Landwirtschaft: Droht die Knollenkrise?
Droht Deutschland eine veritable Knollenkrise und ist Deutschlands liebstes Grundnahrungsmittel durch das feuchte Wetter bedroht? So hört es sich jedenfalls beim Deutsche Bauernverband an, der zugleich den Untergang des heimischen Kartoffelanbaus befürchtet und die Versorgung mit Erdäpfeln gefährdet sieht. Ausgerechnet im Land der Kartoffeln.
Es ist ein alter Bekannter, der den Bauern 2024 das Leben schwer macht, ein Pilz, der seit fast zwei Jahrhunderten bekannt ist – und Europa schon einmal in eine große Krise stürzte. Die Rede ist von Phytophthora infestans, meist nur Phytophthora genannt, besser bekannt als Kraut- und Knollenfäule oder Braunfäule. Der Pilz kann zu regelrechten Epidemien auf den Äckern führen. Nach Europa wurde der Erreger erstmals im Jahr 1843 eingeschleppt, er sorgte für die große Hungersnot in Irland. Eine Million Menschen starben, eine weitere Million wanderte nach Amerika und Australien aus.
Phytophthora ist geblieben. Der Pilz frisst sich in die Kartoffelpflanze, breitet sich rasant auf den Feldern aus und vernichtet die Ernten innerhalb weniger Tage. Ist ein Acker erst einmal von dem Schädling befallen, ist es meist schon zu spät. Im Sommer 2024 ist er wieder sehr aktiv. »Die Gefahr massiver Krautfäule ist so groß wie schon lange nicht mehr«, sagt Olaf Feuerborn, Vorsitzender des Kartoffelausschusses beim Deutschen Bauernverband und Vorsitzender der Deutschen Kartoffelwirtschaft.
Von einer schwierigen Lage für die Kartoffelbauern spricht auch Thilo Hammann vom Julius Kühn-Institut in Sanitz bei Rostock; den Anbau oder die Versorgung mit Kartoffeln sieht er aber nicht gefährdet. Der Agrarwissenschaftler arbeitet im Institut für Züchtungsforschung an landwirtschaftlichen Kulturen und forscht schon seit 17 Jahren zu Phytophthora. Vor allem in Süddeutschland seien viele Kartoffelbauern derzeit mit dem Erreger konfrontiert, das nasse Wetter der vergangenen Wochen biete ihm ideale Bedingungen, sagt Hammann. Zudem könnten viele Bauern wegen der feuchten Bedingungen ihre Felder nicht befahren und die jungen Pflanzen mit Fungiziden vor dem Pilz schützen.
Wetterextreme mehren sich
Nässe statt Dürre: Das Jahr verläuft bislang konträr zu seinen Vorgängern, in vielen Landesteilen fielen Mai und Juni buchstäblich ins Wasser. Der Regen schien zunächst ein Segen für die Kartoffelbauern zu sein. Nach der Pflanzzeit im April wuchsen die Jungpflanzen gut, sagt Hammann. Es bildeten sich dichte, fette Büsche und keine kargen Triebe wie in den Vorjahren. Alles sah nach einer guten Ernte aus.
»Die Infektion verläuft ratzfatz«Thilo Hammann, Agrarwissenschaftler
Doch nach dem großen Regen trockneten zahlreiche Kartoffeläcker nicht mehr ab oder gingen im Unwetterregen Ende Mai komplett unter. Viele Bauern beobachteten plötzlich seltsame dunkle Flecken auf Blättern oder Stängeln; ein klarer Beleg für Phytophthora. Die Flecken sind ein typisches Symptom der Krankheit: Erst verfärben sich die Blattränder wässrig grün bis braun, dann bildet sich an der Unterseite der Blätter ein weißer Pilzrasen. Die Pflanze fault und stirbt oberirdisch. »Die Infektion verläuft ratzfatz«, sagt Thilo Hammann. Der Wind verbreitet die Sporen im Feld, der Regen spült sie in den Boden zu den Knollen.
