Ausnahmefund in Frankfurt am Main: Ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen entdeckt
Bei Grabungen in Frankfurt am Main haben Archäologen den bisher ältesten direkten Nachweis für das Christentum nördlich der Alpen entdeckt. Durch den Fund müsse laut Fachleuten die christliche Geschichte in diesem Gebiet umgeschrieben werden. Es handelt sich um eine mit einem christlichen Text beschriftete Silberfolie, die zusammengerollt in einem hohlen Silberamulett steckte. Das Fundstück aus der Zeit zwischen 230 und 270 n. Chr. fand sich im Grab eines Mannes, der auf einem römischen Friedhof im heutigen Frankfurter Stadtteil Praunheim bestattet lag. Wie die Fachleute des Archäologischen Museums, des Denkmalamts und der Universität Frankfurt erklärten, stammen die bisher bekannten ältesten christlichen Zeugnisse nördlich der Alpen aus dem frühen 4. Jahrhundert, also aus der Zeit von Konstantin dem Großen. Diese seien damit mindestens 50 Jahre jünger als der Neufund aus den Überresten von Nida, dem römischen Frankfurt. Laut den Experten müsse damit die Ausbreitung des Christentums in den nördlichen Provinzen, im unmittelbaren Hinterland des Limes, neu bewertet werden.
Nachdem die Archäologen im Jahr 2018 ihre Grabungen auf dem römischen Friedhof in Frankfurt-Praunheim abgeschlossen hatten, folgte die Auswertung der Funde – darunter das Silberamulett aus dem Grab eines Mannes, der im Alter von 35 bis 45 Jahren gestorben war. Die Bestattung datieren die Wissenschaftler anhand der Beigaben aus Keramik in die Phase von 230 bis 270. Weil sich das röhrenartige Objekt mit zwei Ösen im Halsbereich des Skeletts fand, vermuten die Ausgräber um die Leiterin des Frankfurter Denkmalamtes Andrea Hampel, dass es der Tote als Kette um den Hals getragen hatte. Solche Behälter, Phylakterien genannt, sind aus der Antike bekannt. Man bewahrte in ihnen magische Texte und später auch Reliquien auf, die den Träger vor allerlei Bösem beschützen sollten.
Bei der Restaurierung des Frankfurter Silberamuletts sei dann aufgefallen, dass sich im Inneren der dreieinhalb Zentimeter langen Röhre eine zusammengerollte Metallfolie befand. Da sich das Silberblech als extrem zerbrechlich herausstellte, entschieden die Forscherinnen und Forscher, das Stück in einem Computertomografen des Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz zu durchleuchten und es auf diese Weise virtuell auszuwickeln.
»Heilig, heilig, heilig!«
Anhand der Scans konnten Experten um den Althistoriker Markus Scholz von der Universität Frankfurt die 18 eingeritzten Zeilen in lateinischer Sprache entziffern. Dabei stießen sie auf für diese Zeit außergewöhnliche Formulierungen und Namen: Genannt sind ein heiliger Titus, Jesus Christus und der Gott der Christen. Zwar kennen Fachleute derartige auf Metallfolie geschriebene Texte, allerdings richten sich die Zeilen bis ins 5. Jahrhundert hinein an Götter, Dämonen und Heilige verschiedener Glaubensrichtungen. Im Fall der Frankfurter Silberinschrift entpuppe sich der Tote jedoch als alleiniger Anhänger des Christentums und keiner weiteren Religion. Und das zu einer Zeit, als sich der neue Glaube in einer Phase der Unterdrückung befand und noch bis zum Jahr 313 im Imperium Romanum verboten war. Dennoch verbreitete sich die Religion stetig. So gebe es Hinweise aus der antiken Geschichtsschreibung, dass in Gallien, dem heutigen Frankreich, und auch in den germanischen Provinzen bereits im späten 2. Jahrhundert Christen lebten, gesichert sei die Religion nördlich der Alpen aber erst durch Funde aus dem 4. Jahrhundert.
Laut Markus Scholz sei zudem überraschend, dass die Inschrift auf Lateinisch geschrieben wurde. »Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst«, erklärt Scholz in einer Pressemitteilung der Stadt Frankfurt am Main. Zudem finden sich im Text Formulierungen, die Fachleute erst von jüngeren Dokumenten und Artefakten kennen. So könnte der zu Beginn der Silberinschrift genannte Heilige Titus ein Schüler des Apostel Paulus gewesen sein. Auch der Ausruf »heilig, heilig, heilig« in der zweiten Zeile der Inschrift, das so genannte Trishagion, kam erst im 4. Jahrhundert in der christlichen Liturgie auf. Der Passus verweist auf die Bibel und stammt aus dem alttestamentarischen Buch Jesaja (6, 3) sowie aus der Offenbarung des Johannes (4, 8). Das Ende der Frankfurter Inschrift wiederum scheint aus dem Brief des Apostel Paulus an die Philipper (2, 10-11) zitiert zu sein.
Bei den Grabungen in Frankfurt-Praunheim legten die Archäologen insgesamt 127 römische Gräber aus dem 3. Jahrhundert frei. Dabei handelt es sich vor allem um Körpergräber, nicht wie zuvor üblich Brandbestattungen. Laut den Archäologen deute dies auf einen Wandel in den Jenseitsvorstellungen hin. Schon während der Grabungsarbeiten waren den Forschern einige Dinge aufgefallen, die sie bisher aus dem römischen Nida nicht kannten: So sei das Gräberfeld ungewöhnlich weit abseits der Ausfallstraßen der Stadt gelegen. Außerdem habe die Hälfte der Verstorbenen keine Beigaben erhalten. Andere Gräber im selben Friedhof waren hingegen sehr reich ausgestattet. »Die Frage nach einer möglichen religiös-kultischen Komponente erschien uns zunächst nicht vorstellbar – Christen in Nida? Nach geltender Forschungsmeinung schwer vorstellbar«, sagt der provinzialrömische Archäologe Carsten Wenzel vom Archäologischen Museum Frankfurt. »Jetzt stellen sich Fragen neu und anders.«
Neue Erkenntnisse aus Nida
Woher der Tote kam, ob er ein ansässiger Bürger aus Nida war oder aus dem freien Germanien oder anderswoher zugewandert war, wollen die Forscher ebenfalls aufklären. So werden an den Knochen momentan Isotopenanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse könnten Hinweise auf die Herkunft des Mannes liefern. Die neuen Erkenntnisse legen auch nahe, dass die Geschichte Nidas anders verlief als bislang vermutet. Der Ort im Hinterland des Limes florierte offenbar im 3. Jahrhundert. Gemäß der vorherrschenden Forschungsmeinung hatten die Römer Nida jedoch um das Jahr 270 verlassen und die Region befand sich im Niedergang.
Nida war der Hauptort der römischen Verwaltungseinheit Civitas Taunensium. Wie zahlreiche Grabungen der vergangenen Jahrzehnte ergaben, lag die Stadt mit zirka 5000 Einwohnern im Nordwesten des heutigen Frankfurt am Main im Stadtteil Heddernheim. Entstanden war sie vermutlich in der Regierungszeit von Kaiser Vespasian am Ende des 1. Jahrhunderts.
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