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Pionierflug: Experimentalflugzeug mit Ionenantrieb hebt ab

Flüsterleise Flugzeuge ganz ohne bewegliche Teile verspricht ein Antrieb, der auf Elektrizität und Ionenwind setzt. Ein Experimentalflugzeug schaffte jetzt immerhin 60 Meter.
Konzeptstudie des Ionenwindflugzeugs

Nur ein dünner weißer Vorhang trennt Steven Barretts provisorisches Labor von der Indoor-Laufbahn am Massachusetts Institute of Technology. Genau hier flog der Luft- und Raumfahrtingenieur kürzlich das erste Flugzeug, das durch Ionenwind angetrieben wurde. Es hält sich also dank eines elektrischen Triebwerks, das durch die Bewegung geladener Teilchen Vortrieb erzeugt, in der Luft. Barretts »Motor« kommt folglich ganz ohne bewegliche Teile aus.

Das Prinzip des Ionenantriebs auf ein Flugzeug übertragen zu wollen, war lange Zeit, das räumt auch Barrett ein, eine »weit hergeholte Idee«. Eher Sciencefiction als harte Wissenschaft. Versuchen wollte er es trotzdem. »Bei Raumschiff Enterprise haben Sie diese Shuttles, die lautlos vorbeifliegen«, sagt er. »Ich dachte: So etwas sollte es auch in echt geben.«

Barrett setzte auf den Ionenwindantrieb. Acht Jahre verbrachte er damit, die Technologie zu studieren, dann wagte er sich an den Bau eines Prototyps: ein Miniaturflugzeug mit echtem Ionentriebwerk – und kleinen ästhetischen Defiziten, wie Barrett findet. Das »schmutzige Gelb« seines Prototyps habe aber einen tieferen Sinn. Schwarze Farbe enthalte oft Kohlenstoff, der Strom leitet. Das hat dazu geführt, dass frühere Varianten des Flugzeugs beim Anschalten regelrecht geröstet wurden.

Sonderlich groß war seine Hoffnung auf den neuesten Prototypen, leidenschaftslos Version 2 genannt, allerdings auch nicht. »Bevor wir mit den Testflügen begannen, dachte ich, es gebe vielleicht eine 50:50-Chance«, sagt er. »Mein Kollege am MIT schätzte die Chance, dass es funktioniert, eher auf ein Prozent.«

Aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die sich alle nicht in der Luft halten konnten, segelte die Version 2 mit etwa 17 Kilometern pro Stunde rund 60 Meter durch die Luft. Ohne erkennbare Abgase und ohne röhrendes Triebwerk oder Propellerbrummen – es wirkt, als wäre das Flugzeug von einer ätherischen Macht leise bewegt worden. »Es war sehr aufregend«, erinnert sich Barrett. »Dann prallte es gegen die Wand, was nicht ideal war.«

Dennoch hatte Version 2 funktioniert, und Barrett und seine Kollegen veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachmagazin »Nature«. Der Flug sei eine Leistung gewesen, an der schon einige gescheitert waren, sagt Mitchell Walker, ein Luft- und Raumfahrtingenieur am Georgia Institute of Technology, der nicht an dem neuen Flugzeug gearbeitet hat. Barrett habe »etwas wirklich Einzigartiges fertiggebracht«, ergänzt er.

Weltraumtechnologie in dicker Luft

Dabei sind Ionenstrahltriebwerke keine Neuerung an sich; man setzt sie bereits seit Längerem im Weltraum ein, wo sie beispielsweise Sonden sehr effizient antreiben. An die Leistung von Raketen oder Strahltriebwerken reichen sie nicht heran, dennoch eignen sie sich sogar für Reisen in die Tiefen des Sonnensystems. Die Sonde Dawn etwa wurde auf ihrer Missionen zum Asteroidengürtel von einem Ionenstrahltriebwerk angetrieben. Da es im Weltraum keine Atmosphäre gibt, müssen solche Sonden einen Gasvorrat an Bord tragen, den sie ionisieren und mit Hilfe elektrischer Felder langsam ins All blasen. Im Weltraum, wo es keinen Luftwiderstand gibt, ist ihr geringer Schub ausreichend. Doch genügt er auch, um sich durch die dicke Luft der Erdatmosphäre zu bewegen? Jedem sei klar gewesen, dass ein Ionentriebwerk dafür nicht ausreichen würde, meint Walker. »Und keiner hatte eine Idee, wie es weitergehen sollte.«

© Nature
Die Entstehung des Ionenwindflugzeugs (englisch)

