Covid-19: Zurück ins Labor, zurück zu neuen Regeln
Nachdem ihre Universität im März wegen der Corona-Pandemie geschlossen worden war, hatte sich Jeannine Randall hingesetzt und versucht, ihren Forschungsplan an die Pandemie anzupassen. In einem Projekt beispielsweise beobachteten sie Baumschwalben, und nun mussten sie und ihre beiden Kolleginnen im Frühjahr und Sommer in getrennten Fahrzeugen zu den Nistplätzen fahren, private Arbeitsausrüstungen verwenden, stets zwei Meter voneinander halten und natürlich alles regelmäßig desinfizieren. Als sie merkte, dass Handdesinfektionsmittel in den Geschäften knapp war, stellte sie ihr eigenes her mit Ethanol aus ihrem Labor.
Dieser Tage nimmt die University of Northern British Columbia in Kanada die Arbeit vor Ort teilweise wieder auf, und Randall setzt ihren Plan in die Tat um: Die Forscherinnen zählen die Eier, warten, bis die Jungvögel schlüpfen und beobachten die Vögel von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang. »Ich denke, dass Wissenschaftler in gewisser Weise sehr gut in der Lage sind, ein sinnvolles Protokoll auszuarbeiten und es dann umzusetzen«, sagt Vogelökologin Randall.
Während Länder auf der ganzen Welt damit beginnen, die ersten Einschränkungen aufzuheben, beginnt auch für Forscher eine neue Arbeitsphase. Zum Laborkittel kommt nun oft die Maske, sie wechseln sich in Laborräumen ab und arbeiten schichtweise an gemeinsamen Instrumenten. Einige Universitäten haben detaillierte Pläne erstellt, um die Bewegungen der Mitarbeiter im Blick zu haben und diese auf das Virus zu testen, und viele haben die Kapazität der Innenräume eingeschränkt ebenso wie die Anzahl an Personen, die sich auf Fluren oder in Eingangsbereichen begegnen. In anderen Fällen werden die Pläne derzeit ausgearbeitet. Und während einige Universitäten mit ihren jeweiligen Regierungen zusammenarbeiten und Pläne gemeinsam entwickeln, gehen andere eigene Wege.
Starke Einschränkungen in den USA und Brasilien
Universitätsverbände in den Vereinigten Staaten schätzen, dass die dortige Forschung eine Unterstützung von mindestens 26 Milliarden US-Dollar benötigt, um wieder aktiv in die Forschung einsteigen zu können. Die Association of American Universities in Washington D. C. beispielsweise hat eine Reihe von Regeln formuliert, die die Universitätsleitungen bei der Wiedereröffnung berücksichtigen sollten.
Von den mehr als 3000 Forschern, die im vergangenen Monat auf eine Online-Leserumfrage von »Nature« geantwortet haben, gab knapp die Hälfte an, dass sie sich noch immer im Lockdown befinden. Wissenschaftler in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Brasilien gehören zu denjenigen, die noch über die größten Einschränkungen berichteten, während nur etwa 7 Prozent der Wissenschaftler aus Deutschland ähnliches berichteten. »Bei uns ist alles größtenteils wieder ganz normal, abgesehen davon, dass wir Masken tragen und einen gewissen Abstand zueinander halten müssen«, sagt Boyan Garvalov, ein Krebsforscher an der Universität Heidelberg, der versucht, seine Karriere und die Betreuung seiner Kinder unter einen Hut zu bekommen. Er wechselt sich mit seiner Frau zu Hause ab, so dass beide arbeiten gehen können.
In Italien gaben fast 30 Prozent der rund 90 Befragten in der »Nature«-Umfrage an, wieder vor Ort zu arbeiten, und weitere 18 Prozent geben an, während der gesamten Sperrzeit gearbeitet zu haben. Einer von ihnen ist der Zellbiologe Paolo Bernardi, der fast jeden Arbeitstag an die Universität Padua ging, um einige verbliebene Mitarbeiter zu beaufsichtigen und seine Pathophysiologie-Klasse über den Videodienst Zoom zu unterrichten. »Jetzt sehen wir bessere Tage«, sagt Bernardi. Sein Labor ist zu etwa 50 Prozent ausgelastet.
Sicherheit und Flexibilität müssen abgewogen werden
Die seit dem 26. April in Padua geltenden universitären Richtlinien, die die Wiederaufnahme der Arbeit vor Ort regeln, verlangen Abstände von einem Meter zwischen Personen, die kurz in Kontakt stehen und zwei Meter für Personen, die sich länger als 15 Minuten im gleichen Raum aufhalten. Masken müssen jederzeit getragen werden, und im Labor sind Handschuhe vorgeschrieben. Es dürfen sich maximal drei Personen gleichzeitig in einem Raum aufhalten, die Konferenzräume sind geschlossen, und Besprechungen müssen weiterhin über Anrufe oder Videokonferenzen stattfinden. Bernardi findet die Spannung zwischen Sicherheit und Flexibilität ausgewogen und ist mit den Regelungen seiner Universität zufrieden.
