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Biologisches Altern: Frauen leben länger, weibliche Säugetiere auch

Frauen leben länger als Männer - auch, wenn ihr gesünderer und vernünftigerer Lebensstil als Bonus herausgerechnet wird. Sind sie rein biologisch im Vorteil? Ein Blick ins Tierreich kann das klären.
Auch  beim Dickhornschaf gilt: Männchen leben kürzer

Beim Menschen ist die Sache klar: Frauen leben länger als Männer; so sind neun von zehn über 110 Jahre alte Senioren weiblich. Das gilt sogar, wenn man die manchmal gefährlicheren Lebensumstände von Männern und bestimmte ungleich verteilte Faktoren wie die Risikobereitschaft herausrechnet. Bedeutet das, dass Frauen einen eingebauten, vielleicht genetischen Vorteil in puncto Langlebigkeit haben? Forscher um Jean-François Lemaître vom CNRS haben den Vergleich zum Tierreich angestellt, um Antworten auf solche Fragen zu finden. Dabei fällt schnell auf, dass die Weibchen vieler Säugetierarten denselben Vorteil haben wie der weibliche Homo sapiens – und das nicht nur dann, wenn sie relativ gefahrlos im Zoo oder Tierpark leben, sondern auch in der Wildnis. Weibchen werden zudem nicht etwa deswegen älter, weil ihre Sterblichkeit in einem bestimmten Lebensabschnitt geringer ist, wie die Auswertung des Teams im Fachblatt »PNAS« verdeutlicht.

Die Forscher hatten zunächst nach verfügbaren Daten über die Lebenserwartung von Tiergeschlechtern gesucht und wurden eher enttäuscht: Es gebe nur wenige Studien, die dazu noch oft an Zootieren durchgeführt wurden, deren Lebenserwartung womöglich ohnehin unnatürlich ist. Die Wissenschaftler haben daher selbst einen Berg von tierdemografischen Daten aufgehäuft und ausgewertet: Am Ende kamen 134 Populationen von 101 Säugetierarten zusammen, von der Fledermaus über den Löwen bis hin zu Orca, Gorilla und Seeelefant. Tatsächlich leben in 60 Prozent aller Fälle Weibchen dieser unterschiedlichen Arten länger als Männchen – und zwar um insgesamt durchschnittlich 18,6 Prozent. Beim Menschen sind es 7,8 Jahre.

Ein noch genauerer Blick zeigte zudem, dass die Weibchen nicht unbedingt langsamer altern. Die Forscher konnten das an 83 Populationen von 66 Arten erkennen, bei denen man aus den Daten nicht nur Durchschnittswerte ablesen kann, sondern auch sieht, in welchem Alter besonders viele Tiere gestorben sind. Diese Sterblichkeit in bestimmten Altern kann sehr unterschiedlich ausfallen – viele Individuen einer Arten sterben etwa sehr häufig jung, dann seltener im mittleren Lebensalter und wieder häufiger als alte Tiere. Solche Kurven sind aber bei männlichen und weiblichen Tieren einer Art ähnlich – die Weibchen altern also nicht per se verlangsamt. Vielmehr sterben in jedem Alter weniger Weibchen als Männchen.

Als mögliche Ursachen für die längere Lebensdauer eines Geschlechts sind bereits verschiedene Theorien diskutiert worden. Man nimmt etwa genetische Ursachen an: Die heterogametische Geschlechterhypothese postuliert, zwei vollständige Geschlechtschromosomen könnten gegenüber einem gemischten, also heterogamen XY-Chromosomensatz wie beim Menschen vorteilhaft sein, weil sie in der Lage sind, mögliche genetische Fehler mit einer Zweitkopie abzupuffern. Denkbar ist auch, dass bestimmte hormonelle Besonderheiten Männchen anfälliger machen. Paarungswillige Säugetiermännchen setzen etwa andere Geschlechtshormone frei, die das Immunsystem mehr schwächen können als weibliche Hormone. Bedacht werden müssen bei der Auswertung außerdem künstlich von außen einwirkende Faktoren. Ein Beispiel ist der Jagddruck durch den Menschen, der Hirsche mit prächtigen Geweihen als Trophäen stärker trifft als Weibchen. Dieser Effekt ist in den Daten der Forscher gut zu erkennen: In bejagten Populationen bestimmter Arten leben die Weibchen nochmals deutlich länger als in unbejagten.

Das Ungleichgewicht der Geschlechter sei jedenfalls eine direkte Folge von Evolutionsprozessen, erklärt das Forscherteam. Durch Nahrungskonkurrenz und sexuelle Selektion sind die Geschlechtsunterschiede bei vielen Säugetierarten immer ausgeprägter geworden. Wozu das führt, ist im Datensatz der Forscher an Populationen des Dickhornschafs (Ovis canadensis) abzulesen: Hier gibt es kaum einen Geschlechtsunterschied in Herden, die im Überfluss leben, jedoch große Geschlechtsunterschiede bei Tieren in sehr kargen Regionen. Dort leben zudem die Männchen noch einmal deutlich kürzer als die Weibchen. Ökologische Prozesse verstärken also die Tendenzen in der Geschlechterbiologie – und das gilt vom Seeelefanten bis hin zur Spitzmaus.

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