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Mathematik: Hochdimensionale Kugeln lassen sich chaotisch besonders gut stapeln

Das Problem der dichtesten Kugelpackung klingt simpel, ist aber erstaunlich schwer zu knacken. Nun haben vier junge Mathematiker den ersten Durchbruch seit 75 Jahren erzielt.
Bälle
In 2, 3, 8 und 24 Dimensionen hilft das Chaos nicht weiter: Dort ist eine geordnete Kugelanordnung nachweislich die dichteste.

Seit Hunderten von Jahren beschäftigen sich Fachleute damit, wie man Kugeln am meisten Platz sparend anordnen kann. Das Problem geht offenbar auf den Seefahrer Sir Walter Raleigh zurück, der im 16. Jahrhundert die Weltmeere unsicher machte. Er beauftragte seinen damaligen wissenschaftlichen Berater Thomas Harriot mit einer scheinbar einfachen Aufgabe: Harriot sollte berechnen, wie viel Grundfläche mindestens nötig ist, um eine bestimmte Anzahl von Kanonenkugeln in Pyramidenform zu stapeln. Ohne es in dem Moment zu ahnen, sollte Raleigh mit dieser Aufgabe die kommenden Jahrhunderte der Mathematik prägen. Noch heute sind damit zahlreiche Rätsel verbunden.

Zwar konnte Harriot die von Raleigh gestellte Aufgabe schnell lösen – aber es tauchten damit verbundene Fragen auf: Was ist die platzsparendste Anordnung, wenn man den gesamten dreidimensionalen Raum mit unendlich vielen Kugeln füllen möchte? Dieses als keplersche Vermutung bekannte Problem konnte erst 1998 mit Hilfe von Computern gelöst werden. Inzwischen gelang es Fachleuten, die dichteste Packung für zweidimensionale Scheiben in der Ebene sowie für dreidimensionale Kugeln im Raum (das keplersche Problem) und sogar in höheren Dimensionen zu berechnen. So gibt es etwa eine eindeutige Antwort auf die Frage, wie sich 8- und 24-dimensionale »Kugeln« in einem entsprechenden 8- oder 24-dimensionalen Raum möglichst Platz sparend anordnen lassen. Wie das Ergebnis allgemein für d-dimensionale Kugeln lautet, ist bislang allerdings ungewiss.

Doch es gibt Schätzungen. Die noch bis vor Kurzem beste Schätzung stammte vom Mathematiker Claude Ambrose Rogers, der 1947 bewiesen hatte, dass die Dichte der d-dimensionalen Kugeln mindestens 2e·d·2-d betragen muss. Diese Abschätzung blieb in den folgenden Jahrzehnten bestehen – sie konnte kaum verbessert werden.

»Die Verbesserung mag zwar bescheiden erscheinen, aber das Problem ist sehr schwierig und die Methode neu«Timothy Gowers, Mathematiker

Doch nun haben die vier Mathematiker Marcelo Campos, Matthew Jenssen, Marcus Michelen und Julian Sahasrabudhe Rogers Abschätzung um den Faktor log(d) erhöhen können, wie sie in einer noch nicht begutachteten Arbeit berichten, die im Dezember 2023 erschienen ist. Damit haben sie nach 75 Jahren erstmals einen großen Fortschritt in dem Bereich erzielt. »Diese Verbesserung mag zwar bescheiden erscheinen, aber das Problem ist bekanntermaßen sehr schwierig und die verwendete Methode neu«, schreibt der Mathematiker Timothy Gowers auf X.

Das Chaos als Lösung

Um solche Abschätzungen zu treffen, untersucht man in der Regel mögliche Kugelanordnungen und berechnet ihre Dichte, also den Anteil an Kugeln im Raum. Zu belegen, dass es sich dabei wirklich um die dichteste Packung handelt, ist sehr kompliziert: Man muss beweisen, dass jede andere Anordnung – geordnet oder ungeordnet – stets eine geringere Kugeldichte aufweist.

Abschätzungen für die Dichte zu treffen, gestaltet sich schon etwas einfacher. Man kann zunächst mit der denkbar einfachsten Anordnung beginnen: Angenommen, man möchte unendlich viele d-dimensionale Kugeln mit einem Radius von eins in einen d-dimensionalen Raum packen. Dafür pickt man zunächst die Menge aller Punkte im Raum heraus, die einen Abstand von zwei zueinander haben. Wenn man an jeden dieser Punkte eine Kugel mit Radius eins setzt, dann hat man eine mögliche Anordnung gefunden – wenn auch nicht die optimale. Diese hat eine Dichte von 2-d. Also muss die dichteste Kugelpackung mindestens eine Dichte von 2-d haben.

Rogers fand heraus, dass sich diese Abschätzung verbessern lässt – und zwar um einen Faktor 2e·d. Im Wesentlichen zeigte er, dass es eine Anordnung von d-dimensionalen Kugeln gibt, die diese Dichte aufweisen. In den folgenden Jahrzehnten konnten weitere Fachleute Rogers Ergebnis lediglich um einen konstanten Faktor verbessern. »Es ist auffällig, dass die Arbeiten ganz unterschiedliche Methoden verwenden und dennoch alle zu der gleichen linearen Verbesserung der trivialen Schranke führen«, schrieb zum Beispiel der Fields-Medaillist Akshay Venkatesh.

Campos, Jenssen, Michelen und Sahasrabudhe haben in ihrer Arbeit nun stochastische Methoden genutzt, um neue Anordnungen von Kugeln zu untersuchen. Erstaunlich ist hierbei, dass sich ihr Ergebnis nicht auf eine geordnete Anordnung stützt, sondern auf chaotisch verteilte Kugeln. Manchmal führt nunmal auch das Chaos zum Ziel – selbst in der Mathematik.

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