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News: Fleischfresser auf Rädern

Er sieht aus wie eine zwar große, aber harmlose Spielzeug-Eisenbahn mit drei Waggons von je einem Meter Länge. Doch der Roboter 'Chew-Chew' ist der erste Vertreter einer Automatengeneration, die ein gewaltiges Horrorpotential in sich birgt: Chew-Chew selbst gewinnt seine Energie noch aus Zuckerwürfeln, seine Nachfolger jedoch könnten sich auch von Fleisch ernähren. Im August 2000 will der stolze Erfinder sein Baby bei einer Konferenz für Robotertechnik in Hawaii erstmals der Öffentlichkeit vorstellen.
Ein unheimlicheres Szenario hätte sich selbst Gruselkönig Stephen King nicht ausdenken können: Kinder spielen friedlich mit einer Eisenbahn. Doch plötzlich schnappt das vermeintlich harmlose Gefährt nach den lieben Kleinen und tut sich an ihnen gütlich. Ganz so weit ist es in der Realität noch nicht – aber seit der Erfindung des immer hungrigen Roboters "Chew-Chew" ist zumindest die Zukunft nicht mehr sicher.

Chew-Chew bezieht seine Energie aus seinem Magen – einer Brennstoffzelle. Darin spalten Escherichia coli-Bakterien Nahrung auf und verwandeln chemische in elektrische Energie. Erfinder Stuart Wilkinson von der University of South Florida in Tampa hält Fleisch für das beste Futter: "Pflanzen sind bei weitem nicht so nahrhaft." Dafür hat tierische Nahrung andere Nachteile: Wer Fleisch essen will, muss es erst fangen. "Das erfordert eine Menge zusätzliche Energie und komplexe Verhaltensmuster", gibt Wilkinson zu bedenken.

Im Inneren des Monsters auf Rädern produzieren Mikroben Enzyme, die Kohlenhydrate aufspalten. Jedesmal, wenn sie ein großes Molekül – zum Beispiel Glukose – aufbrechen, werden Elektronen frei, die eine Batterie aufladen. "Das ist analog zur Blutversorgung und Atmung bei Säugetieren", erklärt Wilkinson. "Essen in Elektrizität zu verwandeln, ist nicht einzigartig", sagt er bescheiden. "Ich habe es nur klein genug hinbekommen, sodass es in einen Roboter hineinpasst." Im Moment ist der so genannte Gastrobot ein Schleckermäulchen: Nur Zuckerwürfel stehen auf seinem Speiseplan. Von denen bleibt nach der Verdauung kaum Abfall übrig, lediglich Kohlendioxid und Wasser.

Ohne fremde Hilfe kann der Kinderschreck allerdings noch nicht leben. "Wir müssen ihn wie einen Säugling füttern, weil er weder Arme noch Beine hat", erläutert Wilkinson. Zudem produziert er nicht genug Energie, um sich unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme fortzubewegen. Erst wenn seine Batterie voll aufgeladen ist, kann Chew-Chew sich in Bewegung setzen.

Der Roboter eignet sich nicht nur, um Kindern Angst einzujagen – zum Beispiel als Rasenmäher könnte er einen praktischen Nutzen erfüllen. Interessant wäre auch die Anwendung als Antrieb für Fahrzeuge. Doch der Energieverbrauch eines Zugs oder auch nur eines kleinen Autos wäre immens. Chris Melhuish von der University of the West of England in Bristol beschreibt eine andere Möglichkeit: "Vielleicht wäre es praktischer, einen Roboter zu bauen, der Fische frisst und Strände vor Haien bewachen kann." Wilkinson hingegen warnt davor, Chew-Chew und seinesgleichen auf den Geschmack von Fleisch zu bringen. "Sonst merken sie noch, dass da jede Menge Menschen herumlaufen, und versuchen sie zu fressen."

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