Tierische Wanderungen: Fledermäuse surfen auf Wetterfronten
Wenn Vögel in ihre Winterquartiere ziehen, fliegen sie oft tausende Kilometer ohne Pause. Wie sie dabei diverse Wetterphänomene geschickt nutzen, um Energie zu sparen, ist gut erforscht. Die beschwerlichen Wanderungen der bei Nacht fliegenden Fledermäuse sind dagegen bislang nur spärlich dokumentiert. Mit Hightech und Geduld hat ein Forschungsteam um Dina Dechmann und Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und der Universität Konstanz nun einen verblüffenden Trick der nur wenige zehn Gramm leichten Säugetiere enthüllt: Sie lassen sich von Luftbewegungen in Wetterfronten tragen, wenn sie im Frühjahr aus ihren manchmal mehr als tausend Kilometer entfernten Überwinterungsquartieren wieder zurück nach Nordosteuropa flattern.
Wie die Wissenschaftler zu Jahresbeginn 2025 im Fachmagazin »Science«berichten, brachten sie auf dem Rücken von insgesamt 71 Fledermäusen sehr leichte Sensoren an, um deren Weg zu verfolgen. Bei den Tieren handelte es sich um Weibchen des Großen Abendseglers (Nyctalus noctula). Neben der Bewegung registrierten die Sensoren weitere Umgebungsparameter und sendeten die Daten live über ein Funknetzwerk. »Das ist eine großartige und wichtige Studie, da man bisher über den Zug der Fledermäuse im Frühjahr kaum etwas wusste«, sagt der Biologe Marcus Fritze von der Kompetenzstelle für Fledermausschutz in Sachsen-Anhalt, der an der Arbeit der Konstanzer Gruppe nicht beteiligt war. Dina Dechmann selbst bezeichnete das Forschungsprojekt sogar als »Mega-Durchbruch«.
Denn bislang gab es vor allem ein großes Problem: Da die Sender sehr klein sein müssen, um die Tiere auf ihrer Reise nicht zu behindern, haben die Signale nur eine geringe Reichweite. Daher musste Mit-Studienautor Martin Wikelski die Fledermäuse zuvor mit einem Kleinflugzeug verfolgen, in dem die Empfangsantennen installiert waren. Da Forschungsflugzeuge teuer und Pilotenscheine in der Wissenschaft nicht allzu häufig sind, und sich die Verfolgungsjagden in der Luft normalerweise nur auf ein einzelnes Tier konzentrieren können, waren Daten zu Fledermauswanderungen bisher kaum vorhanden.
Fledermäuse statt Pekete tracken
Die von Dina Dechmann und ihrem Team entwickelten und an den Fledermäusen befestigten Sender schicken in festgelegten Intervallen kleine Datenmengen von zwölf Byte an die Stationen des französischen Telekommunikationsunternehmens Sigfox. Dieses baut gerade ein globales Funknetzwerk auf, das Geräte mit geringem Stromverbrauch wie Stromzähler, Smartwatches und Heizungen, aber auch die Geotrackingdaten von Logistikgütern drahtlos über das Internet miteinander verknüpft. In dem übermittelten Minidatenpaket stecken Informationen über den Luftdruck, die Außentemperatur und Aktivität der Tiere. »So sehen wir, ob die Großen Abendsegler gerade schlafen oder unterwegs sind«, erklärt Dechmann. Und schon jetzt erweitern die ersten Ergebnisse das Wissen über die Fledermaus-Wanderungen enorm.
Während Wikelski im Kleinflugzeug den Tieren nicht einmal 200 Kilometer weit folgen konnte, war es nun möglich, den Großen Abendseglern über eine Strecke von bis zu 1116 Kilometern auf der Spur zu bleiben. Die Daten aus insgesamt drei Jahren zeigten, dass die Fledermäuse im Anschluss an die abendliche Nahrungssuche bis zu 400 Kilometer weit flogen. Besonders ein Verhaltensmuster faszinierte die Fachleute: Zu manchen Zeitpunkten brachen auf einmal sehr viele Fledermäuse zu solchen Langstreckenflügen auf.
Die Wetterdaten lieferten schließlich die Erklärung für dieses Verhalten: Das passierte immer dann, wenn der Luftdruck sank und die Temperatur zunahm. Solche Veränderungen zeigen schlechtes Wetter in Form eines heranziehenden Tiefdruck-Gebietes an. Neben Regen- und Schauerwolken bringt ein Tief oft zunächst eine Warmfront, die einige Zeit später von kalter Luft abgelöst wird. Die dabei auftretenden kräftigen Winde nutzen die Fledermäuse offenbar, um sich Rückenwind zu verschaffen und Energie bei ihren Langstreckenflügen zu sparen. Dabei folgen sie allerdings keinen bestimmten Korridoren wie Vögel, sondern passen ihre Route flexibel an.
