Simuliertes Fluchtverhalten: Massenpanik in 3-D
Bei großen Menschenansammlungen kommt es immer wieder zu tödlichem Gedränge. Tragische Beispiele dafür sind die Loveparade in Duisburg 2010 oder die Massenpanik auf dem Weg nach Mekka 2015. Wie Massenpaniken entstehen und wo es in einer Menschenmenge besonders gefährlich ist, lässt sich aus ethischen und methodischen Gründen im echten Leben nur schwer untersuchen. Virtuelle Umgebungen könnten allerdings eine viel versprechende Alternative bieten, denn Menschen verhalten sich dort ähnlich wie in realen Notsituationen. Zu dieser Erkenntnis kam eine aktuelle Studie von Mehdi Moussaïd vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und seinen Kollegen.
Das internationale Forscherteam brachte 36 Menschen in eine computersimulierte Evakuierungssituation. Während des Experiments saßen alle Versuchsteilnehmer gleichzeitig vor einem Computerbildschirm, und jeder von ihnen sah die virtuelle Umgebung aus der Ichperspektive eines Avatars, den sie per Mausklick und Keyboard aus einem brennenden Gebäude steuern sollten, wobei nur einer der vier Ausgänge passierbar war. Einzelne Probanden wurden per Richtungspfeil auf ihrem Bildschirm zum richtigen Notausgang gelotst, wobei der Rest der Gruppe nicht wusste, wer von ihnen im Vorteil war. Um die Probanden zusätzlich unter Druck zu setzen, gaben die Forscher ihnen zum Verlassen des Gebäudes nur 50 Sekunden Zeit. Schafften sie das nicht, wirkte sich das negativ auf die Bezahlung aus, die sie anschließend für den Versuch bekamen. Eine schlechte Beleuchtung, rot blinkende Lämpchen und Feuer an den verschlossenen Ausgangstüren erschwerten die Flucht zudem.
Dabei entdeckten die Forscher unter anderem, dass der Einzelne den sozialen Signalen der Gruppe bei höherem Stresspegel und räumlicher Enge mehr folgt, da er diese dann intensiver wahrnimmt. Dadurch häufen sich Zusammenstöße, Gedränge und Unfälle, vor allem an Stellen, an denen Wegentscheidungen getroffen werden müssen, Engpässe oder Sackgassen auftreten. Um festzustellen, ob die Reaktionen der Versuchsteilnehmer auf das Leben außerhalb des Labors übertragbar sind, sollten die Probanden weitere Aufgaben lösen. So wurden sie unter anderem aufgefordert, in einem schmalen Flur aneinander vorbeizugehen, ohne sich zu berühren. Die gewählte Vermeidungsstrategie im virtuellen Raum deckte sich mit der aus Experimenten in der realen Welt: Über 80 Prozent der Menschen wichen nach rechts aus. Virtuelle Räume bieten somit nicht nur für die Verhaltensforschung neue Möglichkeiten; auch Städteplaner oder Architekten könnten sie in Zukunft nutzen, um beispielsweise Evakuierungspläne zu testen und damit Unfälle zu vermeiden, so die Forscher.
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