Forschungspolitik: Forscher Protest
"Wir wollen forschen - in Deutschland!" So lautet die Forderung deutscher Nachwuchswissenschaftler, die sich durch starre Befristungsregelungen ihrer Zukunft beraubt sehen. Mit ihrer Initiative "Maintain Brains" wollen sie auf ihre Situation aufmerksam machen.
"Das läuft praktisch auf eine Form von Berufsverbot hinaus." Meinhard Hahn, Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), hält wenig von der 2002 beschlossenen Befristungsregelung im Hochschulrahmengesetz. Demnach dürfen Wissenschaftler – selbst wenn sie ihre eigenen Forschungsgelder aus Drittmitteln mitbringen – an einer deutschen Hochschule nicht befristet eingestellt werden, wenn ihr Diplom, abgesehen von Auslandsaufenthalten, schon mehr als zwölf Jahre zurückliegt.
"Das interessiert doch keinen!"
Bei den Kollegen stieß die Initiative zunächst auf Skepsis. "Das interessiert doch keinen Menschen in der Bevölkerung; die interessiert, wenn Müllmänner streiken", lauteten die wenig ermutigenden Prognosen, erzählt Pscherer – ein berechtigter Einwand, bedenkt man die unmittelbaren Konsequenzen. Streiken wollten die Forscher natürlich nicht. "Wir sind ja nicht gewerkschaftlich organisiert", meint Hahn, "und außerdem hängen Wissenschaftler mit Leib und Seele an ihrem Forschungsprojekt – die können gar nicht streiken."
Dennoch verbreitete sich die Nachricht über die Initiative wie ein Lauffeuer. Über 12 000 Wissenschaftler unterstützten bereits mit ihrer Unterschrift die Forderung, die Befristungsregelungen abzuschaffen, und praktisch die Gesamtheit der wissenschaftlichen und medizinischen Fachgesellschaften bekundeten ihre Sympathie. Die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und Die Zeit berichteten über die Aktivität der beiden Wissenschaftler. Und eines Tages klingelte das Telefon, und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) meldete sich. "Ich war sehr verwirrt, denn ich rechnete gerade mit meiner endgültigen Kündigung", erzählt Hahn – stattdessen war es eine Einladung zum Gespräch nach Berlin, um mögliche Lösungen mit den beiden Forschern zu diskutieren. Das informelle Gespräch mit Ministerialdirigent Peter Greisler und Ministerialrat Dirk Schüller verlief "erstaunlich konstruktiv". Verschiedene Modelle wurden diskutiert, wie man die Forderungen der wissenschaftlichen Gesellschaften, der Fachverbände und der "Maintain-Brains"-Initiative umsetzen kann.
Durchhangeln von Uni zu Uni
Wie ist die Situation heute, wie kam es dazu, und was kann man verbessern? Bis zum Februar 2002 galt für Wissenschaftler, wie für den gesamten öffentlichen Dienst, die Fünfjahresregel: Eine Institution darf einen Mitarbeiter nur bis zu fünf Jahre befristet einstellen, danach hat er Anrecht auf einen festen Vertrag. Da es sich keine Hochschule leisten konnte, Jungforscher fest einzustellen, hangelten sich die Wissenschaftler auf Zeitverträgen von Uni zu Uni. Feste Verträge gab es in aller Regel nur für Professoren.
Ein solcher Zustand der Dauerbefristung sei "unsozial", befand die Regierung und schob dem einen Riegel vor. Mit der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes galt ab Februar 2002: Zwölf Jahre insgesamt – alle Verträge an allen deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen eingeschlossen – durfte ein Wissenschaftler befristet beschäftigt werden. Damit war die Wunde nicht geheilt, sondern nur durch ein Pflaster kaschiert. In der Realität wendete sich die Regel gegen die, die sie schützen sollte. Nicht mehr Forscher ohne Professur wurden fest eingestellt – ihnen wurde lediglich die Zeit geraubt, sich zum Professor zu qualifizieren.
Nur schnelles Abfertigen
"Keiner von uns, der hier aktiv an der Initiative beteiligt ist, will sich auf eine feste Stelle einklagen", betont Pscherer. "Wir wollen nur unsere Qualifizierungsphase abschließen." Und zwölf Jahre sind dazu in aller Regel zu wenig – kaum jemand schafft es bis dahin, den begehrten Professorentitel zu ergattern. Unter einem so engen Zeitplan sei innovatives Forschen kaum möglich, erläutert Pscherer, "keine riskanten und ideenhaften Projekte, nur schnelles Abfertigen von Arbeiten." Wer umdenkt, sich vielleicht einem neuen Thema widmet, sich unkonventionellen Fragestellungen widmet, fällt durch das Raster.
