Hohe Feinstaubbelastung: Dicke Luft über Deutschland

Ans Lüften ist derzeit kaum zu denken. Über großen Teilen Mitteleuropas liegt in diesem Februar eine Glocke aus stark verdreckter Luft; besonders in der Nord- und Osthälfte Deutschlands herrscht der dickste Wintersmog seit vielen Jahren. Das Umweltbundesamt (UBA) warnt auf seiner Homepage vor einer »außergewöhnlich schlechten Luftqualität« im ganzen Land. Große Teile Deutschlands leuchten seit Tagen dunkelrot auf den Emissionskarten; die Schadstoffgrenzwerte werden flächendeckend überschritten. Ursache hierfür ist laut UBA grundsätzlich der Ausstoß von Feinstaub, das heißt von winzigen Staubpartikeln, die tief in die Lunge eindringen und die Gesundheit gefährden können. Fachleute raten wegen dieser hohen Feinstaubbelastung sogar von Sport im Freien ab.
Dass die Luftqualität in ganz Mitteleuropa derzeit so außergewöhnlich schlecht ist, liegt aber nicht nur an den Feinstaubemissionen, sondern auch an einer speziellen Wetterlage. Kommt beides zusammen, bildet sich am Boden eine Schadstoffsuppe, die nicht abziehen kann. Meteorologisch verantwortlich ist die so genannte Inversionswetterlage, die in diesem Winter schon mehrfach für dicke Luft und kalte Nasen gesorgt hat. Ein kräftiges Hochdruckgebiet über Europa blockiert dabei die normalerweise vorherrschende Westströmung. Zudem kehren sich die Verhältnisse in der Atmosphäre um: Oben ist es warm, unten kalt. Wie ein Deckel legt sich Warmluft über die schwere Kaltluft in den Tälern – der vertikale Luftaustausch wird behindert.
Dann lebt es sich in den Niederungen wie unter einer Käseglocke: Weil kaum Wind weht, reichert sich die Luft mit Schadstoffen an. Je länger die Inversion anhält, desto höher steigen die Werte – Feinstäube sind stabil und ziemlich langlebig. Ist es zudem kalt, wird besonders viel geheizt, das treibt die Emissionen zusätzlich nach oben. Und irgendwann wird die Luftbelastung so extrem, dass sie für die Gesundheit bedenklich wird. Dieser Zustand ist in Deutschland jetzt erreicht.
Schuld sind Feinstaubemissionen und Inversionswetterlage
»Der Wind entscheidet bei uns in Mitteleuropa im Winter über die Schadstoffbelastung der Luft«, sagt Harald Flentje, Aerosolwissenschaftler beim Deutschen Wetterdienst. Zu Beginn der zweiten Februarwoche konnte auch er die dicke Suppe sehen. Flentje forscht auf dem Hohen Peißenberg im Süden Bayerns. Der Berg steht wie ein Turm im Alpenvorland; normalerweise reicht die Sicht von dort bis weit hinter München. Plötzlich zog an jenem Morgen jedoch eine Dunstschicht auf, die alles verhüllte, erinnert er sich. Es dauerte nicht lange, dann war die Zugspitze nicht mehr zu sehen. Als er auf die Messinstrumente schaute, staunte er nicht schlecht: Der Wert bestimmter Feinstaubpartikel war kurzzeitig über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft geklettert – normal sind dort eher 10 Mikrogramm. Flächendeckend herrschte in Bayern und Baden-Württemberg dichter Smog.
Im Süden Deutschlands ist die Schadstoffsuppe bereits wieder verschwunden, dafür hängt sie jetzt seit Tagen über dem Westen, der Mitte und dem Norden. Verbreitet liegen die Werte auch hier über 50 Mikrogramm, vereinzelt sind sie sogar auf mehr als 70 Mikrogramm pro Kubikmeter gestiegen. Da kaum Wind weht, dürfte die Suppe hausgemacht sein, sagt Flentje. Denkbar wäre allenfalls, dass Luft aus Polen herangeweht wurde, die wegen der zahlreichen Kohlekraftwerke als besonders dreckig gilt. Um die Herkunft von Luftmassen zu identifizieren, nutzen Aerosolwissenschaftler Schadstoffanalysetechniken: Eine gängige Methode zur Quellzuordnung nennt sich positive Matrix-Faktorisierung. In einem komplizierten Verfahren wird untersucht, aus welchen Quellen sich eine Luftmasse zusammensetzt. Die Forscher messen dazu die Größe der Partikel, ihre Verteilung sowie ihre chemische Zusammensetzung und sie identifizieren Marker für verschiedene Quellen. So können sie am Ende die Herkunft bestimmen und gewichten.
