites Feld ab. »Ob die Zahnschmerzen und hohlen Zähne in Arabien seltener sind, als bei uns?«, wollte einer wissen. Ein anderer bat, die Namen in Erfahrung zu bringen, die der »gemeine Mann in dem innersten Arabien den Gestirnen« gibt. Und ein dritter fragte, wie man dort jene Maus nenne, »welche 400 Jahr vor Muhammeds Zeit vermittelst der Durchwühlung eines Dammes eine Überschwemmung verursacht hat«.

Kompetenzgerangel und Eifersüchteleien

Im Januar 1761 sollte es endlich losgehen. Doch die Reise stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Mehrmals zwang die stürmische Nordsee das Schiff in den Hafen von Helsingør zurück. Erst nach Wochen gelangten die Reisenden auf die offene See, im April war das Mittelmeer erreicht. Über Konstantinopel ging es nach Ägypten, wo die wissenschaftliche Reisegruppe erstmal für längere Zeit hängen blieb. Gemäß der königlichen Instruktion waren die Wissenschaftler ausdrücklich einander gleichgestellt, doch vor allem der Philologe von Haven, mit 33 Jahren der älteste, wollte sich damit nicht abfinden. Offenbar kam es zu Eifersüchteleien und Streitigkeiten zwischen den Reisenden. Besonders von Haven und Forsskål gerieten immer wieder aneinander, selbst zu Tätlichkeiten soll es gekommen sein. Per Post wandten sich die Männer an Kopenhagen und baten um Klärung im Kompetenzgerangel, unter anderem darüber, ob der Philologe zurückbeordert werden sollte. Die Antwort ließ auf sich warten.

Die Reisenden nutzten die Zeit unterschiedlich. Von Haven hielt sich hauptsächlich unter europäischen Diplomaten in Kairo auf, wo es sich gut leben ließ. Der Philologe glänzte mit »Untauglichkeit«, berichtete Niebuhrs Sohn, Barthold Georg Niebuhr, in der Biografie seines Vaters – untauglich »in Hinsicht seiner Sprachkenntnisse«, da der Göttinger Gelehrte lediglich ein akademisches Hocharabisch beherrschte. Auch sonst sei von Haven denkbar ungeeignet für die Expedition gewesen. »Sein einziger Gedanke war zurückzukehren, sein liebstes Gespräch von der gemächlichen Zukunft, die er sich alsdann versprach«, schrieb Barthold Georg und gab dabei wohl wieder, was sein Vater ihm erzählt hatte.

Forsskål und Niebuhr hingegen gingen bereits in Ägypten ihren Aufgaben nach. Der Naturkundler sammelte Pflanzen und schrieb Abhandlungen über Fauna und Flora Ägyptens. Niebuhr vermaß die Pyramiden von Giseh genauer als jeder Europäer vor ihm, zeichnete einen Stadtplan von Kairo oder kopierte Hieroglyphen. Auf der Reise war Niebuhr stets bemüht, seinen Auftrag zu erfüllen. Tag für Tag bestimmte er sorgfältig die Position, vermaß Wegstrecken, skizziert Pläne und Ansichten von Städten oder kopierte Inschriften. Schon in Kairo mischte sich der Kartograf unter das Volk, entwickelte sein Arabisch, beobachtete und notierte Eigenheiten und Bräuche der Einwohner, Historisches und Kuriositäten.

Tödliche Malaria

Nach mehr als einem Jahr Aufenthalt reisten die sechs Forscher weiter. Mit einem Pilgerschiff ging es über das Rote Meer nach Dschidda im heutigen Saudi-Arabien und von dort in den Jemen. Am Ziel angekommen unternahmen Forsskål und Niebuhr ausgedehnte Ausflüge ins Landesinnere. Doch das Glück war den Reisenden nicht hold im »glücklichen Arabien«. Schon bald erkrankte einer nach dem anderen an der Malaria, ohne sie zu erkennen. Als Erster starb im Mai 1763 von Haven in Mokka an der Krankheit, im Juli Forsskål auf dem Weg nach Sanaa. Die Überlebenden, ebenfalls allesamt krank, kehrten daraufhin umgehend in die Hafenstadt zurück und bestiegen ein englisches Schiff nach Indien, um von dort möglichst schnell nach Dänemark zurückzukehren. Noch während der Überfahrt starben der Maler Bauernfeind und der Diener Berggren. Schwer krank erreichten Niebuhr und Kramer im September Bombay, wo der Arzt schließlich im Februar 1764 ebenfalls verschied.

Persepolis | In den Ruinen des Palastes der alten Perserkönige dokumentierte Niebuhr 1765 Reliefbilder und Inschriften. Hier kombinierte er verschiedene Darstellungen in Persepolis, die heute noch an der Stätte zu sehen sind.

Niebuhr aber genas und beschloss im Herbst desselben Jahres, sich – wie in den königlichen Instruktionen vorgesehen – über Land auf den Heimweg zu machen und während der Rückreise möglichst viele der Aufgaben seiner Kollegen zu übernehmen. Deren Tagebücher, Zeichnungen, die angekauften Manuskripte und Bücher sandte er zusammen mit seinen eigenen Messungen und dem größten Teil der Ausrüstung auf einem englischen Schiff von Bombay über London nach Kopenhagen. Niebuhr selbst bestieg ein anderes Schiff, dass ihn in den Oman brachte – im leichten Gepäck auch den 1762 gedruckten Fragenkatalog von Michaelis, der ihn in Bombay erreicht hatte.

