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Nobelpreise: »Frauen sind einfach weniger sichtbar«

Warum bekommen so wenige Frauen einen Nobelpreis? Die Ursachen sind vielfältig und behindern Forscherinnen auf allen Stufen der Karriere. Gegenmaßnahmen greifen nur langsam.
Nein, liebe Kinder, Labormäuse werden real nicht so gehalten.

Es sind die Namen Watson und Crick, die untrennbar mit der Entdeckung der DNA-Doppelhelix verknüpft sind. Dabei leistete Rosalind Franklin mit ihren Röntgenbeugungsaufnahmen einen wichtigen – wenn nicht den wichtigsten – Beitrag zur strukturellen Aufklärung unseres Erbguts. Franklin gilt als Paradebeispiel für den Matilda-Effekt: die systematische Verdrängung der Beiträge von Frauen in der Forschung.

Den Begriff prägte 1993 die Wissenschaftshistorikerin Margaret Rossiter. Sie benannte den Effekt nach Matilda Joslyn Gage, einer bereits 1889 verstorbenen amerikanischen Aktivistin und Autorin, die als Vorreiterin in Sachen Gleichberechtigung gilt. Auch die Physikerin Lise Meitner ist ein Beispiel für den Mechanismus. Sie arbeitete jahrzehntelang mit Otto Hahn zusammen und erkannte 1939, dass beide gemeinsam die Kernspaltung entdeckt hatten. Den Nobelpreis dafür bekam fünf Jahre später Hahn – allein.

In den vergangen 120 Jahren erhielten mehr als 800 Männer einen Nobelpreis, aber nur knapp 50 Frauen. Unter den Preisen des Jahres 2019 ist keine einzige geehrte Naturwissenschaftlerin. Allerdings dürfe man nicht nur die absoluten Zahlen betrachten, meint Annette Denzinger, Gleichstellungsbeauftragte der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Tübingen. Vielmehr müsse man berücksichtigen, wie viele Frauen überhaupt in der Wissenschaft arbeiten – und gearbeitet haben: Nobelpreise werden meist für Forschungsergebnisse verliehen, die schon viele Jahre zurückliegen. Zu Zeiten also, als noch weit weniger Frauen in der Wissenschaft aktiv waren als heute.

Systematische Unsichtbarkeit

Auch heute noch sind Frauen in der Wissenschaft noch deutlich unterrepräsentiert. Der Anteil der Professorinnen an der Uni Tübingen beispielsweise hat sich laut Denzinger, die seit 1992 als Gleichstellungsbeauftragte tätig ist, in den letzten zehn Jahren zwar erhöht, aber lediglich von etwa zehn auf rund 21 Prozent. Frauen sprechen außerdem seltener auf Kongressen oder Konferenzen. Laut einer aktuellen Untersuchung der Royal Society of Chemistry werden Veröffentlichungen von Teams um eine Hauptautorin sogar seltener zitiert als die von männlichen Hauptautoren.

Das liegt laut Denzinger weniger an bewusster Diskriminierung, als an der gewachsenen Kultur der Wissenschaft. »Die Kommunikationsform in einem von Männern geprägten System ist männlich. Frauen sind einfach weniger sichtbar und dadurch benachteiligt.« Dieser Malus summiert sich über die Karrierestufen – und trägt zum enormen Ungleichgewicht bei den Nobelpreisen bei.

Der Frauenanteil sinkt unter anderem auch deshalb mit steigender Karrierestufe, weil Bewerbungs- und Berufungsverfahren dazu neigen, Forscherinnen auszusieben: Sie werden mit vergleichbaren Ergebnissen oft als weniger kompetent wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen. Nachdrücklich demonstriert diesen Effekt ein Experiment von einem Team um Jo Handelsman von der Yale University: Es schickte eine Bewerbung um eine Stelle als Labormanager – mal unter einem männlichen, mal unter einem weiblichen Namen – an über 100 US-amerikanische Professoren. Sie schätzten den männlichen Bewerber als qualifizierter ein als die identische Bewerbung einer Frau. Zudem boten sie dem »Bewerber« ein höheres Gehalt an.

