Steinzeit: Fortschrittliche Waffen schon vor 71 000 Jahren
Schon seit Langem rätseln Forscher, ab wann der Mensch nicht nur eine moderne Anatomie besaß, sondern auch komplexe Denk- und Verhaltensweisen an den Tag legte. Neue Antworten auf diese Frage könnten Forscher um Kyle Brown von der University of Cape Town gefunden haben: In den Pinnacle-Point-Höhlen an der Südwestküste Südafrikas stießen sie auf winzige Steinklingen mit einem stolzen Alter von rund 71 000 Jahren, die vermutlich als Pfeil- oder Speerspitzen genutzt wurden. Die steinzeitlichen Werkzeuge bilden damit nicht nur die frühsten Hinweise auf die Nutzung von fortschrittlichen Waffen; sie zeigen auch, dass bestimmte Fertigungstechniken über viele Jahrtausende hinweg genutzt und weiterentwickelt wurden.
Die Klingen sind nur wenige Zentimeter groß und werden auch als Mikrolithen bezeichnet – ein Sammelbegriff für steinzeitliche Kleinstgeräte. Die meisten von ihnen wurden an einer Seite abgestumpft, damit man sie anschließend vermutlich an Holz- oder Knochenstäbe anleimen konnte. Zudem wurde das Rohmaterial offenbar vorher erhitzt, um es besser zu den kleinen Spitzen verarbeiten zu können.
Die ältesten solcher Mikrolithen, die Archäologen bisher entdeckt haben, sind zwischen 60 000 und 65 000 Jahren alt und gehören zu der so genannten Howiesons-Poort-Industrie. Organischen Resten und dem allgemeinen Fundkontext konnten die Forscher entnehmen, dass die winzigen Klingen damals zur Fertigung von fortschrittlichen und tödlichen Waffen wie etwa Pfeil und Bogen oder Speerschleudern benutzt wurden.
Durchgängige Mikrolithenfunde kennt man aber erst seit 40 000 Jahren vor heute. Wissenschaftler vermuteten daher, dass die raffinierteren Waffen erstmals während einer globalen Eiszeit entstanden, in deren Rahmen sich die modernen Menschen an härtere Klima- und Lebensbedingungen anpassen mussten. Durch unglückliche Zufälle starben die begabten Handwerkerlinien stets wieder aus und mit ihnen das Wissen, wie man die Mikrolithe herstellt. Die neue Steinzeittechnologie "flackerte" also sozusagen zwischen 65 000 und 40 000 vor heute immer wieder auf, verschwand dann jedoch regelmäßig.
Brown und seine Kollegen konnten diese Theorie nun widerlegen. Die ältesten Mikrolithe aus den Pinnacle-Point-Höhlen datierten sie auf rund 71 000 Jahre. Zudem konnten sie zeigen, dass die Klingen über 10 000 Jahre hinweg durchgehend in den Höhlen gefertigt wurden. Die Form und Größe der ältesten Mikrolithe ähnelt zudem eher den Projektilspitzen, die in anderen Regionen Afrikas, Europas und Asiens vor rund 20 000 Jahren hergestellt wurden, als denen der Howiesons-Poort-Kultur – die Klingen wurden demnach stetig verändert und weiterentwickelt.
Dass man bisher keine durchgängigen Mikrolithenfunde zwischen 65 000 und 40 000 vor heute machen konnte, schreiben die Forscher vielmehr der geringen Anzahl an gut untersuchten Grabungsstätten in Südafrika zu. Zudem sind die winzigen Klingen klein und fragil – und damit schwer zwischen Sedimenten zu entdecken.
Somit deutet vieles darauf hin, dass die Bewohner der Pinnacle-Point-Höhlen schon vor 71 000 Jahren recht fortschrittliche und tödliche Waffen schufen, mit denen sie die Reichweite ihrer Geschosse deutlich erhöhen und so die eigene Verletzungsgefahr auf der Jagd oder im Kampf minimieren konnten. Mit derartigen Waffen waren sie etwa auch dem Neandertaler schon früh überlegen, der nach aktuellem Kenntnisstand nur einfache Wurfspeere besaß. Da das Herstellungsverfahren für die winzigen Steinklingen sehr aufwändig war und mehrere Tage oder auch Wochen in Anspruch nehmen konnte, sehen Brown und seine Kollegen darin einen eindeutigen Beweis für die komplexen kognitiven Fähigkeiten, die der moderne Mensch damals bereits besessen haben muss.
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