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Flugzeugunglück: MH17: Manipulation ist praktisch ausgeschlossen

Was geschah mit Flug MH17, der über der Ukraine abstürzte? Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) hilft mit, diesen Absturz mit 298 Toten aufzuklären. Spektrum.de sprach mit Germout Freitag von der BfU über die Analyse derartiger Unglücke und wie sie aufgearbeitet werden. Zu den Hintergründen, die zum Absturz von MH17 geführt haben könnten, und den Zuständen am Unglücksort darf sich die BfU zum momentanen Stand der Ermittlungen nicht äußern.
Wrackteil von MH17 an der Absturzstelle in der Ostukraine

Herr Freitag, die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) gilt als eine weltweit renommierte Einrichtung, wenn es um die Analyse von Abstürzen oder schweren Störungen des Flugverkehrs geht. Wie läuft eine derartige Untersuchung etwa im Fall von Flug MH17 der Malaysian Airlines ab?

Germout Freitag: Das Vorgehen ist international über International Civil Aviation Organization, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen geregelt. Im Falle derart großer Flugzeugunglücke findet immer eine internationale Untersuchung statt. Geleitet wird sie von dem Staat, über dem das Flugzeug abgestürzt ist – im Fall von MH17 also von der Ukraine. Dazu kommen die Nationen, die Tote oder Verletzte zu beklagen hatten oder Staaten, in denen das Flugzeug gebaut wurde beziehungsweise die Airline sitzt. Auf Grund der hohen Opferzahlen hat die Ukraine deshalb die Niederlande gebeten, die Aufklärung zu leiten.

Wrackteil von MH17 | Am 17. Juli stürzte Flug MH17 der Malaysian Airlines über der östlichen Ukraine aus bislang noch nicht zweifelsfrei ermittelten Gründen ab. Alle 298 Passagiere an Bord starben. Da die Maschine in einem zwischen der Ukraine und örtlichen Separatisten umkämpften Gebiet verunglückte, gestalten sich die Bergungs- und Aufklärungsarbeiten sehr schleppend.

Es sind auch vier Deutsche unter den Opfern. Ist die BfU daher auch mit der Untersuchung befasst?

Ja, das ist eine politische Entscheidung, dass sich auch die Bundesrepublik beteiligt. Der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat einen entsprechenden Auftrag an die BfU erteilt. Und deswegen befindet sich bereits unser Leiter mit einem Kollegen in Kiew.

Mittlerweile wurde die gefundene Blackbox von den Separatisten in der Ostukraine an malaysische Behörden weitergegeben, die sie nach Großbritannien überstellt hat. Warum ausgerechnet dorthin?

Man kann die Blackbox nicht mit jedem beliebigen Computer auswerten, sondern benötigt dazu spezielle Technologien und Computer. Die Briten besitzen diese ebenso wie wir. Deshalb kann auch nicht jeder eine Blackbox manipulieren – auch wenn man die Daten selbst natürlich überschreiben könnte. Will man ohne die speziellen Technologien und Computern an die Daten kommen, dann muss man den Behälter zerstören, um diese Daten auszulesen. Somit kann man sofort eine Manipulation erkennen.

Im Internet kursieren bereits wilde Verschwörungstheorien, laut denen man die Blackbox gegen eine andere austauschen könnte. Wäre dies theoretisch möglich?

Jedes Flugzeug besitzt seine eigene, spezifische Blackbox. Um die Daten zu manipulieren, hätte man den Flug nachfliegen müssen – das ist faktisch unmöglich. Der Flug hätte dann beispielsweise zur gleichen Zeit am gleichen Flughafen starten müssen, um auch die gleichen Zeitangaben zu bekommen. Ich kann mir jedenfalls kein derartiges Szenario vorstellen.

Wie läuft die konkrete Auswertung der Blackboxdaten ab?

