Astrophysik: Fadenwirbelblasen und galaktische Geburten
Die merkwürdig unbekannte Struktur war Astronomen schon im Jahr 2004 aufgefallen: Etwa südlich vom Zentrum der Milchstraße verriet sie sich dem NASA-Weltraumteleskop Wilkinson MAP (WMAP). WMAP ist im Mikrowellenbereich empfindlich und soll vorwiegend die kosmische Hintergrundstrahlung – eine Art Echo des Urknalls -vermessen. Dafür scannt es mehrfach den gesamten Himmel ab und registriert alle Objekte in diesem Wellenlängenbereich. Im Rahmen einer erweiterten Datenanalyse hatten Astronomen dann alle bekannten Himmelskörper in unserer Milchstraße und auch die kosmische Hintergrundstrahlung aus den WMAP-Datenmassen herausgerechnet – und eine Überraschung erlebt, als ein bis dahin unbekannter, sehr schwacher "Nebel" übrig geblieben war.
Umgehend schossen Spekulationen über die Ursache dieser riesigen Struktur ins Kraut. Gasstrahlen, die vom zentralen Schwarzen Loch ausgehen und Teilchenwinde von explodierten Sternen (Supernovae) wurden ebenso diskutiert wie Strahlung, die entsteht, wenn sich Teilchen und Antiteilchen der mutmaßlichen Dunklen Materie gegenseitig vernichten.
Da das Signal in WMAP-Daten sehr schwach war, zweifelten einige Astronomen sogar an der Existenz des diffusen Nebels und sahen die Ursache in einer fehlerhaften Analyse. Doch dieses Argument ist spätestens seit zwei Jahren vom Tisch. Ende 2010 gelang einem Team amerikanischer Astronomen um Douglas Finkbeiner vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge (USA) der Nachweis dieser Struktur mit dem NASA-Weltraumteleskop Fermi. Die Forscher hatten die Beobachtungsdaten von insgesamt 600 Tagen addiert. Nachdem auch sie alle bekannten Objekte aus der Himmelsaufnahme entfernt hatten, blieb nicht nur der von WMAP gefundene Nebel übrig, sondern auch eine symmetrische Struktur nördlich des galaktischen Zentrums.
Fermi ist im Gammabereich von 20 Millionen Elektronvolt (MeV) bis 300 Milliarden Elektronvolt (GeV) empfindlich, empfängt also ausschließlich sehr energiereiche Strahlung, während WMAP energiearme Strahlung misst. Damit waren die beiden "Fermi-Blasen", wie sie genannt werden, über einen sehr weiten Spektralbereich hin nachweisbar.
Ende letzten Jahres kam eine weitere Bestätigung für WMAP. Das europäische Weltraumteleskop Planck, das im ähnlichen Wellenlängenbereich arbeitet wie WMAP, aber wesentlich empfindlicher ist, konnte ebenfalls beide "Blasen" nachweisen.
Die beiden keulenförmigen Regionen besitzen eine Längsausdehnung von jeweils 60 Grad, errechnet im Bezug auf die Entfernung des galaktischen Zentrums also 25000 Lichtjahren. Sie würden demnach mit 120 Vollmonddurchmessern als riesiger Nebel am Himmel erstrahlen – wenn sie denn heller, vor allem aber im sichtbaren Licht leuchten würden.
Die beiden Blasen liegen genau symmetrisch zur Milchstraßenebene und zu einer senkrecht dazu gedachten Achse, die durch das Zentrum verläuft. Das deutet darauf hin, dass sie in irgend einer Weise dem galaktischen Zentrum entspringen – welche Ursache dahinter stecken könnte blieb aber völlig unklar. Bis nun, Anfang dieses Jahres, Beobachtungen mit dem Parkes-Radioteleskop in Australien einen neuen Anstoß liefern konnten. Dabei konnte ein internationales Team um Ettore Carretti beide Blasen bei einer Wellenlänge von 13 Zentimeter eindeutig nachweisen und wesentliche neue Informationen gewinnen.
Zunächst einmal zeigt sich, dass die Radio- und die Gammablasen zwar in ihrer Ausdehnung nicht absolut identisch, ganz offenbar aber ursächlich miteinander verbunden sind. Aus allen verfügbaren Daten schließen die Astronomen, dass sie es mit Synchrotron-Strahlung zu tun haben: Sie entsteht immer dann, wenn sich beschleunigte Elektronen in einem Magnetfeld bewegen. Nach Carrettis Berechnungen bewegen sich die Teilchen mit enormen Geschwindigkeiten um 1000 Kilometern pro Sekunde vom Zentrum der Milchstraße fort. Dies reicht aus, um unser Sternsystem zu verlassen. Am Fußpunkt besitzen die Blasen einen Durchmesser von 650 Lichtjahren. Das entspricht genau der Ausdehnung eines Gasrings, der das galaktische Zentrum umgibt und in dem neue Sterne entstehen. Er enthält etwa 30 Millionen Sonnenmassen, was 5 bis 10 Prozent des molekularen Gases der gesamten Milchstraße entspricht.
Mit dem zentralen Schwarzen Loch haben die Blasen demnach nicht direkt etwas zu tun. Stattdessen haben die Radioastronomen die massereichen jungen Sterne des Gasrings im Verdacht, Teilchenwinde mit Elektronen zu erzeugen, die sich vornehmlich senkrecht zur Mittelebene der Milchstraße ausbreiten. Ursache für diese gerichtete Bewegung ist offenbar das Magnetfeld. Auch dieses konnten die Forscher direkt nachweisen: Eine Eigenschaft der Synchrotron-Strahlung ist ja eine starke Polarisation, das heißt, die Radiowellen schwingen vornehmlich in einer Ebene. Aus dem Polarisationsgrad konnten die Astronomen Magnetfeldstärken bis zu 1,5 Nanotesla nachweisen, was etwa zehnmal stärker ist als im interstellaren Raum.
Interessanterweise sind die Magnetfeldlinien in den Außenbereichen der Blase schraubenförmig verdreht. Carretti und Kollegen vermuten, dass das Magnetfeld in den aus elektrisch geladenen Teilchen bestehenden Blasen "eingefroren" ist. Das heißt, die Magnetfeldlinien sind an die Gasbewegung gebunden, ähnlich wie Papierfäden in einer Wasserströmung. Sie werden durch die Rotation des zentralen Gasrings, der sich um das Zentrum der Milchstraße dreht, verdrillt. Die Gesamtbewegung von aufsteigender Elektronenblase und mitgeführtem Magnetfeld kann man sich ähnlich vorstellen wie die strudelförmige Bewegung von Wasser in einem Mixer.
In dem Magnetfeld lassen sich mehrere Strukturen ausmachen, die vermutlich dadurch entstanden sind, dass Phasen starker Sternentstehung in mehreren Etappen stattgefunden haben. Carretti und Kollegen sprechen von einer "phonographischen Aufzeichnung." Nun könnte ein detaillierte Analyse der Magnet- und Gasstruktur Möglichkeiten eröffnen, die Sternentstehungsaktivität der letzten zehn Millionen Jahre in dieser Region der Milchstraße zu rekonstruieren.
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