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Fischotter: Von der Roten Liste direkt in die Schusslinie

In Bayern dürfen Fischotter seit Neuestem wieder geschossen werden. Zuvor hatten Teichwirte über eine »Bestandsexplosion« geklagt. Fachleute zweifeln jedoch am Sinn der Maßnahme.
Ein Fischotter
Fischotter wurden in Deutschland nahezu ausgerottet. Inzwischen gibt es zwar wieder mehr Tiere, doch trotz der Schutzmaßnahmen wächst der Bestand nur sehr langsam.

Wer Fischotter liebt, muss ein geduldiger Mensch sein. Die Tiere zeigen sich in freier Wildbahn nur höchst selten. Zum Glück aber gibt es Zeichen, die sie verraten. Die Wassermarder sind groß, mit Schwanz bis zu 1,3 Meter lang, und sie werden bis zu zwölf Kilo schwer. Sie können gar nicht anders, als Spuren zu hinterlassen. Etwa in einem Flusslauf: Steigen dort plötzlich Luftblasen auf? Bilden sie Ketten an der Wasseroberfläche, bevor sie zerplatzen? Darunter könnte ein Fischotter vorbeischwimmen, auf der Jagd nach kleineren Fischen. Beim Tauchgang entweichen Luftblasen seinem dicken Pelz und zeigen an, wo er sich aufhält.

Niemand weiß, wie viele Fischotter bei uns wieder heimisch sind. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren sie hier zu Lande fast ausgerottet, vor allem wegen ihres Pelzes. Aber auch, weil der Mensch sie als Nahrungskonkurrenten ansah, die ihm die Fische wegfraßen. Seit 1968 stehen die Tiere unter strengem Schutz. Trotzdem geht es mit den Beständen nur schleppend aufwärts. »Es gibt kein deutschlandweites, flächendeckendes und quantitatives Fischotter-Monitoring«, sagt Andreas Lampe von der Stiftung Lebensraum Elbe, der seit 2007 den Ottern auf der Spur ist, aber noch keinen einzigen in freier Wildbahn gesehen hat.

Bleibt nur die Spurensuche: Eines der sichtbarsten Zeichen ist der Kot, den die Tiere gern an erhöhten Stellen platzieren, etwa auf Baumstümpfen. Er ist oft mit Fischschuppen durchsetzt und hat einen eigentümlichen Geruch. Für Lampe, den Otter-Spotter, ist das Aroma unverwechselbar: »Es riecht eindeutig nach grünem Tee.« Solche Kotproben sind es auch, mit denen ermittelt wird, wie viele Individuen in einem Gebiet leben. Man kann die DNA darin analysieren und damit ihre Zahl bestimmen. »Erst dann«, sagt Lampe, »lassen sich Populationsgrößen gesichert nachweisen.«

Problembär der Fischzuchtteiche

Im Süden der Republik blickt man anders auf den Fischotter. Die Mitglieder des Landesfischereiverbands Bayern halten das Tier keineswegs für eine vom Aussterben bedrohte Art, zumindest nicht in ihrem Bundesland. Sie sprechen sogar von einer »Bestandsexplosion«. Was ist da los?

Ein handfester Mensch-Tier-Konflikt schwelt hier seit längerer Zeit. Der Fischotter ist für Teichwirte quasi der Problembär ihrer Gewässer. Er hat einen hohen Nahrungsbedarf und frisst rund ein Kilo Fisch pro Tag. Fällt er in Fischzuchtteiche ein, ist er durchaus im Stande, erheblichen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Manche Teichwirte haben die Karpfen- und Forellenzucht inzwischen eingestellt. Sie sehen ihre Arbeit zunichtegemacht durch ein Tier, das kommt und räubert, wie es will. Und dem man nicht anders Herr werden könne als durch den Abschuss, so ihre Position.

Laut der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) wurden bislang 209 Fischotter in der Oberpfalz und in Niederbayern anhand ihrer DNA identifiziert. Diese Zahl wurde dann in einer Studie auf das gesamte Gebiet hochgerechnet, was einen geschätzten Bestand von 463 bis 661 Fischottern ergeben hat. Die Studie stammt von zwei Forschenden der Universität Graz und wurde im Auftrag der Landesanstalt vorgenommen. Einsehen kann man sie nicht.