»Im Gegensatz zu Öl und Gas verbrennt Holz unvollständig und die Schadstoffe gelangen völlig ungefiltert in die Luft«Harald Flentje, Aerosolforscher
Eine exakte Luftanalyse wurde bislang nicht vorgenommen. Im Wesentlichen dürften die hohen Feinstaubwerte aus Verbrennungsprozessen stammen, ist Harald Flentje überzeugt. Heizungen und Verkehr seien üblicherweise die Hauptquellen für Feinstaub. Hinzu kommen Emissionen aus der Landwirtschaft und Reifenabrieb aus dem Verkehr. Flentje kann sich in der derzeitigen Lage gut vorstellen, dass die Suppe vor allem durch Holzöfen zu Stande kommt. Im Gegensatz zu Öl und Gas verbrennt Holz unvollständig und die Schadstoffe gelangen völlig ungefiltert in die Luft. Somit machten etwa 10 Prozent der Kleinfeueranlagen rund 80 Prozent des Drecks aus, sagt er. Dreck, der nicht abtransportiert wird. Grundsätzlich sei der Straßenverkehr aber die wesentlich stärkere Quelle, sagt Flentje. Zwischen Stadt und Land gebe es große Unterschiede.
Achim Dittler ist davon überzeugt, dass die Luftverschmutzung vor allem auf das Konto heimischer Holzöfen geht. Der Professor am Karlsruher Institut für Technologie forscht seit Jahren zur Gasreinigung und Luftreinhaltung. In Stutensee bei Karlsruhe unterhält er eine Messstation in einem Wohngebiet. Außergewöhnlich hohe Werte misst er dort seit dem Wochenende immer wieder. Der Tag mit der höchsten Feinstaubbelastung sei der 10. Februar gewesen, berichtet er. Im Tagesmittel maß er bei manchen Feinstaubpartikelfraktionen 45 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. An den Abenden allerdings kletterten die Werte in extreme Höhen, bis zu 90 Mikrogramm habe er gemessen. Das sei der typische Anstieg, den er aus dem Holzofenbetrieb kenne, weil die Öfen vor allem abends angefeuert werden. Aus diesem Grund sei es unwahrscheinlich, dass die Stäube etwa aus Polen herantransportiert wurden. »Die Luft stand«, sagt er.
Das Thema Holzofen polarisiert in Deutschland jeden Winter – und oft wird trotz extremer Luftverschmutzung die Ursache vorschnell auf den Verkehr geschoben. Dabei werden die Autos seit Jahren sauberer. Hinzu kommt, dass das Messnetz große Lücken hat und Stationen vor allem an viel befahrenen Straßen stehen, jedoch nicht in Wohngebieten. In den Dörfern, aber auch im Umland der Großstädte wird praktisch nicht gemessen. Und wo keine Messung, da ist auch kein Problem.
So wird die Gefahr für die Gesundheit, die von der Holzverbrennung ausgeht, von der Politik seit Jahren ignoriert. Die Luft sei besser geworden, heißt es lapidar. Aber das stimmt nur entlang der Hauptverkehrsstraßen. In Wohngebieten seien Holzöfen Ursache des größten Luftreinhalteproblems, sagt Achim Dittler. Jeden Winter wird das deutlich. Doch die Folgen für die Gesundheit sind offensichtlich kein Thema, das die Parteien ernst nehmen. Kein einziger Politiker setzt sich im Bundestagswahlkampf für weniger Holzverbrennung und sauberere Luft in den Wohngebieten ein. Es gibt keine Überlegungen, während windarmer Inversionswetterlagen das Anheizen von Kaminöfen zu verbieten. Die Union will das Heizen mit Holz sogar wieder fördern, heißt es im Wahlprogramm. Auch Bayern und Nordrhein-Westfalen setzen auf Holz als Brennstoff. Die Lage ist vertrackt: Viele Politiker dürften mittlerweile wissen, was Feinstaub im Körper anrichtet, aber keine Partei legt sich freiwillig mit Holzofenbesitzern an.