Schon nach einigen Tagen ist das Kartoffelfeld nicht wiederzuerkennen. Wo vormals saftige Pflanzen gediehen, sind nur noch welke, kümmerliche Stauden übrig. Andere Erreger haben dann leichtes Spiel. Und im Boden faulen die Knollen vor sich hin. Ein ganzer Bestand kann so innerhalb von ein paar Tagen vollständig vernichtet werden. Der Erreger stammt meist von alten befallenen Knollen, die im Lager überwintern und im Frühling beim Pflanzen wieder aufs Feld gelangen. Ist das Wetter nass und kühl, bildet der Pilz auf den feuchten Blättern neue Sporen und infiziert nach und nach die ganze Pflanze.
Extremsituation bei Kartoffeln
Von einer Extremsituation bei den Kartoffeln spricht auch Andreas Brömser, Agrarmeteorologe beim Deutschen Wetterdienst. Die Situation sei für die Landwirte eine große Herausforderung, so etwas habe er noch nicht erlebt. Zwar stehen den konventionellen Bauern etwa zehn Spritzmittel zur Verfügung, die je nach Wetter bis zu 15-mal pro Saison aufs Feld gebracht werden. Aber der Infektionsdruck sei so groß, dass selbst die Fungizide nicht mehr helfen, sagt Brömser. Noch schlimmer ist die Lage im Ökoanbau, in dem nur Kupfer gegen die Braunfäule eingesetzt werden darf. Bei dem vielen Regen werden solche Mittel aber rasch von den Blättern gewaschen und in den Boden gespült, wo die Schwermetallbrühe sich anreichert und die Bodenorganismen stört.
Weniger problematisch ist das nasse Jahr dagegen für eine andere Pflanze, die von Braunfäule betroffen sein kann: die Tomate. Im Gegensatz zu den Kartoffeln werden sie fast ausschließlich im Gewächshaus angebaut; dort sind die Bedingungen gut kontrollierbar. Deshalb hat Brömser keine Meldungen von Ausfällen oder Problemen erhalten, allenfalls die hohe Luftfeuchte könnte die Anbaubedingungen in diesem Jahr erschweren. Bei Hobbygärtnern hingegen könne er sich gut vorstellen, dass der Pilzdruck in diesem Jahr hoch sei.
Ein anderer Erreger setzt wiederum den Zuckerrüben zu. Hier mache Cercospora beticola den Bauern das Leben schwer, berichtet Andreas Brömser, denn der Pilz löst bei den Pflanzen die Blattfleckenkrankheit aus. Diese rundlichen Flecken mit dem rötlichen Rand gelten als die wichtigste und schädlichste Krankheit der Zuckerrübe, sie mindern Rübenertrag und Zuckerausbeute erheblich. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BLV hat deshalb gerade Notfallzulassungen für vier Pflanzenschutzmittel erteilt, meldet die »Agrarzeitung«.
Pilze nicht das einzige Problem
Pilzkrankheiten sind aber nicht das einzige Problem in diesem nassen Sommer. Die Bauern haben enorme Schwierigkeiten, Heu zu machen und das Getreide zu ernten. Mancherorts kamen sie lange Zeit gar nicht auf die Felder. Der erste Heuschnitt, der üblicherweise im Frühsommer ansteht, war bereits eher ein Notschnitt, denn um ordentlich Heu zu machen, brauchen die Bauern mindestens drei trockene Tage, weil das geschnittene Gras gewendet werden muss. Da es eine stabile Wetterphase mit mehreren trockenen Tagen im Juni aber fast nirgendwo gab, war das Heu am Ende meist zu weit abgereift oder zu trocken, wie Bauern sagen. Selbst die Pferde hätten das Heu, das eigentlich für die Fütterung der Rinder vorgesehen ist, nicht mehr gefressen, berichtet Andreas Brömser, mancherorts landete es deshalb in der Biogasanlage.