Jason Sheltzer vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge stellte gemeinsam mit Kollegen fest, dass Eliteforscher in den USA männliche Wissenschaftler bevorzugen. Eine Ausbildung oder Anstellung in deren hochkarätigen Labors gilt als Türöffner zur Professur. Die Forscher gehen davon aus, dass dieser Flaschenhals ebenfalls ein wichtiger Grund für den geringen Anteil von Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen ist.

Eine Frage der Prioritäten

Denzinger ist sich allerdings sicher, dass außer solch direkter Benachteiligung zahlreiche weitere Faktoren mitspielen. Oft ist die Phase nach der Promotion – die Postdoc-Zeit – entscheidend dafür, ob Frauen in der Wissenschaft bleiben. Laut Umfragen sind ihnen Familie und Kinder wichtiger als Männern. »Die Familienarbeit liegt noch immer hauptsächlich bei den Frauen«, sagt Denzinger. Weil es immer noch schwierig ist, dies mit einer akademischen Laufbahn zu vereinbaren, ziehen sich viele Frauen eher ganz zurück.

»Gerade in der Familiengründungsphase wird von Nachwuchswissenschaftlerinnen maximale Flexibilität erwartet. Sie bekommen meist keine dauerhafte Anstellung, müssen häufig umziehen, möglichst auch ins Ausland gehen – dazu sagen Frauen eher Nein«, meint Denzinger. Während im Jahr 2018 etwa gleich viele Männer wie Frauen ihre Doktorarbeit an der Universität Heidelberg abschlossen, betrug der Frauenanteil unter den Habilitierenden – also potenziellen Professoren – nur etwa 27 Prozent. Etwa gleich hoch war der Anteil an Nachwuchsgruppenleiterinnen.

Denzinger sieht aber auch positive Entwicklungen – die in den letzten Jahren an vielen Universitäten angestoßenen Gleichstellungsmaßnahmen beginnen Früchte zu tragen. So liegt der Anteil der Juniorprofessorinnen an den Universitäten Tübingen und Heidelberg derzeit bei etwa 50 Prozent. Ob sich dieser Trend auch langfristig bei der Besetzung von Professuren widerspiegelt, sei allerdings kein Selbstläufer und müsse sich erst noch zeigen, so Denzinger.

Gezielte Förderung

Laut Statistik der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) werben Frauen inzwischen ebenso erfolgreich Fördergelder von außerhalb der Universität ein wie Männer. Wie Denzinger erklärt, achten Universitäten und Arbeitgeber heutzutage in vielen Bereichen auf Gleichstellung, so zum Beispiel im Berufungsverfahren für Professuren, wo unter anderem eine Rolle spielt, wie lang die Bewerberinnen und Bewerber bereits in der Wissenschaft sind. Dabei würden auch Phasen der Kinderbetreuung berücksichtigt. Zudem gibt es an vielen Universitäten inzwischen Kinderbetreuungsplätze.

Viele Hochschulen fördern heute gezielt Frauen in MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)-Fächern und bieten spezielle Programme zur Frauen- und Familienförderung an. An der Universität Heidelberg gibt es beispielsweise das Frauenförderprogramm »Olympia Morata«, das sich speziell an promovierte Nachwuchswissenschaftlerinnen richtet.

An der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen gibt es unter anderem Fördermittel für wissenschaftliche Hilfskräfte. Diese seien nicht nur für Frauen mit Kindern verfügbar, sondern auch für Männer, die sich maßgeblich an der Betreuung ihrer Kinder beteiligen, berichtet Denzinger. Die Tübinger Honorarprofessorin und langjährige Max-Planck-Direktorin Christiane Nüsslein-Volhard gründete im Jahr 2004 eine Stiftung zur Unterstützung begabter junger Wissenschaftlerinnen mit Kindern.

Sie selbst erhielt 1995 für ihre Forschung an der genetischen Steuerung der Embryonalentwicklung, gemeinsam mit Kollegen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Im Jahr 2018 hatten mit Donna Strickland (Physik) und Frances Arnold (Chemie) sogar zwei Naturwissenschaftlerinnen Anteil am Nobelpreis – das macht Hoffnung für die Zukunft.

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