Krebsforschung: Extravaganter Schmuck
Bald nachdem sechs Londoner im Frühjahr 2006 testweise den Antikörper TGN1412 verabreicht bekommen hatten, schwollen ihre Köpfe unförmig an, manche lebenswichtige Organe versagten, schließlich entkamen zwei Probanden nur knapp dem Tod. Warum also weiterforschen, wenn Antikörper so gefährlich sind?
Niemand kann immer vorhersagen, wie die ersten Versuchspersonen auf ein Medikament reagieren, das gerade den Sprung von Tierversuchen zum Test am Menschen absolviert. Und deshalb passiert, trotz aller Studien im Vorfeld, auch sehr selten Furchtbares – wie bei TGN1412. Oder, leider noch fast genauso selten, Erfreuliches – wie beim Mittel Herceptin, das Brustkrebszellen bekämpft.
TGN1412 und Herceptin haben eines gemeinsam, sie sind monoklonale Antikörper – eine Antikörpervariante in Reinform. Sie lässt sich durch eine Fusion der passenden antikörperproduzierenden Zelle, einem B-Lymphozyten, mit einer Tumorzelle gewinnen, welche die Eigenschaft hat, sich ständig weiter zu vermehren. Dadurch wird der B-Lymphozyt quasi unsterblich, da er sich unentwegt vervielfältigt und die vielen identischen Nachkommen (die Klone) produzieren allesamt den einen (mono-) Antikörper.
Doch dass es bislang nur wenige Therapien mit monoklonalen Antikörpern gibt, liegt zu einem Großteil daran, dass erst ziemlich wenige solcher spezifischer Andockstellen auf Tumorzellen bekannt sind. Denn Krebszellen bilden zwar oft "falsche" Proteinvarianten, da sich in das kodierende Gen ein Fehler, eine Mutation, reingeschmuggelt und festgesetzt hat. Meist befinden sich diese mutierten Proteine aber innerhalb der Zelle, also unauffindbar für Antikörper, die dorthin nicht ohne weiteres vordringen können. Den Pool an passenden Andockstellen auf der Zelloberfläche zu vergrößern, wäre deshalb ein großer Schritt.
Einen solchen machte ein deutsch-amerikanisches Team um Andrea Schietinger und Hans Schreiber von der Universität Chicago. Die Forscher lösten sich davon, nur nach Veränderungen direkt in der Aminosäuresequenz von Proteinen zu suchen. Vielmehr erinnerten sie sich daran, dass Proteine nach ihrem Zusammenbau längst nicht fertig sind. Denn danach werden sie noch mit allerlei schmückendem Beiwerk versehen, unter anderem mit Zuckerketten.
Die verantwortlichen Schmucklieferanten sind ziemlich konservativ und behängen ein Protein immer mit denselben Ketten. In Krebszellen kann es aber sein, dass sie experimentierfreudig werden und plötzlich mit einem anderen Zucker dekorieren. Ein Oberflächenprotein mit ausgefallenem Geschmeide ist deshalb ein genauso gutes Ziel für eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern, wie eines mit Aminosäurefehlern.
Die Folge, zumindest bei Mäusen: Es bildet sich ein hochspezifischer monoklonaler Antikörper gegen diese Veränderung. Mutationen in Cosmc treten allerdings nicht nur bei Mäuse-, sondern auch bei menschlichen Tumoren auf, nachweislich etwa bei Zelllinien eines Kolorektalkarzinoms und leukämischer T-Zellen. So entsteht die äußerlich erkennbare Zuckervariante also auch auf Tumorzellen von Menschen – was neue therapeutische Angriffspunkte bieten könnte.
Außerdem besitzt eine solche Mutation im Gegensatz zu einer Veränderung in der Aminosäuresequenz eines Membranproteins einen entscheidenden Vorteil, so Schietinger und Kollegen: Sie schafft viele Ansatzstellen auf einem Schlag. Denn die Galaktosyltransferase bringt die schmückenden Zuckerreste nicht nur bei OTS8, sondern bei all ihren Kunden an der Oberfläche der Krebszellen durcheinander – und das sind einige.
Ob aus dieser Entdeckung tatsächlich einmal eine Therapie wird, steht noch in den Sternen. Wichtig ist aber vorerst, dass sie wieder daran erinnert, den Blickwinkel auf neue Angriffsziele monoklonaler Antikörper zu erweitern. Außerdem schenkt sie dem Feld rund um die therapeutische Anwendung dieser Antikörper nach dem TGN1412-Desaster wieder ein bisschen Zuversicht.
