Direkt zum Inhalt

Neurodegenerative Erkrankungen: Flöße gegen das Vergessen

Nervenzellen lösen sich auf, Patienten verlieren ihr Erinnerungs- und Orientierungsvermögen - die Alzheimersche Krankheit ist eine schleichende Erkrankung des Gehirns. Eine erfolgreiche Behandlung gibt es derzeit nicht. Bald könnte nun aber eine altbekannte Ursache der Krankheit durch trickreich gezielter eingesetzte Hemmstoffe deutlich effizienter ausgebremst werden.
Verplaquete APP-Fragmente führen zu Alzheimersyptomen
Verklumpte Proteinfragmente, so genannte Amyloid-Ablagerungen (Plaques), gelten als die auffälligste Veränderung in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten. Laut gängiger Lehrmeinung sammeln sie sich im Lauf der Zeit an und beginnen nach und nach, die Gehirnzellen zu schädigen, bis diese schließlich absterben. Diese Ablagerungen entstehen, wenn ein Membranprotein (APP, β-Amyloid-Precursor-Protein) von dem Enzym β-Sekretase zerschnitten wird.

An genau dieser β-Sekretase haben nun Forscher um Kai Simons am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden angesetzt. Ihr Ziel war es, das Enzym wirkungsvoll zu hemmen, um die Alzheimer-Krankheit effektiv zu behandeln oder zumindest den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Doch zuvor mussten zwei wichtige Fragen geklärt werden: Wo genau in der Zelle spaltet die β-Sekretase das Membranprotein APP? Wie findet das kleine kurzkettige Eiweiß, das dabei entsteht, den Weg aus der Zelle, um schließlich Amyloid-Plaques zu bilden?

Beta-Sekretase: effizient gehemmt | Die Zellkerne in menschlichen Zellen (rot). In unbehandelten Zellen ist das APP-Fragment (grün) in Massen nachzuweisen (links), in behandelten Zellen wird die β-Sekretase effizient gehemmt (rechts). APP-Fragmente sind nicht mehr vorhanden.
Die Antworten verblüfften die Forscher: Die APP-Spaltung kann nur dann stattfinden, wenn APP und die β-Sekretase vorher in die Zelle eingeschleust wurden. Dies geschieht über den gleichen Prozess, über den Zellen beispielsweise Nährstoffe aufnehmen und externe Signale ins Zellinnere vermitteln, die Endozystose. Danach werden APP und die β-Sekretase in eine spezielle Zellorganelle transportiert, die sich in der Zellperipherie befindet. Darin, im frühen Endosom, wird das APP durch die β-Sekretase gespalten.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurden bestehende β-Sekretase-Hemmer von dem Dresdner Forscherteam nun mit einem Membrananker versehen, um diese in frühe Endosomen transportieren zu können. Erste Experimente haben gezeigt, dass diese Endosom-spezifischen Hemmstoffe um ein Vielfaches effektiver sind als die löslichen, bisher auf dem Markt erhältlichen Präparate – und dies sowohl in Zellkulturen als auch in lebenden Organismen. In einem tierischen Modellorganismus, in dem Alzheimer simuliert wurde, konnte mit dem neuartigen Hemmer die Bildung von β-Amyloid in nur vier Stunden auf die Hälfte reduziert werden, während die bisher erhältlichen Hemmstoffe keinerlei Wirkung zeigten.

Per Anhalter in die Zelle

Lawrence Rajendran, Mitarbeiter im Labor von Simons, erklärt: "Der Hemmstoff fährt quasi per Anhalter mit den kleinen Nanoflößen, den Rafts, in die Zelle: Wir nutzen damit einen Mechanismus der Zelle, um den Hemmer genau dorthin zu bringen, wo er wirken soll – das ist bedeutend effektiver". "Darin steckt ein riesiges Potential für die Entwicklung neuer und wirksamerer Medikamente gegen Alzheimer", sagt Kai Simons. Der Raft-Ansatz soll daher nun intensiv weitergetestet werden. "Man kann Hemmstoffe in der Zellmembran genau zu den entscheidenden Zielorten lenken – die Orte der wahren Krankheitsursache", erklärt Rajendran die Vorteile der zellulären Mini-Flöße.

Das Prinzip funktioniert in Versuchsmäusen bereits vielversprechend – allerdings nur, wenn die Hemmer direkt ins Hirn injiziert wurden, berichtet Simons. "Wir müssen weitere Versuche machen, um zu zeigen, dass der Wirkstoff konstant auch im Blut die Hirnschranken passieren kann, um ins Gehirn zu gelangen." Nach weiteren Tierversuchen könne man in etwa zwei Jahren in klinische Studien übergehen, schätzt Simons. Diese dauerten dann noch mal fünf bis zehn Jahre. Damit sei die Behandlung "ein guter Anfang, aber keine Hoffnung für Patienten, die sie heute brauchen würden."

Der Wissenschaftler denkt aber schon heute noch weiter: "Wir glauben, dieses Prinzip bald auch für andere therapeutische Hemmstoffe in Verbindung mit anderen Krankheiten anwenden zu können". Denn auch bei viralen Erkrankungen wie Ebola oder HIV nutzen die Viren Rafts, um von Zelle zu Zelle zu kommen – genau diesen Weg gilt es zu unterbrechen.
  • Quellen
Rajendran, L. et al.: Efficient Inhibition of the Alzheimer’s Disease Beta-Secretase by Membrane Targeting. In: Science 320(5875), S. 520–523, 2008.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.