Desinformation: Empörung ist der Treibstoff für Fake News
Empörung – definiert als eine Mischung aus Ärger und Abscheu vor einem Verhalten, das man als unmoralisch empfindet – ist ein zentraler Faktor, der darüber entscheidet, wie gut sich Informationen durch die sozialen Netze verbreiten. Das ergab eine Studie, für die eine Gruppe von Fachleuten mehr als eine Million Posts auf Facebook und Twitter ausgewertet haben. Ob eine dargebotene Information zutreffend war oder aus vertrauenswürdiger Quelle stammte, spielte dagegen eine eher untergeordnete Rolle, was die Frage des Weiterverbreitens anging.
Für die Untersuchung, die das Team um Molly J. Crocket von der Princeton University im Fachblatt »Science« veröffentlichte, haben die Fachleute eine Million Beiträge auf Facebook und etwa 45 000 Tweets ausgewertet. Als Gradmesser für die Empörung, die ein Post auslöste, zählten sie bei Facebook, wie viele Nutzende mit den verfügbaren Gefühls-Emojis ihrem Ärger Ausdruck verliehen. Bei Twitter analysierten sie mit Hilfe einer Software den Tonfall der Antworten. Dann setzten sie dies mit der Verbreitung des Links in Verbindung. Es zeigte sich, dass ein höherer Empörungsgrad mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einherging, dass ein Link weiterverbreitet, also von einem Nutzer mit den eigenen Followern geteilt wurde.
Die Daten stammten aus dem Jahr 2017 sowie aus dem Zeitraum von 2020 und 2021, als in den USA Präsidentschaftswahlen abgehalten wurden. Damals wurde Joe Biden zum US-Präsidenten gewählt und Twitter hieß noch nicht X.
Zudem betrachteten die Fachleute, ob sich der Wahrheitsgehalt einer Information auf die Wahrscheinlichkeit auswirkte, mit der sie mit anderen Usern geteilt wird. Dazu definierten sie vorab, welche Nachrichtenseiten sie als vertrauenswürdig einstuften und welche zum Publizieren von Fake News und Propaganda neigen würden. Die Links auf solche Fake-News-Seiten produzierten im Schnitt mehr Empörung als die Links auf vertrauenswürdige Seiten. Dadurch stieg auch die Wahrscheinlichkeit eines Reposts.
Dass die Nutzer empörenden Content selten inhaltlich prüfen, ergab auch die Auswertung der Facebook-Daten. Demnach hatten viele Nutzerinnen und Nutzer die Links vor dem Weiterverbreiten nicht angeklickt – ihre mutmaßliche Empörung speiste sich also ausschließlich auf Überschrift, Bild und Vorschau.
In weiteren Experimenten baten die Wissenschaftler eine Gruppe von Versuchspersonen darum, für ausgesuchte Links zu entscheiden, ob sie sie weiterverbreiten würden oder nicht. Außerdem sollten sie den Wahrheitsgehalt der Nachricht einschätzen. Hier zeigte sich, dass die User im Schnitt durchaus in der Lage waren, den Wahrheitsgehalt einer Nachricht korrekt einzuschätzen, und folglich auch Fake News als solche zu erkennen, allerdings änderte dies anscheinend nichts an ihrer Intention, die Links weiterzuverbreiten.
Offenbar, so die Autoren der »Science«-Studie, geht es den Nutzern und Nutzerinnen nicht so sehr darum, ihre Follower gut zu informieren. Hinter dem Teilen empörender Inhalte stehe vielmehr das Bedürfnis, die eigene moralische Integrität und Zugehörigkeit zu einem politischen Lager zu demonstrieren.
Dies hat nach Ansicht der Forscher Folgen für Versuche, Desinformation in sozialen Netzwerken einzudämmen: Wenn sich Nutzer vor allem emotional und nur sehr eingeschränkt inhaltlich mit den geteilten Informationen auseinandersetzen, sei das Potenzial von Factchecking als Mittel gegen Desinformation begrenzt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.