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Biochemie: Riesenproteine produzieren Algengifte

Algentoxine sind als Auslöser von Umweltkatastrophen gefürchtet: Sie können zu einem massenhaften Fischsterben führen wie etwa vor zwei Jahren in der Oder. Die Algen produzieren ihre tödlichen Substanzen mit Hilfe zweier Enzyme, die zu den größten Proteinen der Biologie zählen.
Ein Fisch liegt tot in der Oder
Die mikroskopisch kleine Alge Prymnesium parvum produziert giftige Substanzen namens Prymnesine, die immer wieder große Fischsterben auslösen wie hier im Sommer 2022 in der Oder.

US-amerikanische Forscher haben den Syntheseweg des Algengifts entschlüsselt, das vermutlich das massive Fischsterben in der Oder im Sommer 2022 ausgelöst hat. Dabei stießen die Fachleute um Timothy Fallon von der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla auf das größte jemals in einem Organismus nachgewiesene Protein.

Von Ende Juli bis Ende August 2022 verendeten zigtausend Fische in der Oder. Als Ursache kristallisierte sich ein massenhaftes Auftreten der einzelligen Meeresalge Prymnesium parvum heraus, die weltweit vor allem in Küstengewässern vorkommt, aber auch in salzärmeren Brackwasserbereichen überleben kann. In dem deutsch-polnischen Grenzfluss fand der Planktonorganismus durch mutmaßlich industriell eingeleitetes Salz sowie auf Grund hoher Temperaturen günstige Bedingungen vor.

Prymnesium parvum | ist ein einzelliger Organismus, der weltweit vor allem in Küstengewässern lebt. Als Alge betreibt er Fotosynthese, kann aber auch andere Mikroorganismen fressen.

Um andere einzellige Organismen zu erbeuten, produziert Prymnesium parvumAlgengifte, die als Prymnesine bezeichnet werden. Bei einem massenhaften Auftreten als Wasserblüte gelangen die Substanzen in großen Mengen ins Freiwasser und vergiften auch höhere tierische Organismen wie Fische, bei denen vor allem die Kiemen geschädigt werden. Wie die Algen ihre Toxine herstellen, war bislang unbekannt.

Prymnesine sind hochmolekulare Verbindungen, die zu den so genannten Polyethern gehören. Auf der Suche nach den Genen, die für die Produktion der Prymnesine verantwortlich sind, durchforstete das Team um Fallon das Erbgut der Alge. Dabei stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Gene für zwei Enzyme, die eine komplizierte Reaktionskette auslösen, bei der die Toxine aus Vorstufen gebildet werden.

Proteingiganten | Mit einer Molekülmasse von 4,7 Megadalton ist das in der Meeresalge Prymnesium parvum entdeckte Enzym PKZILLA-1 (oben) etwa 25 Prozent größer als das größte bekannte menschliche Protein Titin (unten). Beide Proteine setzen sich aus mehreren Domänen zusammen, die für die Funktionsfähigkeit eine wichtige Rolle spielen.

Nach der Abkürzung PKS für Polyketid-Synthase taufte das Team die entdeckten Enzyme auf die Namen PKZILLA-1 und PKZILLA-2. Als die Forscher die Größe der Substanzen analysierten, erlebten sie eine Überraschung: PKZILLA-1 entpuppte sich als das größte Protein, das jemals in einem Organismus nachgewiesen wurde. Laut Angaben der Fachleute umfasst es mehr als 45 000 Aminosäurereste und ist mit einer Molekülmasse von 4,7 Megadalton knapp fünf Millionen mal schwerer als ein Wasserstoffatom. Mit immerhin noch 3,2 Megadalton erscheint auch PKZILLA-2 gigantisch. Zum Vergleich: Das größte bekannte menschliche Protein, das im Muskel vorkommende und aus etwa 34 000 Aminosäureresten bestehende Titin, besitzt eine Molekülmasse von 3 bis 4 Megadalton.

Fallon und seine Kollegen hoffen, dass ihre Entdeckung eine bessere Überwachung von Gewässern ermöglicht. Mittels PCR-Tests ließen sich die Gene für die Algengifte schneller nachweisen als die Toxine selbst, so dass frühzeitig vor giftigen Algenblüten gewarnt werden könnte.

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  • Quellen
Science 10.1126/science.ado3290, 2024

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