Zudem hat sich die Situation an den Universitäten noch verschlechtert; Sparmaßnahmen führen zu Personalkürzungen, die in erster Linie den befristet eingestellten Mittelbau treffen. Und das wiederum kann sich eine Universität eigentlich gar nicht leisten. "Theoretisch ist ein Professor zwar für Lehre, Betreuung der Doktoranden, Diplomanden, Praktikanten, Seminare und Vorlesungen zuständig – in der Praxis machen das alles die Assistenten", erläutert Pscherer.
Nicht aus Einsicht
Im Juli 2004 kippte das Bundesverfassungsgericht die Juniorprofessur, und mit ihr fiel die Befristungsregelung. Nicht aus Einsicht, auch nicht weil ein besseres Konzept vorlag, sondern wegen einer Formalität: Die Zuständigkeit der Länder wurde zu sehr vernachlässigt. Seitdem gilt wieder die Fünfjahresfrist – in den Personalabteilungen der Unis herrschen Konfusion und Chaos.
"Die Gründe waren ja absurd, führten aber in meinem Fall dazu, dass ich plötzlich eine Vertragsverlängerung bekam – ich war erst drei Jahre am DKFZ", erzählt Hahn. Anderen Kollegen blühte das genaue Gegenteil: Nach der neuen Regel wurden ihre Verträge plötzlich nicht mehr verlängert, obwohl sie fest damit gerechnet hatten. Diesen Zustand der Rechtsunsicherheit zu beheben, ist ein dringendes Anliegen des BMBF – am Freitag verbschiedete der Bundestag eine "Reparaturnovelle", welche die Zwölfjahresregelung rückwirkend wieder einführt; bis zum 28. Februar 2008 gilt eine Übergangsfrist.
Auch hat das BMBF nicht vergessen, für 2008 eine flexiblere Regelung in Aussicht zu stellen, die eine Beschäftigung auf Drittmittelbasis über zwölf Jahre hinaus ermöglichen soll. "Das wurde auch bei unserem Besuch beim BMBF so dargelegt", sagt Pscherer. Einen Vorentwurf zur aktuellen Gesetzesvorlage hätten sie damals erhalten, in dem direkt auf die vom Wissenschaftsrat vorgeschlagene Lösung verwiesen wurde: unbefristete Verträge nach Ablauf der Zwölfjahresfrist, aber mit aufgeweichtem Kündigungsschutz, der bei Wegfall der Drittmittel nicht mehr greift.
"Wir gucken in die Röhre"
Also ein wahrer Erfolg? "Wenn es so kommt: ja", meint Pscherer. "Aber man darf nicht vergessen: Es handelt sich lediglich um eine Absichtserklärung. Der Verweis auf das Modell des Wissenschaftsrates ist in der aktuellen Gesetzesvorlage gestrichen, es ist jetzt viel vager formuliert."
Wegen der Übergangsregelung wird vorerst kein Wissenschaftler arbeitslos, somit sind diese erst einmal ruhig gestellt. Bis 2008 verstreicht viel Zeit, noch dazu liegen Wahlen dazwischen, es besteht die Gefahr, dass Gras über die Sache wächst. Dabei ist akutes Handeln angesagt. "Es müssten weit reichende Einigungen zwischen dem Bundesinnenministerium als Zuständigen für die BAT-Tarife, dem Wissenschaftsministerium, den Ländern und den Gewerkschaften als Tarifpartnern erzielt werden – und das ist ja eine brisante Mixtur", meint Pscherer.
Dass auch nach Inkrafttreten der "Reparaturnovelle" aktiv auf die Parteien zugegangen wird, um einen Konsens zu finden, das wünscht sich Pscherer vom BMBF. Hahn und Pscherer jedenfalls werden ihr Übriges dazu beitragen, die Diskussion in Gang zu halten. Öffentliche Foren mit hochkarätigen Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften sind geplant. "Damit wirklich darüber gesprochen wird", wie Hahn betont, "und damit wir die Möglichkeit haben, auch unsere Bedenken seitens der arbeitenden Wissenschaft einzubringen – denn wir sind ja hinterher die, die in die Röhre gucken, wenn die Verträge nicht verlängert werden."
