Sonnenphysik: Forscher simulieren erstmals solare Spikulen
Sekündlich entstehen gewaltige Jets aus heißem Plasma an der Sonnenoberfläche, so genannte Spikulen. Sie können Durchmesser von mehreren hundert Kilometern aufweisen und mit Geschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometern pro Sekunde nach oben schießen. Einer Forschergruppe ist es nun erstmals gelungen, solche Jets mit hoher Regelmäßigkeit in einem Computermodell zu erzeugen: Ihre Simulationen stimmen in jeder Hinsicht mit den Beobachtungen realer Spikulen auf der Sonne überein. Dies trägt zum fundamentalen Verständnis der zu Grunde liegenden physikalischen Prozesse bei – daran waren Wissenschaftler in der Vergangenheit stets gescheitert.
Die Entdeckung der Spikulen liegt bereits rund 140 Jahre zurück: Während einer Sonnenfinsternis waren sie als vom Sonnenrand ausgehende Spritzer aus Plasma erkennbar. Ihr Entdecker Pietro Angelo Secchi (1818 – 1878) von der Vatikanischen Sternwarte verglich sie mit Flammen, die aus der sonst gleichmäßig runden Sonnenscheibe emporschlagen. Spätere Beobachtungen zeigten, dass die Jets viele tausend Kilometer lang werden können, bevor sie nach fünf bis zehn Minuten wieder zurück auf die Sonnenoberfläche fallen. Doch trotz eingehender Untersuchungen, und obwohl sie jeden Tag 1000-fach auf der Sonne auftreten, ist die Entstehung der Auswürfe bis heute kaum verstanden.
Durch die Arbeit der Wissenschaftler um Juan Martínez-Sykora vom Lockheed Martin Solar and Astrophysics Laboratory (LMSAL) in Palo Alto, USA, könnte sich dies nun ändern: Die Forscher nutzten numerische Modelle, um Magnetfelder und Plasmaströme an der Sonnenoberfläche zu simulieren. Dabei entstanden spontan mehrere Jets, die in ihrer Beschaffenheit an Spikulen erinnern. Zwar war dies Martínez-Sykora und Kollegen bereits im Jahr 2011 geglückt – damals konnten aber insgesamt nur zwei Auswürfe produziert werden, zu wenig verglichen mit den ständig auftretenden realen Vorbildern. In den neuen Simulationen dagegen entstehen die Jets deutlich häufiger und bilden die Realität somit besser ab. Auch Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Interface Region Imaging Spectrograph (IRIS) der NASA und dem Swedish Solar Telescope (SST) auf La Palma zeigen eine gute Übereinstimmung der simulierten mit den realen Spikulen.
Die Modelle ermöglichen es den Wissenschaftlern, das komplizierte Zusammenspiel von Plasmaflüssen und Magnetfeldern zu verstehen, das schlussendlich zu den Jets führt. Verantwortlich sind demnach magnetische Spannungen knapp unterhalb der sichtbaren Oberfläche der Sonne, die verstärkt und nach oben transportiert werden. Wenn sie sich dann plötzlich entladen, schleudern sie Gasströme aus, die entlang der Magnetfeldlinien strömen und sich stark aufheizen – die von uns beobachteten Spikulen. Die Jets füttern somit wohl auch die Sonnenkorona mit Plasma und tragen zu deren extrem hohen Temperaturen bei. Außerdem spielen die Auswürfe vermutlich eine Rolle bei der Erzeugung des Sonnenwinds.
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