Ebenfalls angespannt ist die Lage jetzt zur zweiten Heuernte, denn im Juli setzte sich das unbeständige Wetter bisher fort. Viele Bauern fragen sich, ob sie weiter warten sollen und damit die Heuernte riskieren oder ob sie auf die trockenen Wetteraussichten in dieser Woche vertrauen sollen. Bis zum Wochenende (20. Juli) deuten die Wettermodelle erstmals in diesem Sommer auf eine längere, trockene und stabile Phase ohne Regen oder Gewitter in großen Teilen des Landes hin. Für die Getreideernte dürfte dieser Zeitraum auf alle Fälle reichen, es braucht nur ein bis zwei Tage, um Korn zu machen. Die Bauern dürften deshalb zumindest eine Durchschnittsernte einfahren, erwartet der Deutsche Bauernverband.
»In manchen Regionen Ostdeutschlands hängt kein Apfel mehr am Baum«Andreas Brömser, Agrarmeteorologe
Bei vielen Obstsorten ist das in diesem Jahr schon nicht mehr möglich. In vielen Anbaugebieten haben Spätfröste Ende April massive Schäden verursacht, betroffen sind Apfel und Birne, Kirsche und Pflaume sowie Beerenobst. »In manchen Regionen Ostdeutschlands hängt kein Apfel mehr am Baum«, sagt Agrarmeteorologe Brömser, betroffen ist vor allem Sachsen. Zudem habe der Frost auch in den Weinbergen zugeschlagen, viele Blüten sind erfroren.
Mit wenigstens einer Durchschnittsernte rechnet bei den Kartoffeln hingegen niemand mehr. Schuld daran ist nicht nur das Wetter, sondern ebenso die Bauern selbst. Da ohne regelmäßige Spritzkuren keine Kartoffelpflanze überleben kann, muss immer wieder mit unterschiedlichen Fungiziden gespritzt werden. Die niederländische Phytophthora-Taskforce rief ihre Mitglieder Ende darum schon im Mai dazu auf, die Spritzungen in diesem Jahr besonders sorgfältig durchzuführen und die Dringlichkeit dieser Maßnahmen nicht zu unterschätzen. Der Grund: Ein »dramatisches Phytophthora-Jahr« stehe bevor. Dabei sollten die Wirkstoffe immer kombiniert und abgewechselt werden.
Gerade das scheint in den vergangenen Jahren nicht beachtet worden zu sein. In Dänemark zum Beispiel sei der Schädling wohl hauptsächlich mit einem einzigen Wirkstoff bekämpft worden, sagt Thilo Hammann, weshalb sich mittlerweile Resistenzen gebildet hätten. Die Folge dieser Bekämpfung sieht man in der ganzen EU: Zwei Stoffe wirken mittlerweile kaum mehr. Zudem sieht die neue Pestizidverordnung der EU vor, dass der Einsatz von Pestiziden bis zum Jahr 2030 halbiert wird. Hochwirksame Fungizide, die die Umwelt belasten, sollen ganz vom Markt verschwinden.
»Über alle Kulturen gemittelt dürfte die Ernte in diesem Jahr gut ausfallen«Andreas Brömser
Die Hoffnungen der Branche liegen deshalb auf neuen Züchtungen, die resistent gegen den Hauptgegner der Kartoffel sind. Doch da die daumennagelgroßen, widerständigen Wildkartoffeln ungenießbare Bitterstoffe in hoher Konzentration enthalten, ist das Ergebnis selten wie gewünscht und Rückkreuzungen oft erforderlich. Außerdem dauert die Entwicklung einer neuen Sorte mindestens zehn Jahre.
CRISPR-Cas als Hoffnungsträger
Die Zeit drängt, auch weil Phytophthora schnell in der Lage ist, Resistenzgene zu überwinden. Das macht die Pilzabwehr so schwierig. Die naheliegendste Lösung wäre deshalb, die Genschere CRISPR-Cas anzuwenden, um die Kartoffel für eine Zukunft mit immer mehr Stressfaktoren wie Trockenheit, Starkregen oder aggressiveren Stämmen der Braunfäule zu wappnen. Aber das ist wegen des komplexen Genoms der Kartoffel, die gleich über vier Chromosomensätze verfügt, methodisch alles andere als einfach; zudem müssen genomveränderte Lebensmittel in der EU gekennzeichnet werden, was faktisch einem Verbot gleichkommt. Für solche Lebensmittel existiert kein Markt. Vorerst bleibt den Kartoffelbauern also nur die Pestizidspritze, um gesunde Kartoffeln zu produzieren.