»Offenbar sind die Großen Abendsegler hochflexibel und warten teils ein wenig länger, wenn sie noch nicht genug Energie für den Flug gesammelt haben«Dina Dechmann, Biologin
Wie effektiv eine Warmfront den Tieren unter die Flügel greift, zeigen die Daten ebenfalls: Während die Tiere aus eigener Kraft eine Spitzengeschwindigkeit bis zu 60 Kilometern in der Stunde erreichen, legten die auf der Wetterfront surfenden Fledermäuse vereinzelt in der gleichen Zeit mehr als 150 Kilometern in der Stunde zurück. Nun könnte man meinen, dass beinahe alle Fledermäuse einer Region diesen Vorteil nutzen. Dem ist jedoch nicht so. »Offenbar sind die Großen Abendsegler hochflexibel und warten teils ein wenig länger, wenn sie noch nicht genug Energie für den Flug gesammelt haben«, erklärt die Biologin Dina Dechmann.
Steigende Temperaturen bereiten Fledermäusen Schwierigkeiten
Auch der Klimawandel könnte den ziehenden Fledermäusen Probleme machen. Weil die Winter milder werden, verzichten einige Weibchen inzwischen auf den Flug in ihre Winterquartiere und bleiben in den Sommergebieten. Zwar halten sie die meiste Zeit auch dort in Baumhöhlen und anderen geschützten Orten Winterschlaf, unterbrechen diesen allerdings immer wieder. In dieser Zeit werden Schadstoffe abgebaut, die Tiere putzen sich und bringen das Immunsystem auf Trab, um Krankheitserreger abzuwehren. »Oft fliegen sie dann auch eine Runde und können zwischen die Rotorblätter von Windkraftanlagen geraten, weil diese dann nicht abgeschaltet werden«, befürchtet Fledermausexperte Marcus Fritze.
Diese Entwicklung scheint bereits begonnen zu haben; in den traditionellen Überwinterungsgebieten werden immer weniger Große Abendsegler beobachtet. Bleiben die Tiere häufiger in Nordeuropa, lauert in den Wäldern noch eine ganz andere Gefahr: »Da im Winter Holz geschlagen wird und in dieser Zeit kaum jemand den Großen Abendsegler bei uns vermutet, könnten die Waldarbeiter leicht Bäume mit Fledermäusen in Höhlen erwischen.« Die Anpassung an den Klimawandel könnte dieser und wohl auch anderen Fledermausarten also leicht zum Verhängnis werden.
Rund die Hälfte aller untersuchten Fledermäuse aber surft auf den Winden der Warmfront. Die Spitzenreiterin schaffte zwischen Abend- und Morgendämmerung in einer Nacht sogar 383 Kilometer. Zuvor belegten lediglich sporadische Zufallsfunde beringter Exemplare, wie überraschend weit viele Arten wandern. Im August 2024 konnte eine Arbeitsgruppe des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin mit Hilfe eines Miniatursenders ein Exemplar einer anderen Nyctalus-Art von Brandenburg bis nach Norditalien verfolgen.
Systematische Untersuchungen mit solchen leichten Sendern dürften vor allem dabei helfen, die Tiere besser zu schützen. Denn die Begegnung mit Windkraftanlagen endet in vielen Fällen tödlich. Allein in Deutschland sterben jährlich schätzungsweise eine Viertelmillion Fledermäuse bei der Kollision mit den Rotoren. Wenn klar ist, was das Zugverhalten der Fledermäuse auslöst und beeinflusst, lassen sich möglicherweise konkrete Bewegungen vorhersagen und bei der Planung und Steuerung von Windparks berücksichtigen. Bereits jetzt werden viele Windräder in den Zeiten abgeschaltet, in denen die Großen Abendsegler unterwegs sind. »Da bisher über den Frühjahrszug fast nichts bekannt war, gelten diese Abschaltzeiten aber oft nur während des Herbstzuges von August bis Ende Oktober«, erklärt Marcus Fritze. Die neuen Beobachtungen vom Team um Dina Dechmann und Martin Wikelski allein aber reichen wohl noch nicht, um die Windkraftanlagen auch im Frühjahr kurzfristig abzuschalten.
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