TGN1412 und Herceptin haben eines gemeinsam, sie sind monoklonale Antikörper – eine Antikörpervariante in Reinform. Sie lässt sich durch eine Fusion der passenden antikörperproduzierenden Zelle, einem B-Lymphozyten, mit einer Tumorzelle gewinnen, welche die Eigenschaft hat, sich ständig weiter zu vermehren. Dadurch wird der B-Lymphozyt quasi unsterblich, da er sich unentwegt vervielfältigt und die vielen identischen Nachkommen (die Klone) produzieren allesamt den einen (mono-) Antikörper.
Im Prinzip sind Antikörper ideale Therapiemittel. Denn sie sind extrem wählerische Eiweiße, die sich jeweils an nur eine bestimmte Struktur, das Antigen, festkrallen. TGN1412 klammerte sich beispielsweise an den so genannten CD28-Rezeptor auf T-Zellen, wichtigen Spielern des Immunsystems. Mit einem monoklonalen Antikörper, der spezifisch an einem Merkmal auf der Oberfläche von entarteten Zellen andockt, das sie von allen anderen Zellen unterscheidet, können Mediziner gezielt nach diesen Zellen fischen.
Doch dass es bislang nur wenige Therapien mit monoklonalen Antikörpern gibt, liegt zu einem Großteil daran, dass erst ziemlich wenige solcher spezifischer Andockstellen auf Tumorzellen bekannt sind. Denn Krebszellen bilden zwar oft "falsche" Proteinvarianten, da sich in das kodierende Gen ein Fehler, eine Mutation, reingeschmuggelt und festgesetzt hat. Meist befinden sich diese mutierten Proteine aber innerhalb der Zelle, also unauffindbar für Antikörper, die dorthin nicht ohne weiteres vordringen können. Den Pool an passenden Andockstellen auf der Zelloberfläche zu vergrößern, wäre deshalb ein großer Schritt.
Einen solchen machte ein deutsch-amerikanisches Team um Andrea Schietinger und Hans Schreiber von der Universität Chicago. Die Forscher lösten sich davon, nur nach Veränderungen direkt in der Aminosäuresequenz von Proteinen zu suchen. Vielmehr erinnerten sie sich daran, dass Proteine nach ihrem Zusammenbau längst nicht fertig sind. Denn danach werden sie noch mit allerlei schmückendem Beiwerk versehen, unter anderem mit Zuckerketten.
Die verantwortlichen Schmucklieferanten sind ziemlich konservativ und behängen ein Protein immer mit denselben Ketten. In Krebszellen kann es aber sein, dass sie experimentierfreudig werden und plötzlich mit einem anderen Zucker dekorieren. Ein Oberflächenprotein mit ausgefallenem Geschmeide ist deshalb ein genauso gutes Ziel für eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern, wie eines mit Aminosäurefehlern.
Genau so einen Fall haben Schietinger und Co nun genauer aufgeklärt. Sie entdeckten, dass in bestimmten Tumorzellen der Handlanger der Schmuckhändlerin Galaktosyltransferase – ein so genanntes Chaperon namens Cosmc – eine Mutation trägt. Da die Chefin, die Galaktosyltransferase, ohne ihren Chaperon-Mitarbeiter aufgeschmissen ist, schmückt sie den bereits angesteckten Zuckerrest N-Azetylgalaktosamin an der Aminosäure Threonin Nummer 77 ihres Kunden OTS8 nicht mehr mit einer bestimmten Brosche – dem Zucker Galaktose.
Die Folge, zumindest bei Mäusen: Es bildet sich ein hochspezifischer monoklonaler Antikörper gegen diese Veränderung. Mutationen in Cosmc treten allerdings nicht nur bei Mäuse-, sondern auch bei menschlichen Tumoren auf, nachweislich etwa bei Zelllinien eines Kolorektalkarzinoms und leukämischer T-Zellen. So entsteht die äußerlich erkennbare Zuckervariante also auch auf Tumorzellen von Menschen – was neue therapeutische Angriffspunkte bieten könnte.
Außerdem besitzt eine solche Mutation im Gegensatz zu einer Veränderung in der Aminosäuresequenz eines Membranproteins einen entscheidenden Vorteil, so Schietinger und Kollegen: Sie schafft viele Ansatzstellen auf einem Schlag. Denn die Galaktosyltransferase bringt die schmückenden Zuckerreste nicht nur bei OTS8, sondern bei all ihren Kunden an der Oberfläche der Krebszellen durcheinander – und das sind einige.
Ob aus dieser Entdeckung tatsächlich einmal eine Therapie wird, steht noch in den Sternen. Wichtig ist aber vorerst, dass sie wieder daran erinnert, den Blickwinkel auf neue Angriffsziele monoklonaler Antikörper zu erweitern. Außerdem schenkt sie dem Feld rund um die therapeutische Anwendung dieser Antikörper nach dem TGN1412-Desaster wieder ein bisschen Zuversicht.
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