Biotechnologie: Fremde Wesen in der Tabakpflanze
Mischwesen haben Konjunktur im populärwissenschaftlichen Zoo. Gruselig, denken manche, die sich ausmalen, was die Forscher da so speziesvermengend treiben. Von einem die Nerven beruhigenden Spaziergang in die Flora ist den Verschreckten aber abzuraten, denn auch in die grüne Küche wird tierisch hineingemischt.
Fremde Wesen wohnen in ihr, heisst es. Indianische Medizinmänner und -frauen bedienen sich der Tabakpflanze seit Jahrhunderten, um andersartige Geister zu heilenden Zwecken herbei zu rufen. Der Tabak, beziehungsweise sein Rauch, ist für die Schamanen ein Vehikel zu höheren Wesenheiten. Heute spannen auch moderne Genetiker mit ihren ureigenen Ritualen den Tabak ganz pragmatisch dazu ein, fremdartige Gestalten zu erschaffen.
Ob Mensch und Maus den Vergleich mit den Geistern der Indianer aushalten sei dahingestellt. Eine besondere Heilkraft wohnt den beiden aber tatsächlich inne. Denn das anpassungsfähige Immunsystem der Wirbeltiere verfügt mit seinen Antikörpern über ein vielköpfiges Heer von heilenden Akteuren. Diese Y-förmigen Gebilde werden zur Abwehr eines jeden Angreifers aufs Neue maßgeschneidert.
Trotz der Myriaden von nach Feinden ausspähenden Antikörpern hat aber auch das Immunsystem seinen blinden Fleck. In dem lauern Gefahren, die der Körper nicht ohne weiteres als fremd identifizieren kann, beispielsweise Tumorzellen. Inzwischen beginnen aber Mediziner diese Lücke im Verteidigungswall zu füllen – und zwar mit der Antikörpertherapie. Bei der helfen Injektionen mit speziellen Immunglobulinen dem Abwehrsystem gegen Krebserkrankungen auf die Sprünge. So befindet sich etwa das Medikament Herceptin auf dem Markt, ein vom Mäuseimmunsystem designtes Immunglobulin, das als Antigen einen Rezeptor erkennt, der gehäuft auf menschlichen Brustkrebszellen auftritt.
Die Pharmaindustrie erzeugt die therapeutischen Antikörper mit großem Aufwand in Stahlfermentern durch tierische Zellklone. Leider ist dieses großtechnische Herstellungsverfahren sehr teuer und liefert nur begrenzte Mengen der Proteine. Ein zusätzliches Problem ist, dass die tierischen Zellen in Massenkultur leicht mit Krankheitserregern kontaminieren. Die als Fabriken für Biomoleküle so häufig genutzten Bakterien und Hefen eignen sich als Ausweichstätte nur bedingt, da die Mikroben die Eiweiße nach ihrer Synthese nicht glykosylieren. Dieser Vorgang, das Anheften verzweigter Zuckermoleküle an die Proteine, vollzieht sich nur in Zellen von Tieren – und in denen von Pflanzen. Daher arbeiten Forscher seit einigen Jahren daran, die Produktion auf ein Fließband zu verlagern, wo auch die Montage der Zuckerbäumchen stattfindet, nämlich in die Werkhallen von Pflanzenzellen.
In den USA unternehmen Agrarfirmen große Anstrengungen, den Pflanzen die Herstellung der menschlichen und tierischen Eiweißen beizubringen. Verständlich, denn "die Anfertigung in Mais, Soja und Tabak verspricht eine saubere, billige und pathogenfreie Produktion, und das in großen Mengen", meint etwa der Münchner Botaniker Hans-Ulrich Koop. Derzeit ist aber noch kein aus Pflanzen stammender Antikörper – im Jargon Plantibody genannt – als Medikament zugelassen. Ein Haken bei der Sache ist noch, dass die für die Eiweißtätigkeit wichtige Glykosylierung in den grünen Fabriken nach einem etwas anderen Muster als beim Menschen verläuft. Deshalb sei jeweils kaum vorherzusehen, wie gut ein Antikörper im menschlichen Körper funktioniert und ob es eventuell zu Abwehrreaktionen kommt, so Koop.
Diesem Problem widmeten sich nun Biotechnologen der Thomas-Jefferson-Universität in Philadelphia. Die Arbeitsgruppe von Hilary Koprowski nahm sich den aus Mäusen stammenden Antikörper CO-17-1A vor, der das Tumorwachstum von menschlichen Darmkrebszellen unterbindet, indem er sich passgenau mit deren Antigen GA733 verquickt. Mit Hilfe einer bakteriellen Genfähre gelang es ihnen, die Gene für die beiden Ketten des Immunglobulins fest im Erbgut einer Tabakpflanze einzubauen. Das Gewächs stellte die Eiweißbestandteile dann nicht nur massenhaft her, sondern baute sie auch richtig zusammen.
Als die Wissenschaftler die aus den Tabakblättern extrahierten CO-17-1A-Moleküle mit denen aus Mäusezellen weiter verglichen, stellten sie jedoch einen recht unterschiedlichen Bewuchs mit Zuckerketten fest. Überraschenderweise war dennoch die Schlagkraft der beiden Antikörper gegen Tumore identisch. Sowohl die im Tabak hergestellten Y-Agenten, als auch die aus Zellkultur stammenden Proteine bekämpften in Versuchstiere eingebrachte menschliche Darmkrebszellen erfolgreich. Nebenwirkungen durch die unterschiedliche Glykosylierung, dem von Botaniker Koop angesprochenen Knackpunkt, traten dabei nicht auf. Hilary Koprowski räumt jedoch ein, dass dieser Befund für CO-17-1A nicht unbedingt für andere Antikörper gelten müsse.
Also werden zukünftige Studien zeigen müssen, wie gewandt sich die heilkräftigen Wesen aus Nicotiana tabacum im menschlichen Körper verhalten. Für den botanisch generierten CO-17-1A plant Hilary Koprowski nun Phase-1 der klinischen Prüfungen – eine Studie an Darmkrebspatienten. Experten wie Koop jedenfalls halten es nur für eine Frage der Zeit, bis auch Plantibodies sämtliche Tests erfolgreich durchlaufen.
Der Geist in der Pflanze, dessen Dienste ja schon seit langem nicht nur zu kultischen Handlungen, sondern weltweit für zweifelhaften alltäglichen Genuss gefragt sind, scheint sich in seinen Blättern auf weiteren Besuch von jenseits der Artgrenze einrichten zu müssen. Wie er damit klar kommt, wird allerdings noch schwerer aufzuklären sein, als die Verträglichkeit der Plantibodies.
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