Vielen Forschern, die sich auf eine Professur qualifizieren wollen, wird durch diese Zwölfjahresregelung kurz vor der Habilitation das Wasser abgedreht – und just dieses Unheil drohte Meinhard Hahn letzten Sommer zu ereilen. Sein Vertrag lief aus, eine Verlängerung war nicht möglich – trotz eigenem, als besonders förderungswürdig begutachteten Drittmittelprojekt. "In der Situation kann man dann auch das Risiko eingehen, anzuecken", so Hahn. Zusammen mit seinem Kollegen Armin Pscherer, der in einer ähnlichen Situation war, rief er die Initiative "Maintain Brains" ins Leben – unter Anspielung des viel beklagten "Brain Drains", wie die Abwanderung qualifizierter Nachwuchsforscher ins Ausland auf neudeutsch bezeichnet wird. Mit der Forderung "Wir wollen forschen – in Deutschland!" machen sie auf die Probleme des wissenschaftlichen Nachwuchses aufmerksam und drängen auf eine Lösung.
"Das interessiert doch keinen!"
Bei den Kollegen stieß die Initiative zunächst auf Skepsis. "Das interessiert doch keinen Menschen in der Bevölkerung; die interessiert, wenn Müllmänner streiken", lauteten die wenig ermutigenden Prognosen, erzählt Pscherer – ein berechtigter Einwand, bedenkt man die unmittelbaren Konsequenzen. Streiken wollten die Forscher natürlich nicht. "Wir sind ja nicht gewerkschaftlich organisiert", meint Hahn, "und außerdem hängen Wissenschaftler mit Leib und Seele an ihrem Forschungsprojekt – die können gar nicht streiken."
Dennoch verbreitete sich die Nachricht über die Initiative wie ein Lauffeuer. Über 12 000 Wissenschaftler unterstützten bereits mit ihrer Unterschrift die Forderung, die Befristungsregelungen abzuschaffen, und praktisch die Gesamtheit der wissenschaftlichen und medizinischen Fachgesellschaften bekundeten ihre Sympathie. Die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und Die Zeit berichteten über die Aktivität der beiden Wissenschaftler. Und eines Tages klingelte das Telefon, und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) meldete sich. "Ich war sehr verwirrt, denn ich rechnete gerade mit meiner endgültigen Kündigung", erzählt Hahn – stattdessen war es eine Einladung zum Gespräch nach Berlin, um mögliche Lösungen mit den beiden Forschern zu diskutieren. Das informelle Gespräch mit Ministerialdirigent Peter Greisler und Ministerialrat Dirk Schüller verlief "erstaunlich konstruktiv". Verschiedene Modelle wurden diskutiert, wie man die Forderungen der wissenschaftlichen Gesellschaften, der Fachverbände und der "Maintain-Brains"-Initiative umsetzen kann.
Durchhangeln von Uni zu Uni
Wie ist die Situation heute, wie kam es dazu, und was kann man verbessern? Bis zum Februar 2002 galt für Wissenschaftler, wie für den gesamten öffentlichen Dienst, die Fünfjahresregel: Eine Institution darf einen Mitarbeiter nur bis zu fünf Jahre befristet einstellen, danach hat er Anrecht auf einen festen Vertrag. Da es sich keine Hochschule leisten konnte, Jungforscher fest einzustellen, hangelten sich die Wissenschaftler auf Zeitverträgen von Uni zu Uni. Feste Verträge gab es in aller Regel nur für Professoren.
Ein solcher Zustand der Dauerbefristung sei "unsozial", befand die Regierung und schob dem einen Riegel vor. Mit der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes galt ab Februar 2002: Zwölf Jahre insgesamt – alle Verträge an allen deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen eingeschlossen – durfte ein Wissenschaftler befristet beschäftigt werden. Damit war die Wunde nicht geheilt, sondern nur durch ein Pflaster kaschiert. In der Realität wendete sich die Regel gegen die, die sie schützen sollte. Nicht mehr Forscher ohne Professur wurden fest eingestellt – ihnen wurde lediglich die Zeit geraubt, sich zum Professor zu qualifizieren.
Nur schnelles Abfertigen
"Keiner von uns, der hier aktiv an der Initiative beteiligt ist, will sich auf eine feste Stelle einklagen", betont Pscherer. "Wir wollen nur unsere Qualifizierungsphase abschließen." Und zwölf Jahre sind dazu in aller Regel zu wenig – kaum jemand schafft es bis dahin, den begehrten Professorentitel zu ergattern. Unter einem so engen Zeitplan sei innovatives Forschen kaum möglich, erläutert Pscherer, "keine riskanten und ideenhaften Projekte, nur schnelles Abfertigen von Arbeiten." Wer umdenkt, sich vielleicht einem neuen Thema widmet, sich unkonventionellen Fragestellungen widmet, fällt durch das Raster.
