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Verhaltensbiologie: Fossilien belegen Schwarmintelligenz schon vor 480 Millionen Jahren

In Reih und Glied wanderten Trilobiten einst während des Ordoviziums über den Meeresboden. Damit sind sie die frühesten bekannten Lebewesen, die sich als Kollektiv organisierten.
Trilobiten in Reih und Glied, als sie vor 480 Millionen Jahren von Meeressedimenten überdeckt wurden.

Vögel tun es, Fische ebenfalls und Langusten auch. Die Rede ist von der Gruppenbildung von Tieren, die in der Biologie gut erforscht ist. Weniger genau ist jedoch bekannt, wann Lebewesen erstmals begannen, sich als Gruppe koordiniert zu bewegen, um sich zur Paarung zusammenzufinden oder besser vor Fressfeinden zu schützen. Forscher um Jean Vannier von der Université de Lyon haben nun eine sehr frühe Ausprägung dieses Verhaltens an 480 Millionen Jahre alten fossilen Trilobiten entdeckt. Ihre Beobachtungen haben die Wissenschaftler in den »Scientific Reports« veröffentlicht.

In den Versteinerungen aus der marokkanischen Fezouata-Formation sind jeweils mehrere Trilobiten der Art Ampyx priscus erhalten. Die 16 bis 22 Zentimeter langen Gliederfüßer sind eng hintereinander Kopf an Hinterteil aufgereiht und halten über ihre Stachel Kontakt – über den Frontstachel am Kopfende und die Wangenstacheln zu den Seiten. Die Trilobiten versammelten sich so in Reihen, die aus bis zu 20 Individuen bestehen konnten.

Die Forscher nehmen an, dass die Meeresbewohner in Reih und Glied über den Meeresgrund marschierten, als sie schlagartig von Sedimenten überdeckt wurden – vielleicht verursacht durch einen Sturm. Trilobiten der Art Ampyx priscus, die in Formation wandern, sind durch mehrere Fossilien belegt. Das und der enge Körperkontakt zwischen den Meerestieren sprechen dafür, dass die Formation nicht zufällig durch Sedimentverschiebungen entstanden ist.

Trilobiten im Gänsemarsch | Vermutlich überraschte ein Sturm vor 480 Millionen Jahren diese Gruppe Trilobiten. Die Gliederfüßer marschierten hintereinander und hielten über ihre Stachel am Kopf und zu den Seiten Kontakt.

Tierische Prozessionen

Wie Vannier und seine Kollegen anmerken, ist ein ähnliches Verhalten von heutigen Gliederfüßern bekannt, etwa den Langusten. Diese Meerestiere wandern ebenfalls in einer Reihe hintereinander über den Meeresboden, um sich andernorts fortzupflanzen oder Störungen in ihrer Umwelt zu entgehen. Ein ganz ähnliches Verhalten kennen Biologen auch von Insekten wie den Prozessionsspinnern, die ihren Namen der linienförmigen Wanderformation zu verdanken haben. Als Raupe bewegen sie sich in Gruppen aus bis zu 30 Individuen, um sich dann in der Erde gemeinsam zu verpuppen. Sie legen dabei eine Spur aus Pheromonen, damit alle Raupen die Formation halten. Vanniers Team vermutet, dass sich die Trilobiten ähnlich über ihren Tast- und Geruchssinn als Kollektiv koordiniert haben könnten. Das würde auch deshalb naheliegen, weil die Trilobiten dieser Art blind waren.

Über den Grund dieses Verhaltens können die Forscher bislang nur spekulieren. Denkbar wäre, dass sich die Trilobiten ähnlich wie die Langusten auf den Weg machten, um sich anderswo fortzupflanzen oder ungünstigen Umweltbedingungen auszuweichen.

Die marokkanischen Fossilien stammen aus dem Ordovizium. Diese Phase des Erdaltertums ist durch eine starke biologische Auffächerung gekennzeichnet, zahlreiche Tier- und Pflanzenarten hatten sich in Unterarten aufgegliedert. Am Ende des Ordoviziums, vor ungefähr 443 Millionen Jahren, ereignete sich dann das erste der fünf großen Massenaussterben der Erdgeschichte.

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