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Parabelflüge: Forschung völlig losgelöst

Parabelflüge bieten die Möglichkeit, sich aus den Fesseln der allgegenwärtigen Schwerkraft zu befreien. Zum zehnten Mal richtet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt solche Expeditionen aus. Mit an Bord: jede Menge kreativer Ideen, viel Hightech und Experimente aus den allen Bereichen der Wissenschaft.
DLR-Parabelflüge feiern Jubiläum
Wenn Agnes Meyer-Brandis in ihre Wetterkugel schaut, riskiert sie einen Blick auf das Unbekannte. Was sie dort zu finden hofft, sind Aerosole, jene winzigen Schwebepartikel, die den Prozess der Wolkenbindung initiieren, indem Wasser an ihnen kondensiert und sich zu sammeln beginnt – so lange, bis allmählich erste Tröpfchen entstehen, die schließlich ganze Wolken bilden. "Ein ganzer Kosmos im Mikrokosmos, der bislang aber noch nicht erforscht wurde", sagt Meyer-Brandis. Mit Hilfe ihrer Wetterkugel und ihrem selbst entwickelten Wolkenkern-Scanner möchte sie den Wolkenschleier um die Aerosole, auch Wolkenkerne genannt, endlich lüften.

Blick in die Wetterkugel | Mit ihrer Laborkugel untersucht die Künstlerin Agnes Meyer-Brandis die Eigenschaften von Aerosolen, die als Kerne der Wolken gelten. Im Fokus ihres Experiments steht die Suche nach einem Symbol für das Große im Kleinen.
Doch mit ihren Experimenten verfolgt sie nicht nur wissenschaftliche, sondern vor allem auch poetische Ziele. Denn Meyer-Brandis ist Künstlerin, ihre Werke präsentiert sie unter anderem auf der Ars Electronica in Linz. Wichtigste Konstante ihrer Arbeit sind Anlehnungen an wissenschaftliche Experimente, Kunst und Forschung verschmelzen in ihren Ausstellungsstücken zu einer Einheit. Zurzeit ist sie auf der Suche nach einem Symbol für das Große im Kleinen. "Die Aerosole verbinden beide Motive", sagt Meyer-Brandis. "Einerseits entsprechen sie als eine Art unbekannter Ort dem Pioniergeist der Wissenschaft, andererseits kommt ihnen bei der Wolkenbildung große Bedeutung zu."

Auf der Erde lassen sich die dynamischen Wechselwirkungen an den Aerosolen bei der Tröpfchenbildung allerdings nur schwer beobachten – die Gravitation lässt die Tröpfchen sofort auf die Erdoberfläche fallen und erschwert damit detaillierte Untersuchungen. Meyer-Brandis bleibt deshalb nur die Flucht in die Schwerelosigkeit. An Bord des Parabelfliegers des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), einem umgebauten Airbus A300 mit dem Beinamen "Zero-G" (G für Gravitation), kann sie der Schwerkraft für kurze Zeit entkommen.

Die Parabel – ein gewagtes Manöver

Ursprünglich für das Schwerelosigkeitstraining von Astronauten entwickelt, werden auf Parabelflügen mittlerweile meist neue Raumfahrttechnologien getestet – doch auch bei Wissenschaftlern sind die Expeditionen in die Mikrogravitation wegen ihrer einzigartigen Forschungsbedingungen sehr beliebt. Ein Flug dauert in der Regel zwischen drei und vier Stunden.

70 Sekunden für eine Parabel | In einer Höhe von 6000 Metern beschleunigt der Pilot das Flugzeug und zieht es in einem Winkel von 47 Grad steil aufwärts – bis er die Triebwerke abrupt drosselt. Nachdem das Flugzeug den Scheitelpunkt seiner parabelförmigen Flughöhe erreicht hat, stürzt es im freien Fall dem Erdboden entgegen. Insgesamt dauert eine Parabel 70 Sekunden, davon erleben die Passagiere etwa 22 Sekunden in Schwerelosigkeit.
Dabei steigt der Airbus in einer Höhe von etwa 6000 Metern zunächst in einem Winkel von 47 Grad steil aufwärts, bis der Pilot die Triebwerke abrupt drosselt. Wegen des zuvor geholten Schwungs gewinnt der Airbus jedoch erst weiter an Höhe, den Scheitelpunkt erreicht er erst bei etwa 8500 Metern – dann stürzt das Flugzeug wieder dem Erdboden entgegen. Bis der Kapitän die Maschine abfängt, befindet sich der Parabelflieger im freien Fall – es herrscht Schwerelosigkeit.

