Erbgutforschung am Alpenmann: Forscher erhellen Ötzis Krankengeschichte
2010 war es Forschern gelungen, Ötzis Kern-DNA zu entziffern. Nun legten die Wissenschaftler des Bozener Instituts für Mumien und den Iceman die Auswertung seiner Erbgutsequenz vor – und konnten der Gletschermumie auch noch 21 Jahre nach ihrer Entdeckung Details der Krankengeschichte entlocken.
Demnach litt der Alpenmann unter einer Milchzuckerunverträglichkeit, hatte die Blutgruppe 0 Rhesusfaktor positiv und neigte zu Herz-Kreislauf-Beschwerden. Auch gelang es Genetikern der Universitäten Tübingen und des Saarlandes durch Vergleiche mit moderner DNA, Ötzis genetische Herkunft genauer einzugrenzen: So weist sein Erbgut die größten Gemeinsamkeiten mit dem Genom heutiger Korsen und Sarden auf – speziell seine Y-chromosomale Haplogruppe G2a4.
Wie die Paläogenetikerin Angela Graefen vom Institut für Mumien und den Iceman vermutet, kamen Menschen mit dieser Haplogruppe "im Zuge der so genannten 'Neolithischen Revolution' aus dem Nahen Osten nach Europa" – folglich mit Ausbreitung von Ackerbau und Viehwirtschaft. Durch Wanderbewegungen der Völkergruppen verlor sich die Haplogruppe allmählich und sei "nur noch in isolierten Regionen wie beispielsweise den mediterranen Inselregionen erhalten geblieben", sagt Graefen.
Überdies stellten die Forscher fest, dass sich der Mann vom Hauslabjoch mit Borreliose infiziert hatte. Mit einem Alter von 5300 Jahren liefert die Eismumie somit den frühesten bislang bekannten Nachweis für diese Infektionskrankheit, die durch Zecken übertragen wird.
Dass der Neolithiker nicht nur stark zu Arteriosklerose neigte, sondern seine Hauptschlagader und rechte Beckenarterie auch bereits verkalkt waren, entdeckten die Forscher auf CT-Bildern der Mumie. Für den leitenden Anthropologen Albert Zink vom Institut für Mumien und den Iceman ein Glücksfall: So lassen sich genetische Informationen und medizinischer Befund zusammenführen. Denn Ötzi war stark körperlich aktiv – zu wenig Bewegung als typisch neuzeitliche Ursache einer Herzerkrankung traf auf ihn also nicht zu. "Dass solche genetischen Veranlagungen schon zu Zeiten von Ötzi vorhanden waren, ist für uns sehr interessant", so Zink. "Es zeigt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten sind."
Weniger überraschte die Wissenschaftler hingegen Ötzis Laktoseunverträglichkeit. Erst um 5600/5500 v. Chr. hatte sich die Viehwirtschaft in Europa etabliert – begannen die Menschen also, Milchprodukte auch nach der Kindheit zu sich zu nehmen. Wie Paläogenetiker an neolithischen Knochen aus ganz Europa feststellten, war die Unfähigkeit, Milchzucker zu verdauen, ein charakteristisches Phänomen jener Zeit.
Schon letzten Sommer hatten die Forscher bekannt gegeben, dass Ötzi wahrscheinlich braune Augen besaß und unter Karies sowie Parodontose litt. Ebenso herrscht inzwischen weit gehend Einigkeit über das Szenario seines Ablebens: Nach einer üppigen Fleischmahlzeit wurde Ötzi von einem Pfeil getroffen und erlitt anschließend eine lebensgefährliche Schädelverletzung – entweder durch einen Schlag auf den Kopf oder den Sturz zu Boden.
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