Von der Südspitze der Arabischen Halbinsel reiste der Mathematiker, meist als Araber gekleidet, nordwärts Richtung Europa. Unterwegs durchquerte er Persien und nutzte die Gelegenheit, Persepolis zu besuchen und dort den Auftrag des Königs an den Philologen zu erfüllen, »alte arabische und andere orientalische Inschriften abzuzeichnen«. Unter sengender Sonne kopierte der Mathematiker die Texte in altpersischer Keilschrift so detailgetreu, dass es dem Sprachforscher Georg Friedrich Grotefend (1775–1853) rund vier Jahrzehnte später dank Niebuhrs Zeichnungen gelang, die bis dahin unlesbare Schrift zu entschlüsseln.

Der Orientreisende entzündete sich bei der Gelegenheit allerdings die Augen. Sein Erblinden im Alter führte Niebuhr auf die Strapazen von Persepolis zurück. Trotzdem war für ihn der Aufenthalt in der antiken Stadt anscheinend der persönliche Höhepunkt der Reise. »Das Bild dieser Ruinen blieb ihm sein Lebelang unauslöschlich«, schrieb der Sohn. »Sie waren für ihn das Juwel von allem, was er gesehen.«

Zurück in Kopenhagen

Im November 1767 erreichte Niebuhr nach fast siebenjähriger Abwesenheit wieder Kopenhagen. Man habe den zurückgekehrten Orientreisenden »allergnädigst zur Audienz vorgelassen«, meldete der »Altonaische Mercurius« am 10. Dezember: »S(ein)e Majestät nahmen denselben, und den Bericht, den er von dem, was er auf seiner Reise ausgerichtet hat, abstattete, sehr gnädig und mit besonderen Wohlgefallen auf.« Ganz anders der Empfang durch Michaelis. Selbst als Niebuhr diesem einige Monate später seine eigenen Antworten auf manche der Fragen aus dem Katalog schriftlich mit der Bitte um Anmerkungen und Korrekturen schickte, reagierte Michaelis mit keinem Wort.

Niebuhr ging in seiner »Beschreibung von Arabien«, der 1772 veröffentlichten ersten Publikation über die Reise, dennoch auf einige der Fragen ein, wenn auch mitunter etwas boshaft. »Wenn es wahr ist, daß die Ochsen der Hottentotten sich gewöhnen lassen, sich des Nachts in einer Reihe dicht an dicht aneinander zu stellen, um den ankommenden wilden Thieren eine ganze Linie von Hörnern entgegenzusetzen (Michaelis 47te Frage), so müssen die arabischen Ochsen wohl dümmer sein, denn dergleichen Tugenden habe ich niemals von ihnen gehört.«

Brotverkäuferin | Unter einem Sonnenschirm sitzt eine verschleierte Frau und bietet Brot feil. Niebuhr sah sie in Dschidda. »Sie trägt Beinkleider und ein weites Hemdd ohne Gürtel. Über den Kopf hat sie einen großen Schleyer, und vor dem Gesichte ein schmales Stück Leinwand.« Mit diesen Worten beschrieb Niebuhr 1762 die Brotverkäuferin.

Der für Fachkreise gedachten »Beschreibung von Arabien« folgte zwei Jahre später der erste von drei geplanten Bänden seiner prächtigen »Reisebeschreibung nach Arabien« – der zweite erschien 1778, der dritte lange nach Niebuhrs Tod. Der Mathematiker, der seine Schriften im Selbstverlag herausbrachte, verlor bei dem Ausflug ins Verlagswesen sehr viel Geld, obwohl der dänische Staat die Kosten für die zahlreichen Kupferstiche übernahm. Die »Reisebeschreibung« erlebte laut Niebuhrs Sohn eine »verhältnismäßig laue Aufnahme«. Die nüchternen Beobachtungen aus Arabien gefielen der Leserschaft nicht, die in Büchern über den Orient spannend exotische Abenteuergeschichten erwartete. Dabei ist Niebuhrs Werk bis heute aufschlussreich und unterhaltsam – vor allem aber ausgesprochen vorurteilsfrei. »Mit seinem unentwegten Bemühen, die Weltinterpretation der Nichteuropäer, denen er begegnete, aus deren eigenem Denken heraus zu verstehen, war Carsten Niebuhr gewiss nicht typisch für die Reisenden seiner Zeit«, meint der Historiker Jürgen Osterhammel in seinem Buch »Die Entzauberung Asiens«.

Europas Gelehrte registrierten Niebuhrs Erkenntnisse sehr wohl. Es gelang ihm jedoch nicht im wissenschaftlichen Betrieb Fuß zu fassen. »Niebuhr bleibt der Reisende, der Rohstofflieferant für andere Gelehrte, die damit arbeiten, wie etwa Grotefend mit den Keilschriftkopien«, sagt der Historiker Krieger. Unterdessen war Außenminister Bernstorff abgesetzt worden, womit Niebuhr seinen bedeutendsten Förderer verlor. Auch die Universität Göttingen trug ihm nicht erneut eine Professur an, wie er gehofft hatte. Was angesichts des wortlosen Bruchs mit Michaelis allerdings nicht verwundert. Also blieb der Mathematiker im dänischen Militärdienst, wurde zum Ingenieur-Kapitän befördert und ließ sich zunächst in Kopenhagen nieder. Er heiratete und hatte zwei Kinder. Schließlich wechselte er 1778 in die zivile Verwaltung und arbeitete als Justizrat in Meldorf (Schleswig-Holstein), wo er 1815 verstarb, ohne jemals wieder eine große Reise unternommen zu haben.

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  • Quellen

Niebuhr, B.G.: Carsten Niebuhr's Leben. In: Kieler Blätter 3, 1816

Niebuhr, C.: Beschreibung von Arabien. Kopenhagen, 1772

Niebuhr, C.: Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern 1. Kopenhagen, 1774

Niebuhr, C.: Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern 2. Kopenhagen, 1778

Osterhammel, J.: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert. C.H. Beck, 1998

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