Aber Barrett und sein Team machten drei wesentliche Fortschritte, mit denen sie die Version 2 in die Luft brachten. Das Erste war das Design des Ionenwindantriebs. Die Aggregate der Version 2 bestehen aus zwei Reihen langer Metalldrähte, die unter den himmelblauen Tragflächen befestigt sind. Die erste Reihe führt etwa 40 000 Volt Strom – das ist ungefähr das 180-Fache der Spannung, die zu Hause aus der Steckdose kommt. Eine derart hohe Spannung trennt von den in der Umgebungsluft reichlich vorhandenen Stickstoffatomen einige Elektronen ab. Dadurch verwandeln sie sich in positiv geladene Ionen. Da die hintere Reihe von Metallfilamenten eine negative Ladung trägt, bewegen sich die Ionen wie magnetisierte Billardkugeln darauf zu. »Auf dem Weg dorthin gibt es Millionen von Kollisionen zwischen diesen Ionen und neutralen Luftmolekülen«, erläutert Barrett. Die Kollisionen schieben die Luftmoleküle Richtung Flugzeugheck, wodurch ein Wind entsteht, der das Flugzeug hinreichend stark nach vorne schiebt, damit es in der Luft bleibt. Die Schubkraft, die das nur 2,45 Kilogramm schwere, fünf Meter breite Flugzeug entwickelte, lag bei 3,2 Newton.

Eine weitere Innovation war laut Walker die Entwicklung eines leichten, aber leistungsstarken elektrischen Systems. Bevor dieses Flugzeug gebaut wurde, sagt er, habe es keine Systeme gegeben, die die Energie aus einer leichten Batterie effizient genug umwandeln konnten, um genügend Spannung für die Triebwerke zu erzeugen. »Die größte Herausforderung der Ionenstrahltriebwerke ist, dass sie 20 000 oder 30 000 Volt benötigen, um zu funktionieren. Hochspannung an einem Flugzeug ist nicht einfach«, sagt er. »Du willst mit 40 000 Volt an einem Flugzeug herumspielen? Dafür gab es gar keine Technologie. Steve hat einen cleveren Weg gefunden, um diese effiziente Umwandlung zu erreichen.«

Abstürze am Simulator

Und schließlich benutzte Barrett ein Computermodell, um das Beste aus jedem Designelement im Flugzeug herauszuholen, vom Aufbau des Triebwerks und des elektrischen Systems bis hin zu den Kabeln, die durch das Flugzeug führten. »Der Stromrichter, die Batterie, die Kondensatoren und der Rumpf – alles wurde optimiert«, sagt Barrett. »In den Simulationen gab es ständig Fehlschläge. Wir mussten Hunderte von Änderungen vornehmen.« Bis am Ende die erfolgreiche Version 2 stand.

Ein Nachteil, den auch Barrett und Kollegen nicht ausmerzen konnten, ist die geringe Effizienz derartiger Antriebe. Wie der Luftfahrtexperte Franck Plouraboué von der Université de Toulouse in einem Begleitkommentar erläutert, werden von dem Antrieb nur 2,6 Prozent der eingesetzten elektrischen Energie in Vortrieb umgesetzt. Rechnungen würden aber zeigen, dass diese Effizienz wächst – bei Geschwindigkeiten jenseits der 1000 Kilometer pro Stunde sogar auf Werte um die 50 Prozent.

Schätzungen zufolge könnte ein solcher Antrieb – nach einigen Verbesserungen – ausreichen, um extrem reduzierte Leichtgewichtsflieger wie das Solarflugzeug Solar Impulse 2 in der Luft zu halten. Wo jedoch nicht die Sonne die Energie liefert, stellt sich das Problem, an dem alle Elektroflugzeuge derzeit leiden: Die Energiedichte aktueller Batterien ist derart gering, dass ihr Gewicht empfindlich zu Buche schlägt, sobald hinreichende Energiemengen mitgeführt werden sollen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Flugzeug mit konventionellem Elektroantrieb oder einem Ionentriebwerk fliegt.

Ähnlich äußert sich auch Alec Gallimore, ein Luft- und Raumfahrtingenieur von der University of Michigan. Der Durchbruch von Barrett und Kollegen liefere einen eindrucksvollen Beleg dafür, dass man mit Ionenstrahltriebwerken auf der Erde fliegen kann, sagt der Forscher, der nicht an den Arbeiten beteiligt war. Doch auch seiner Meinung nach dürfte ein praktischer Einsatz der Technik auf wenige Gebiete beschränkt bleiben, denn Propeller und Jets seien um ein Vielfaches effizienter als Barretts Ionenwindtriebwerk. Ein bemanntes Flugzeug dürfte die Technik so bald nicht antreiben. Aber Barretts Innovation habe einen entscheidenden Vorteil: ihre Lautlosigkeit. Für Drohnen, die beispielsweise Gebäude inspizierten, könnte es sich als lohnend erweisen, diese Technologie weiterzuverfolgen, meint Gallimore.

Auch Barrett sieht Drohnen als plausiblen Anwendungsfall. Unbemannte Fluggeräte, die Pakete ausliefern sollen, Filmaufnahmen machen oder die Umwelt überwachen, würden von der Geräuscharmut profitieren. »Man bedenke, dass wir in 10 oder 20 Jahren von Drohnen umgeben sein könnten«, sagt er. »Wenn jede davon Lärm macht, wird das unsere Lebensqualität deutlich verschlechtern. Aber das hier, das ist ganz leise.«

Dieser Artikel ist eine von »Spektrum der Wissenschaft« übersetzte, redigierte und ergänzte Fassung des Artikels Silent and Simple Ion Engine Powers a Plane with No Moving Parts von »Scientific American«.

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