Die CRISPR-Cas-Methode ist ein Werkzeug der Molekularbiologie. Mit ihr können Wissenschaftler die DNA eines Organismus an einer beliebigen Stelle gezielt schneiden. Die zelleigenen Reparaturenzyme fügen die beiden losen Enden der Schnittstelle anschließend wieder zusammen. Passiert das inmitten der Basensequenz eines Gens, wird das Gen dadurch meistens abgeschaltet, weil der reparierte Strang eine leicht veränderte Sequenz aufweist. Stellt man den zellulären Reparaturenzymen, während sie den Strang kitten, ein DNA-Stück zur Verfügung, dessen endständige Basensequenzen mit denen der Schnittstelle überlappen, dann bauen die Enzyme dieses Stück in den Strang ein. CRISPR-Cas ermöglicht es so, Präzisionsänderungen an der DNA vorzunehmen und einzelne Erbanlagen gezielt zu inaktivieren.
CRISPR-Cas ist eigentlich ein Molekülkomplex, mit dem sich Einzeller wie Bakterien und Archaeen vor Krankheitserregern schützen. Er besteht aus zwei Komponenten. Die erste Komponente namens CRISPR sind Abschnitte sich wiederholender DNA im Erbgut von Bakterien und Archaeen. CRISPR steht für »Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats« (deutsch: gruppierte kurze palindromische Wiederholungen mit regelmäßigen Abständen). Zwischen diesen sich wiederholenden DNA-Abschnitten liegen kurze DNA-Stücke von Viren; sie stellen eine Art Immungedächtnis dar und ermöglichen es dem Einzeller, Infektionen mit dem jeweiligen Virus abzuwehren. Die zweite Komponente ist Cas, eine Kurzform von »CRISPR-assoziierte Proteine«. Hierbei handelt es sich um Eiweiße, mit denen Bakterien oder Archaeen das Erbgut eindringender Viren zerstören.
Molekularbiologen haben den CRISPR-Cas-Molekülkomplex so umgewandelt, dass er sich als »Genschere« nutzen lässt, um die DNA von Pflanzen und Tieren zu modifizieren. Diese Form der Erbgutveränderung wird als »Genome Editing« bezeichnet. Sie ermöglicht es beispielsweise, mutierte Gene abzuschalten, die Erbkrankheiten verursachen, und diese Krankheiten so zu heilen. Auch lässt sich mit CRISPR-Cas die Züchtung von Nutzpflanzen und -tieren beschleunigen, weil die Methode das gezielte Editieren des Genoms erlaubt – was erheblich schneller geht als die ungezielte Mutagenese mit anschließender Auswahl geeigneter Mutanten, die in der konventionellen Züchtung praktiziert wird. Die Erbgutveränderungen, die CRISPR-Cas erzeugt, sind punktuell und können im Prinzip auch durch lokale Zufallsmutationen entstehen. Organismen, deren DNA mit CRISPR-Cas modifiziert wurde, sind deshalb genetisch nicht von Artgenossen mit natürlich entstandenen Mutationen zu unterscheiden. Das erschwert die gesetzliche Regulierung von Genome-Editing-Verfahren.
Und trotzdem ist die Lage – bis auf die Kartoffel, manche Obstsorte und die Heuernte – deutschlandweit nicht so schlecht. »Über alle Kulturen gemittelt dürfte die Ernte in diesem Jahr gut ausfallen«, erwartet Brömser. Der Grund: Erstmals seit Jahren gebe es wieder ein großes Wasserangebot im Boden, von dem viele Kulturpflanzen profitieren. Selbst eine längere Trockenperiode könnte der Ernte jetzt nichts mehr anhaben, prophezeit Brömser. Gegen stabiles Sommerwetter in nächster Zeit dürfte ohnehin niemand etwas haben.
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