An der Universität von Groningen in den Niederlanden wurden Forscher gebeten, die Arbeit mit gefährlichen Chemikalien wenn möglich zu vermeiden. Das Ziel: das Risiko von Verletzungen zu minimieren, die eine medizinische Behandlung erfordern würden, sagt die Chemikerin Jana Volaric. Das größte Problem sind für sie sind die abgesagten Konferenzen. Da Volaric im kommenden Jahr eine neue Arbeitsstelle sucht, hatte sie geplant, sich auf Konferenzen umzusehen und Kontakte zu knüpfen. Derartige Interaktionen seien bei Online-Konferenzen schwieriger: »Das ist der frustrierendste Teil.«
Die Chemikerin Kirsty Anderson musste rund vier Wochen zu Hause bleiben, als die University of Auckland in Neuseeland im März geschlossen wurde. Sie wurde vor einigen Wochen teilweise wiedereröffnet, und die Verantwortlichen führten viele der in Europa üblichen Einschränkungen ein. Sie verlangten zudem, dass die Anwesenden notieren, wann sie das Gebäude betreten und wo sie sich genau aufhalten, sowie stets zwei Meter Abstand zueinander einzuhalten. Da immer nur eine Person in den Aufzug darf, hat Anderson ihr Labor in der siebten Etage häufig über das Treppenhaus erreicht.
Anderson und ihre Kollegen wechseln sich an ihren Schreibtischen zu ungeraden und geraden Stunden ab, um die räumlichen Anforderungen der Universität zu erfüllen. Gemeinsame Instrumente werden nur von bestimmten Personen bedient, um den Kontakt zu minimieren. Anderson übergibt ihnen die Proben, die vor der Abgabe abgewischt werden, und sendet Anweisungen über ein gemeinsames Online-Dokument.
Experimente mit menschlichen Teilnehmern noch lange schwierig
Winston Byblow, ein Neurowissenschaftler, der an der University of Auckland motorische Einschränkungen von Schlaganfall-Patienten erforscht, sagt, dass Regierung und Universität in ihren Sicherheitsmaßnahmen einig seien. Er ist jedoch besorgt, dass Experimente mit menschlichen Teilnehmern eine Zeit lang nicht möglich sein werden. Menschen würden sich vermutlich noch viele Monate nicht freiwillig für Experimente melden, weil sie befürchten, mit anderen in geschlossenen Räumen zu sein, sagt er. »Wenn wir weniger Probanden rekrutieren können auf Grund von Unsicherheit oder Angst, dann wird es viel länger dauern, bis die Forschung abgeschlossen ist, und das hat seinen Preis.«Andere Universitäten haben ihre Wiedereröffnung auf eigene Faust organisiert. Jorge Huete-Pérez ist Molekularbiologe und Vizepräsident der University of Central America in Managua, einer privaten Universität mit rund 8000 Studenten. Die Institution hat unabhängig von der nicaraguanischen Regierung, die keine Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ergriffen hat, einen eigenen Abriegelungsplan ausgearbeitet, der die Zahl der Menschen auf dem Campus um etwa 90 Prozent reduziert.
Die Pandemie erreichte Mittelamerika spät, und Berichten zufolge liegt die Gesamtzahl der Fälle in Nicaragua unter 800. Huete-Pérez geht jedoch davon aus, dass die tatsächliche Zahl höher ist. Er denkt, dass Nicaragua ähnlich viele oder gar mehr Fälle hat als die 1000 gemeldeten Fälle im benachbarten Costa Rica und die etwa 5000 Fälle in Honduras. »Wir kennen die tatsächlichen Dimensionen nicht wirklich«, sagt er. Er plant, sich bei der Wiedereröffnung an unabhängige medizinische Organisationen und die WHO zu wenden, wenn es bis dahin keine Richtlinien der nicaraguanischen Regierung gibt.
»Die Situation ändert sich ziemlich schnell, und es steht sehr viel auf dem Spiel«Peter Schiffer
In den USA geriet die Trump-Administration mit dem Center for Disease Control and Prevention aneinander, als es um den Plan der Wiedereröffnung des Landes ging. Mangels eindeutiger Vorgaben entwarf die Universität von Kalifornien, San Diego, einen detaillierten eigenen Plan, einschließlich eines konsequenten Screening-Plans für Mitarbeiter und Studenten, der im Herbst in Kraft treten soll. In der nun abgeschlossenen Pilotphase, die am 11. Mai begann, wurden mehr als 1000 Studenten getestet.
Dieser Ansatz ist jedoch untypisch für den Rest der Welt. In den Vereinigten Staaten können sich Politik und Prioritäten von Bundesstaat zu Bundesstaat drastisch unterscheiden. »Die Situation ändert sich ziemlich schnell, und es steht sehr viel auf dem Spiel«, sagt Peter Schiffer, Physiker und Vizeprofessor für Forschung an der Yale University in Connecticut. Eine Reihe von Universitäten haben ihre Zeitpläne angepasst oder die Rückkehr der Studenten auf den Campus auf nächstes Jahr verschoben, müssen aber noch Pläne für die Rückkehr der Forscher machen. Die Logistik sei beispiellos, sagt Tobin Smith, Vizepräsident für Politik bei der AAU. »Das ist alles Neuland.«
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