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Stickstoff-9: Fachleute erschaffen Atomkern, der nicht existieren dürfte

Mit sieben Protonen auf nur zwei Neutronen ist Stickstoff-9 weit jenseits der theoretischen Existenzgrenze für Atomkerne. Das exotische Teilchen wirft die Frage auf, was man noch als Atomkern bezeichnen kann.
Ein vager orangefarbener Blob mit Kugeln drumherum.
Atomkerne jenseits der Tropflinie sind lediglich lose Ansammlungen von Nukleonen. Ihr Verhalten ist noch rätselhaft.

Die starke Wechselwirkung, die Protonen und Neutronen in Atomkernen zusammenhält, ist die stärkste aller Kräfte. Doch auch sie hat ihre Grenzen. Damit Atomkerne stabil sein können, müssen sie ähnlich viele Protonen und Neutronen enthalten – zu viel von einer Sorte, und der Kern wird instabil. Das betrifft insbesondere die Protonen, die sich durch ihre positive Ladung gegenseitig abstoßen. Die Grenze, ab der Atomkerne wegen eines solchen Überschusses an einem Kernbestandteil auseinanderzufallen beginnen, nennt man »Tropflinie« – die überzähligen Nukleonen tropfen aus dem Kern heraus.

Wie die Protonen und Neutronen solcher Kerne in der Grauzone der Existenz miteinander wechselwirken und wie groß solche exotischen Ansammlungen werden können, ist noch rätselhaft. Nun hat ein Team um Robert J. Charity von der Washington University in St. Louis den bislang exotischsten Atomkern jenseits der Tropflinie aufgespürt. Wie die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift »Physical Review Letters« berichtet, fand sie in Kollisionsexperimenten starke Hinweise auf die Entstehung von 9N – Stickstoff mit sieben Protonen und bloß zwei Neutronen. Bisher kannte man nur Kerne mit bis zu vier überschüssigen Protonen, zum Beispiel 8C mit sechs Protonen und zwei Neutronen.

Der neu entdeckte Atomkern befindet sich noch weiter als alle anderen in einer Grauzone der Existenz, die die Frage aufwirft, ab wann man einen Atomkern überhaupt noch als solchen bezeichnen kann. Denn die überzähligen Kernbestandteile sind nicht gebunden, sondern befinden sich lediglich in einem gemeinsamen resonanten Zustand. In 9N befinden sich mehr als die Hälfte der Kernteilchen in diesem ungebundenen Zustand. Bloß zwei Protonen und zwei Neutronen bilden einen gebundenen Cluster, der einem Heliumkern entspricht.

In ihrem Experiment schoss die Arbeitsgruppe den ebenfalls sehr protonenreichen Kern 13O auf eine Berylliumfolie und untersuchte die Streuprodukte der Kollisionen. Dabei fand sie, dass die Zerfallsenergien zu einem schnellen Verlust von Protonen aus 9N passen – insbesondere zeigten die Daten, dass das bereits bekannte 8C entstand, das sich bildet, wenn 9N das erste Proton verliert. Diese Art des Nachweises, bei dem man bereits bekannte Atomkerne aufspürt, die beim Zerfall eines noch unbekannten Kerns entstehen, nutzt man auch für die Entdeckung extrem schwerer Elemente.

Hinweise auf die Existenz des exotischen 9N hatte es schon früher gegeben. Das aktuelle Experiment liefert jedoch erstmals genug Daten, um erste Rückschlüsse auf die Eigenschaften des resonanten Zustands zu ziehen. Solche extremen Atomkerne sollen dazu beitragen, die noch sehr unvollständigen Modelle von Atomkernen jenseits der Tropflinie zu verbessern – und so mehr über das mysteriöse Verhalten von Elementarteilchen in diesen exotischen ungebundenen Zuständen zu erfahren.

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