»Eine plötzlich eintretende, rasante Zunahme des Fischotterbestands in einem kurzen Zeitraum ist ökologisch betrachtet gar nicht möglich«Lea-Carina Mendel, Biologin

Die Biologin Lea-Carina Mendel von der Deutschen Wildtier Stiftung in Hamburg hält die Zahlen aber für plausibel. »Allerdings ist das immer noch eine Hochrechnung«, sagt sie. »Für eine genaue Einschätzung ist eine flächendeckende Bestandsaufnahme des Fischotters notwendig.« Auch sage ein punktuell hoher Bestand noch nichts über die Fischotterdichte in der Fläche aus. »Klar ist«, so Mendel, »dass es Fischotter in den genannten Regionen seit mehr als 20 Jahren gibt. Eine plötzlich eintretende, rasante Zunahme des Fischotterbestands in einem kurzen Zeitraum ist ökologisch betrachtet gar nicht möglich.«

Fischotter stehen auf der Roten Liste und dürfen trotzdem getötet werden

Doch seit dem 1. Mai 2023 ist in Bayern Schluss mit der Schonzeit – zumindest auf dem Papier. Es gibt eine neue Verordnung. Nach dieser können die Tiere ganzjährig getötet werden, wenn sie in Fischteichen wildern, die sich nicht einzäunen lassen. Dabei stehen Fischotter unverändert auf der Roten Liste als gefährdete Art. Und von einem »günstigen Erhaltungszustand«, wie die EU ihn in ihrer FFH-Richtlinie fordert, kann man erst sprechen, wenn man gesicherte Daten hat, nicht bloß Hochrechnungen. Der »günstige Erhaltungszustand« sehe überdies vor, so Mendel, dass die Tiere in allen für sie geeigneten Lebensräumen eine stabile Population aufgebaut haben. In manchen Bundesländern gelten sie jedoch als ausgestorben, etwa in Rheinland-Pfalz.

Darf man trotzdem Fischotter in Bayern »ab sofort ganzjährig« töten, wie es das Landwirtschaftsministerium behauptet? Da betritt die Behörde ganz dünnes Eis. Denn am 22. Mai 2023 wurde vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) eine andere Causa Fischotter verhandelt. Ein alter Fall aus dem Jahr 2020, der mit der neuen Regelung zwar nichts zu tun hat – aber deutlich macht, dass es so einfach nicht ist mit dem Fischotter-Abschuss.

Worum ging es? 2020 wurde per Ausnahmegenehmigung die Tötung einzelner Otter in der Oberpfalz erlaubt. Dagegen klagten zwei Naturschutzverbände. In der ersten Instanz bekamen sie Recht. Am 22. Mai 2023 ging die Sache in zweiter Instanz vor den BayVGH. Der entschied ebenfalls: Die Ausnahmegenehmigung von 2020 war rechtswidrig, die Tötung hätte nicht erlaubt werden dürfen. Auch eine Revision wurde nicht zugelassen.

Neue Verordnung nicht umsetzbar

Dass vor diesem Hintergrund die neue Fischotter-Verordnung »ab sofort« umgesetzt wird, daran glaubte im Mai 2023 – zumindest vor dem BayVGH – noch nicht einmal die bayerische Regierung selbst: »Sowohl der Freistaat Bayern als auch die beiden Umweltverbände gingen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Verordnung noch nicht vollziehbar ist«, sagt Andreas Spiegel von der Pressestelle des BayVGH.

Das heißt: Auch in Bayern liegen vor einem Abschuss extrem hohe Hürden. Und ob die Tötung der Tiere überhaupt zum Erfolg führt und die Zuchtteiche dann nicht mehr heimgesucht werden, ist keinesfalls sicher. Eine Forschungsarbeit vom Januar 2023 kommt zu dem Schluss: »Europaweit gibt es aktuell keine wissenschaftlich fundierte Untersuchung zur Wirksamkeit der Entnahme einzelner Fischotter auf die Schadenshöhe in Teichwirtschaften. Ebenso fehlt der Nachweis, dass Schadensfälle ursächlich auf bestimmte, einzelne Individuen zurückzuführen sind.«

Einfacher ausgedrückt: Weder ist klar, ob immer derselbe Otter in einem Teich räubert, noch, ob das Problem verschwindet, wenn man eins der Tiere erlegt.

Es ist unter anderem das Revierverhalten von Fischottern, das Zweifel an der Wirksamkeit von Abschüssen weckt. Fischotter sind Einzelgänger. Wird der eine »entnommen«, rückt bald der nächste nach. Von seinem toten Vorgänger weiß er ja nichts. Er sieht nur ein leicht zugängliches Nahrungsreservoir, in dem sich seine Beute tummelt.

Oberpfälzer Karpfenteichwirtschaft | Die Karpfenteichwirtschaft hat in der Oberpfalz Tradition: Sie ist als immaterielles Kulturerbe gelistet. Ob die Abschussverordnung den Teichwirten in die Zukunft hilft, ist allerdings fraglich.

Umstrittene Verordnung in Kraft

Seit August stehen die Zeichen nun abermals auf Sturm. Die bayrische Landesregierung hat – entgegen ihrer Einschätzung vor dem BayVGH – die Fischotter-Verordnung zum 1. August in Kraft treten lassen. Dafür wurden kurzerhand die Artenschutzrechtliche Ausnahmeverordnung geändert und das Jagdrecht angepasst. Nun dürfen in Niederbayern und in der Oberpfalz 32 Fischotter bis Ende 2023 ohne weitere Genehmigung abgeschossen werden, falls sie sich an den Gewässern der Teichwirtschaft einfinden und es »keine zumutbare Alternative gibt«, um sie fernzuhalten, also etwa einen Zaun. Gerade so, als hätte es die Entscheidung des BayVGH im Mai nicht gegeben.