Pro Parabel bleiben den Forschern 22 Sekunden für ihre Experimente, insgesamt summiert sich die Zeit in der Schwerelosigkeit an den fünf Flugtagen auf knapp 40 Minuten. Für Meyer-Brandis ergeben sich so genug Gelegenheiten, um den Geheimnissen der Wolkenkerne auf die Spur zu kommen. Dazu hat die Künstlerin spezielle Methoden vorbereitet, mit denen sie in ihrer Wetterkugel unterschiedliche Tropfenformationen erstellen möchte. "Stehen einige der Tropfen dann im Moment der Schwerelosigkeit still, werde ich sie mit dem Wolkenkern-Scanner untersuchen", sagt Meyer-Brandis. "Als ob man den Regen für einen Moment anhalten und sich einzelne Tropfen genauer anschauen würde."

Forscher nur Zuschauer

Wie alle anderen Konsolen und Schaltschränke an Bord ist auch Meyer-Brandis' Forschungslabor für die Experimente in der Mikrogravitation festgeschraubt. Überhaupt hat der umgebaute Parabelflieger nur wenig mit der Großkabine eines Passagierflugzeugs gemein: Der Boden ist mit weißen Matten abgepolstert, die Fenster sind verklebt. Unter der Decke verläuft von vorne bis hinten eine rote Stange, um den Forschern auch während der Schwerelosigkeit Halt zu geben. Auch die Sitzreihen mussten Platz machen für die Geräte der Wissenschaftler.

Dabei bleibt den meisten Forschern während der Schwerelosigkeit ohnehin nur die Rolle des Zuschauers. "Die eigentliche Arbeit wird zwischen den einzelnen Mikrogravitationsphasen gemacht", sagt Oliver Arp von der Christian-Albrechts-Universität Kiel. "Dann wird es meist richtig hektisch, wenn zum Beispiel einzelne Komponenten schnell ausgetauscht werden müssen." Die Versuche verlaufen dagegen meist vollautomatisch – wie die Experimente der Kieler Wissenschaftler, die an Plasmakristallen forschen.

Plasma – der Stoff, aus dem die Sterne sind

Anders als auf der Erde – wo alle Stoffe in den drei Materiezuständen flüssig, fest und gasförmig gebunden sind – befinden sich 99 Prozent aller sichtbaren Materie des Universums in einem weiteren, vierten Aggregatzustand: dem Plasma. Dieses Gas ist so heiß, dass es sogar die robustesten Bindungen auseinander reißt, welche die Natur je geschaffen hat: die Atome. Trotz der unvorstellbaren Hitze finden sich im Plasma auch feine Staubpartikel, die dem Teilchen-Chaos eine geordnete Struktur verleihen. Diese Mikropartikel tragen die gleiche Ladung, sodass sie sich untereinander abstoßen und den größtmöglichen Abstand zueinander einnehmen – sie ordnen sich in einem regelmäßgen Gitter, Physiker sprechen dann von einem Plasmakristall.

Phasenübergange im Fokus | In der Schwerelosigkeit können Oliver Arp und seine Kollegen weitaus größere Plasmakristalle formen. Die darin enthaltenen Mikropartikel lassen sich besonders gut beobachten, sodass die Forscher mehr über Bedingungen bei Phasenübergängen erfahren. Ungklärt ist allerdings, warum sich in der Mitte der Partikelwolke ein Hohlraum bildet.
"In Plasmakristallen können wir die Partikel einzeln beobachten, zum Beispiel bei Phasenübergängen", sagt Arp. Denn wie die Mikropartikel ihren Aggregatzustand ändern, ist bis heute noch nicht vollständig verstanden. Haben die Forscher das Plasma einmal gezündet, schütten sie die Mikropartikel deshalb nach dem Prinzip des Salzstreuers in das Plasma hinein und beginnen mit ihren Messungen.