Risikobewusstsein für Feinstaub gering
Auch in der Gesellschaft scheint es nicht als Problem wahrgenommen zu werden. Nicht joggen wegen ein bisschen Staub in der Luft? Viele Menschen empfinden die Warnungen als übertrieben. Mediziner dringen mit ihren Warnungen vor den Krebs erregenden Stäuben kaum durch. Dabei wissen die Forscher mittlerweile sehr gut darüber Bescheid, wie der Dreck in der Luft den Körper gelangt und dass er ihn schädigt.
Ein Grund für die verbreitete Ignoranz ist möglicherweise schon der Name des Problems: Feinstaub. Bei feinen Stäuben denkt niemand an Gefahr, zudem sind sie unsichtbar. Hinzu kommt, dass es um die generelle Risikokompetenz von Menschen meist nicht sonderlich gut bestellt ist. Sichtbare Gefahren wie etwa Terroranschläge, die starke Emotionen hervorrufen, werden als deutlich riskanter eingestuft als schlechte Luftqualität.
Doch das ist ein gefährlicher Trugschluss. Epidemiologen bezeichnen Feinstäube als »silent killer«, mindestens 238 000 Menschen sterben jedes Jahr in der EU vorzeitig wegen verdreckter Luft. Manche Forscher nennen sogar noch deutlich höhere Zahlen. Damit gehört Feinstaub neben Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes und Übergewicht zu den größten Gesundheitsrisiken. Dabei gilt: Je kleiner die Stäube, desto gefährlicher sind sie. Vor allem die extrem winzigen Partikel mit einem Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer (PM2,5) dringen tief in die Lunge ein und sind deutlich gefährlicher als die größere Fraktion, der Feinstaub PM10. Der Grenzwert für Feinstaub PM10 liegt bei 50 Mikrogramm, für Feinstaub PM2,5 liegt er bei 25 Mikrogramm. Allerdings existiert für die winzigen, lungengängigen Partikel bislang nur ein Jahresmittelwert.
Menschen sterben im Schnitt früher, wenn sie an einem Ort mit hoher Luftverschmutzung leben
Dabei ist Feinstaub schon in kleinen Mengen gesundheitsschädlich. Bereits seit vielen Jahrzehnten ist unter Toxikologen und Epidemiologen bekannt, dass Menschen im Schnitt früher sterben, wenn sie an einem Ort mit hoher Luftverschmutzung leben. Ein klassisches Beispiel ist die berühmte Harvard-Six-Cities-Studie, die im Dezember 1993 im »New England Journal of Medicine« veröffentlicht wurde und deren Ergebnisse seither mehrfach reproduziert wurden. Indem die Autoren 8100 erwachsene Probanden aus sechs US-amerikanischen Städten mehr als zehn Jahre lang begleitet haben, konnten sie schon vor gut 30 Jahren beweisen, dass gesteigerte Feinstaubkonzentrationen das Risiko signifikant erhöhen, früh zu sterben.
Weniger gut verstanden ist allerdings, wie die Krankheiten genau entstehen. Vor allem die winzigen Feinstäube gelten als besonders gesundheitsschädlich, weil sie tief in die Lunge eindringen und oxidativen Stress und schließlich Entzündungen auslösen, die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems zur Folge haben können. Besonders Vorerkrankte, Kinder und Lungenkranke sind betroffen. Wer häufig schlechte Luft einatmet, hat zudem ein höheres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Allein wegen dieser Befunde fordert die Weltgesundheitsorganisation schon seit einigen Jahren schärfere Grenzwerte.
Und wie lange bleibt die Glocke aus schlechter Luft noch über dem Land hängen? Meteorologen erwarten, dass die außergewöhnlich hohe Luftverschmutzung auch am Freitag, 14. Februar, noch anhält, allerdings zieht sie langsam nach Süden ab. Zum Wochenende könnte es eine Verschnaufpause geben. Danach jedoch baut sich schon das nächste Hochdruckgebiet auf. Es bringt verbreitet Sonne, zeigt aber auch: Die Zeit der Inversionswetterlagen ist noch nicht vorbei.
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