Wie erwartet regt sich Widerstand. Der Naturschutzverband Aktion Fischotterschutz e. V. hat bereits einen Eilantrag vor dem Verwaltungsgerichtshof gestellt, eine Klage soll in Kürze folgen. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will vor dem BayVGH klagen.

Bislang ist noch kein Fischotter in Bayern offiziell getötet worden, sprich: Es gibt bislang keinen Abschuss, der den Behörden auch gemeldet worden wäre. Wie viele Tiere in diesem Jahr noch getötet werden dürfen, zeigt ein tagesaktuelles Entnahmekontingent, das die LfL auf ihrer Website eingerichtet hat. Knapp vier Wochen nach Inkrafttreten der Verordnung steht dieser »Abschuss-Ticker« weiterhin auf null.

Ein Abschuss-Ticker und »rechtliche Schwierigkeiten«

»Das ist nicht verwunderlich«, sagt Sabrina Schulz, stellvertretende Leiterin Naturschutz bei der DUH. »Die Rechtsunsicherheiten für die Teichwirte und -wirtinnen sind riesig.« So müssen sie zum Beispiel selbst herausfinden, ob bei ihnen eine FFH-Verträglichkeitsprüfung notwendig ist. Auch drohen ihnen laut Website der LfL »rechtliche Schwierigkeiten«, wenn sie die Voraussetzungen für einen Fischotter-Abschuss nicht eigenverantwortlich prüfen und dokumentieren.

Für Jagdausübende gilt: Fischotter müssen lebend gefangen und gewogen werden, und zwar fast ganzjährig, mit Ausnahme der Monate Dezember und Januar. Denn nur Tiere, die mehr als acht oder weniger als vier Kilo wiegen, sind während dieser Zeit überhaupt zum Abschuss frei gegeben. Und auch nur dann, wenn das betreffende Gebiet laut Verordnung »einen günstigen Erhaltungszustand« aufweist – oder zumindest keine Verschlechterung droht. Wie da der Nachweis geführt werden soll, wo es nur Hochrechnungen gibt, bleibt das Geheimnis der Behörde. Hinzu kommt: Ein trächtiges Weibchen darf gar nicht getötet werden. Doch die Geschlechtsbestimmung bei Fischottern ist schwierig und gelingt sogar Fachleuten kaum. Auch auf das Gewicht kann man sich in diesem Fall nicht verlassen.

»Wir bekommen eine Scheinlösung vorgesetzt, die nur dann funktioniert, wenn die Tiere bis zum letzten Individuum ausgerottet werden«Sabrina Schulz, Deutsche Umwelthilfe

Das sind eine Menge Rechtsunsicherheiten. Wer also den Teich- und den Tierschutz gleichermaßen ernst nehmen will, dem ist mit dieser Verordnung nicht geholfen. Sabrina Schulz sieht in der Haltung der Landesregierung daher auch »ein trauriges Zeichen des politischen Diskurses in Bayern. Wir sprechen nicht über wirksame Maßnahmen, die der Teichwirtschaft tatsächlich nutzen könnte.« Etwa welche Zaunformen gut funktionieren. Wann, wo und mit welcher Förderung Ablenkteiche eingerichtet werden könnten, die Otter von einem wertvollen Fischbestand weglocken. »Wir bekommen eine Scheinlösung vorgesetzt, die nur dann funktioniert«, so Schulz, »wenn die Tiere bis zum letzten Individuum ausgerottet werden.«

Diese Einschätzung teilt auch die Diplombiologin Eva Baumgärtner von der Aktion Fischotterschutz e. V.: »Dass ein Abschuss vielleicht kurzzeitige Entspannung an einer betroffenen Teichanlage brächte, ist nicht auszuschließen«, sagt sie. »Aber dies wäre nicht dauerhaft, da das frei gewordene Revier zügig von einem Artgenossen besetzt würde. Realistisch gesehen würde also nur der stete Abschuss beziehungsweise die Ausrottung der Art in der Region weiterhelfen.« Ein Widerspruch zu allen Grundsätzen des Artenschutzes.

Ob die neue Fischotter-Verordnung bei den Wählerinnen und Wählern verfängt, wird sich im Oktober zeigen. Dann ist Landtagswahl in Bayern. Derzeit sammeln zwei Petitionen Unterschriften gegen die Abschusspläne. Die eine stammt vom WWF, die andere hat die DUH initiiert. Zusammen haben beide Petitionen bereits mehr als 150 000 Stimmen erhalten.

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