Zudem hat sich die Situation an den Universitäten noch verschlechtert; Sparmaßnahmen führen zu Personalkürzungen, die in erster Linie den befristet eingestellten Mittelbau treffen. Und das wiederum kann sich eine Universität eigentlich gar nicht leisten. "Theoretisch ist ein Professor zwar für Lehre, Betreuung der Doktoranden, Diplomanden, Praktikanten, Seminare und Vorlesungen zuständig – in der Praxis machen das alles die Assistenten", erläutert Pscherer.
Nicht aus Einsicht
Im Juli 2004 kippte das Bundesverfassungsgericht die Juniorprofessur, und mit ihr fiel die Befristungsregelung. Nicht aus Einsicht, auch nicht weil ein besseres Konzept vorlag, sondern wegen einer Formalität: Die Zuständigkeit der Länder wurde zu sehr vernachlässigt. Seitdem gilt wieder die Fünfjahresfrist – in den Personalabteilungen der Unis herrschen Konfusion und Chaos.
"Die Gründe waren ja absurd, führten aber in meinem Fall dazu, dass ich plötzlich eine Vertragsverlängerung bekam – ich war erst drei Jahre am DKFZ", erzählt Hahn. Anderen Kollegen blühte das genaue Gegenteil: Nach der neuen Regel wurden ihre Verträge plötzlich nicht mehr verlängert, obwohl sie fest damit gerechnet hatten. Diesen Zustand der Rechtsunsicherheit zu beheben, ist ein dringendes Anliegen des BMBF – am Freitag verbschiedete der Bundestag eine "Reparaturnovelle", welche die Zwölfjahresregelung rückwirkend wieder einführt; bis zum 28. Februar 2008 gilt eine Übergangsfrist.
Auch hat das BMBF nicht vergessen, für 2008 eine flexiblere Regelung in Aussicht zu stellen, die eine Beschäftigung auf Drittmittelbasis über zwölf Jahre hinaus ermöglichen soll. "Das wurde auch bei unserem Besuch beim BMBF so dargelegt", sagt Pscherer. Einen Vorentwurf zur aktuellen Gesetzesvorlage hätten sie damals erhalten, in dem direkt auf die vom Wissenschaftsrat vorgeschlagene Lösung verwiesen wurde: unbefristete Verträge nach Ablauf der Zwölfjahresfrist, aber mit aufgeweichtem Kündigungsschutz, der bei Wegfall der Drittmittel nicht mehr greift.
"Wir gucken in die Röhre"
Also ein wahrer Erfolg? "Wenn es so kommt: ja", meint Pscherer. "Aber man darf nicht vergessen: Es handelt sich lediglich um eine Absichtserklärung. Der Verweis auf das Modell des Wissenschaftsrates ist in der aktuellen Gesetzesvorlage gestrichen, es ist jetzt viel vager formuliert."
Wegen der Übergangsregelung wird vorerst kein Wissenschaftler arbeitslos, somit sind diese erst einmal ruhig gestellt. Bis 2008 verstreicht viel Zeit, noch dazu liegen Wahlen dazwischen, es besteht die Gefahr, dass Gras über die Sache wächst. Dabei ist akutes Handeln angesagt. "Es müssten weit reichende Einigungen zwischen dem Bundesinnenministerium als Zuständigen für die BAT-Tarife, dem Wissenschaftsministerium, den Ländern und den Gewerkschaften als Tarifpartnern erzielt werden – und das ist ja eine brisante Mixtur", meint Pscherer.
Dass auch nach Inkrafttreten der "Reparaturnovelle" aktiv auf die Parteien zugegangen wird, um einen Konsens zu finden, das wünscht sich Pscherer vom BMBF. Hahn und Pscherer jedenfalls werden ihr Übriges dazu beitragen, die Diskussion in Gang zu halten. Öffentliche Foren mit hochkarätigen Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften sind geplant. "Damit wirklich darüber gesprochen wird", wie Hahn betont, "und damit wir die Möglichkeit haben, auch unsere Bedenken seitens der arbeitenden Wissenschaft einzubringen – denn wir sind ja hinterher die, die in die Röhre gucken, wenn die Verträge nicht verlängert werden."
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