Wir schließen sie an einen Computer an und lesen sie mit einer speziellen Software aus. Man muss sich die Blackbox als fortlaufendes zeitliches Band vorstellen, das kontinuierlich Daten aufzeichnet, solange die Stromversorgung gesichert ist. Wird diese getrennt, endet auch die Aufnahme. Sollte beispielsweise also eine Rakete im Flugzeug einschlagen und wird dort die Stromversorgung zerstört, speichert das Gerät sofort keine Daten mehr auf. Ansonsten läuft die Speicherung bis zum endgültigen Aufschlag und der damit verbundenen Trennung des Stromes weiter.

Was passiert bei einem Absturz über dem Meer?

Flugschreiber senden bis zu 30 Tage nach dem Unglück ein Signal aus bis zu 6000 Meter Tiefe, auf diese Belastung sind sie ausgelegt. Dauert die Bergung allerdings länger, können im Laufe der Zeit Schäden auftreten, wobei dann immer noch eine Datenauswertung möglich ist. Das hat das Beispiel der im Atlantik abgestürzten AirFrance-Maschine AF447 2009 gezeigt, bei der die Blackbox noch nach einem Jahr verwertbar war. Übrigens: Die Geräte müssen auch Hitze von bis zu 1100 Grad Celsius eine Stunde lang aushalten können.

Wie viele Daten zeichnet das Gerät auf?

Insgesamt erfasst eine Blackbox über 2000 Flugdaten, etwa Ortsangaben über GPS, das Wetter, Flughöhen, Ruderstand, Geräteaufzeichnungen, Luftdruck oder ein sich verändernder Öldruck. Die Blackbox besteht zudem aus einem Stimmrekorder, der die Gespräche zwischen Piloten und Crew sowie mit dem Tower mitschneidet – allerdings immer nur für maximal zwei Stunden. Nach zwei Stunden werden die ältesten Daten wieder überschrieben. Parallel dazu läuft der Datenrekorder, der insgesamt 25 Stunden erfassen kann.

Welche weiteren Untersuchungen führen Sie durch?

Vor Ort betrachten wir, ob alle Wrackteile vorhanden sind und wie weit einzelne Bestandteile des Flugzeugs verstreut sind. Daraus können wir erste Schlüsse ziehen, was in der Luft passiert sein könnte. Der Unfall soll möglichst gut rekonstruiert werden. Dazu stellen die Kollegen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung auch Material sicher und bringen es nach Braunschweig, wo wir diese Arbeit durchführen. Wir haben hier auch eine Asservatenkammer und lagern Wrackteile ein. Falls sich die Methoden verbessern, untersuchen wir sie wenn nötig nochmal neu.

Machen Sie bei Bedarf auch forensische Untersuchungen?

Wenn wir wissenschaftlich mit unseren Experten nicht weiterkommen, konsultieren wir natürlich externe Wissenschaftler: Was wir nicht können, geben wir ab. Am BfU selbst arbeiten 35 Fachleute. Tote müssen wir aber zum Glück nicht selbst obduzieren, das machen Pathologen der Rechtsmedizin.

Wie oft im Jahr werden sie konsultiert?

Das ist schwer zu sagen. Prinzipiell sind wir zuständig, wenn ein Flugzeug hierzulande abstürzt und es Tote oder schwer Verletzte gibt. Auch bei schweren Störungen des Luftverkehrs werden wir aktiv.

Führt ihre Arbeit auch zwingend zu politische Konsequenzen?

Wir selbst sind neutral und müssen neutral sein. Deshalb ist die BfU auch nicht dazu da, einen Schuldigen festzustellen. Wir analysieren nur die Daten, schreiben einen entsprechenden Bericht darüber und geben Sicherheitshinweise, etwa wenn Bauteile fehlerhaft sind. Unsere Untersuchungen sind ohnehin nicht die einzigen, denn auch die Herstellerfirmen haben ein eigenes Interesse, Fehler abzustellen. Und sie beheben in der Regel Missstände sofort, sogar noch vor unseren Sicherheitsempfehlungen. Sollte ein Absturz auf Gewalt zurückzuführen sein, liefern wir ebenfalls nur die Analyse. Handeln muss dann die Exekutive.

Vielen Dank für das Gespräch.

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