"Die Schwerelosigkeit ist die wichtigste Bedingung, um intensiv an Plasmakristallen zu forschen", erklärt Arp. Die Schwerkraft presst die Mikropartikel nach unten, sie sedimentieren. Der Plasmakristall ähnele dann eher einem Pfannkuchen, erzählt Arp weiter. In der Schwerelosigkeit bauen die Kieler Wissenschaftler dagegen weitaus größere Plasmakristalle – und können die mysteriösen Wechselwirkungen zwischen den Mikroteilchen deshalb besser erforschen.

"Keine Erklärung gibt es zum Beispiel dafür, warum sich im Zentrum der Staubwolke Hohlräume ausbilden", sagt Arp. Mit ihrem Laser wollen die Forscher deshalb einzelne Mikropartikel gezielt in diesen Hohlraum hineinschubsen. "Durch die Reaktion der Staubpartikel erhoffen wir uns Hinweise darauf, warum diese Hohlräume entstehen."

Gute Stimmung an Bord

Das Forschungsteam von der Universität Kiel ist bereits seit sechs Jahren regelmäßig bei den Parabelflügen mit an Bord, auch Arp kann mit seiner vierten Teilnahme schon als Stammgast gelten. "Die Arbeitsatmosphäre während der Flugkampagnen ist einzigartig", schwärmt er. Physiker,
"Die Arbeitsatmosphäre während der Flugkampagnen ist einzigartig", sagt Oliver Arp.
Mediziner und Biologen arbeiten an Bord des Parabelfliegers Seite an Seite. "Der Austausch unter den Forschern ist hervorragend", sagt auch der Planzenphysiologe Jens Hauslage von der Universität Bonn. "Dadurch nimmt man neben den eigentlichen Versuchsergebnissen auch immer wieder neue technische Tricks und andere Ideen mit."

Der Biologe untersucht, wie Pflanzen auf die Schwerkraft reagieren. Wurzeln wachsen schließlich stets in den Boden, während sich ihre Sprossen nach oben orientieren. Doch woher wissen Pflanzen, wo oben und unten ist? Orientierung geben ihnen Statolithen, winzige Partikel, die an den Zellen von Spross und Wurzeln befestigt sind. Bei einzelligen Algen und Wurzelzellen höherer Pflanzen konnten die Wissenschafter bei früheren Parabelflügen nachweisen, dass sich die Statolithen in Richtung der Schwerkraft verlagern, nachdem sich ihre Position verändert hatte.

Zum Parabelflieger aufgerüstet | Der Airbus A300 eignet sich besonders gut für Parabelflüge, weil seine starken Turbinen den notwendigen Schub für derartige Manöver liefern.
Dies aktivierte spezielle Rezeptoren, und die Pflanze begannen sich neu auszurichten. Hauslage interessiert, ob diese Schwerkraftrezeptoren durch Druck oder allein durch Kontakt mit den Statolithen aktiv werden. "Bei Versuchen in der Schwerelosigkeit konnten wir zeigen, dass bei einer Alge und der Ackerschmalwand bereits ein einfacher Kontakt ausreicht", erzählt er. Dies setzt eine Kaskade biochemischer Reaktionen in Gang, welche die Forscher während der neuen Flugkampagne des DLR genauer untersuchen wollen.

Dazu setzen sie Pflanzenkeimlinge der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) im Parabelflug verschiedenen Beschleunigungen aus. Einige der Keimlinge erfahren dabei aber nur die normale Erdschwerkraft, während andere auch die 31 Phasen in Schwerelosigkeit durchfliegen. Mit Hilfe einer neu entwickelten Schockgefrieranlage frieren die Forscher die Proben in Sekundenschnelle ein, um die Auswirkungen der unterschiedlichen Beschleunigungen später im Labor zu ananlysieren und damit die schwerkraftabhänigen Signalwege zu bestimmen.

"Skeptiker halten die 22 Sekunden Mikrogravitation aber für viel zu kurz, weil sie glauben, dass die Pflanzen die Schwerelosigkeit so schnell gar nicht mitbekommen", sagt Hauslage. "Aber das stimmt nicht: Algen merken bereits nach fünf Sekunden, dass die Reize ausbleiben." Dann sind die Sensormechanismen, mit denen sich Pflanzen im Raum orientieren, gestört. Wieder unter Einfluss der Schwerkraft orientiert sich die Alge neu – die allmächtige Gravitation hat sie wieder in ihren Bann gezogen.

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