Sozialleben: "Freunde sind wichtiger als die Ernährung"
Gehirn&Geist: Herr Professor Henningsen, sind glückliche Menschen tatsächlich gesünder?
Es gibt viele Hinweise, dass sich Optimismus und Zufriedenheit positiv auf die Gesundheit und sogar auf die Lebenserwartung auswirken. Umgekehrt entwickeln permanent unzufriedene und pessimistische Menschen gehäuft chronische Entzündungen. Das zeigte unter anderem eine große US-amerikanische Langzeitstudie, die Women’s Health Initiative, in der Wissenschaftler fast 100 000 Frauen nach ihrer Lebenshaltung und diversen körperlichen Erkrankungen wie Krebs, Herzleiden und Osteoporose befragten. Frauen, die zynisch und feindselig eingestellt waren, hatten ein deutlich erhöhtes Risiko, während der achtjährigen Beobachtungsphase eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln oder sogar zu sterben. Die Optimistinnen hatten dagegen eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung.
Wie erklären Sie diesen Befund?
Was genau die positive Lebenseinstellung im Körper bewirkt, wissen wir noch nicht sicher. Zwar kennen wir die statistischen Zusammenhänge, doch zu den Mechanismen gibt es bislang nur Hypothesen. Beispielsweise deuten Untersuchungen darauf hin, dass sich gute Gefühle auf bestimmte Funktionen des Immunsystems positiv auswirken. Das scheint auch der Grund zu sein, warum glückliche Menschen weniger anfällig für Entzündungserkrankungen sind.
Spielt neben Emotionen und Lebenshaltung nicht auch das Verhalten eine Rolle?
Ganz bestimmt, und das sollte man bei diesen Untersuchungen unbedingt berücksichtigen. Optimistische und zufriedene Menschen leben vermutlich gesünder als Pessimisten; sie ernähren sich besser, bewegen sich mehr, rauchen weniger et cetera. Das wirkt sich natürlich positiv auf die körperliche Widerstandskraft aus.
Nicht jedem fliegen Optimismus und Glück einfach zu. Was würden Sie missmutigen Menschen raten?
Wenn jemand ein Griesgram ist, wird er sicher noch griesgrämiger, wenn er realisiert, dass er sich nicht plötzlich umkrempeln kann. Man sollte erst einmal anerkennen, dass es einen Zusammenhang zwischen Lebenseinstellung und Gesundheit gibt. Und dann kann jeder für sich herausfinden, an welchen Stellen er seine Haltung womöglich verändern könnte. Stellt man etwa fest, chronisch pessimistisch zu sein, sollte man sich eventuell professionelle Hilfe holen, zum Beispiel von einem Psychotherapeuten. Möglicherweise liegt dem auch eine Depression zu Grunde, die sich behandeln lässt. Kaum jemand kann sich jedoch wie Baron Münchausen selbst aus dem Gefühlssumpf ziehen.
Wie wichtig sind Dinge wie Freundschaften und Familie für die Gesundheit?
Das spielt eine riesige Rolle. Wie gut ich in soziale Netzwerke eingebunden bin, ist zum Beispiel viel wichtiger als die Frage, wie ich mich ernähre. Der Wissenschaftsjournalist Werner Bartens schreibt: "Wer sich jeden Tag missmutig ein paar Löffel kalt gepresstes Olivenöl einflößt, der wird davon keinen gesundheitlichen Nutzen haben." Viel besser sei ein Schweinebraten in geselliger Runde. Das trifft es sehr gut. Zahlreiche Studien aus den letzten Jahren belegen: Ein intaktes Sozialleben hält gesund. Oder umgekehrt: Einsamkeit macht krank.
Lässt sich schon im Kindesalter beeinflussen, wie anfällig man später für psychosomatische Erkrankungen wird?
In gewisser Weise schon. Denn die Stressregulation im Erwachsenenalter wird stark von frühkindlichen Beziehungserfahrungen geprägt. Wenn Kinder in einem Klima aufwachsen, in dem sie keinen über das normale Maß hinausgehenden Belastungen ausgesetzt sind, wird ihr Stresssystem später weniger störanfällig, als wenn sie etwa unter dem Verlust eines Elternteils gelitten haben. Wir wissen heute, dass solche Erfahrungen unter anderem über epigenetische Mechanismen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Dazu zählen beispielsweise Anhängsel am Erbgut, die die Aktivität bestimmter Gene beeinflussen. Anders als die DNA-Sequenz können sich diese im Lauf des Lebens verändern.
Sind Männer und Frauen unterschiedlich oft von psychosomatischen Erkrankungen betroffen?
Ja, es gibt deutliche Unterschiede: Frauen gehen im Schnitt etwa doppelt so häufig deswegen zum Arzt wie Männer. Das kann verschiedene Gründe haben. Einer ist sicherlich, dass Frauen es leichter mit ihrem Selbstbild vereinbaren können, professionelle Hilfe zu suchen. Männer ertränken ihre Probleme eher in Alkohol und schweigen sich aus, um es mal überspitzt auszudrücken. Ich vermute daher, dass es bei ihnen eine hohe Dunkelziffer gibt. Frauen nehmen aber wahrscheinlich auch Körperprozesse anders wahr. Möglicherweise werden sie durch ihren Monatszyklus immer wieder mit ihren Körperfunktionen konfrontiert und bemerken Beschwerden eher. Das ist aber nur Spekulation.
Zahlreiche Studien belegen, dass sich chronischer Stress negativ auf das Immunsystem und andere Körperfunktionen auswirkt. Kann man die Folgen durch Psychotherapie wieder rückgängig machen?
Darauf gibt es bislang nur erste Hinweise. So zeigten Forscher in Experimenten an Ratten, dass Jungtiere, die früh von der Mutter getrennt wurden und dadurch kranheitsanfälliger waren, mit Hilfe so genannter "enriched environments" partiell geheilt wurden. Die Wissenschaftler ließen die Tiere in einer besonders reizreichen Umgebung leben und pflegten sie ausgesprochen gut. Nach einiger Zeit reagierten die Ratten deutlich weniger empfindlich auf Stress.
Lässt sich das auf den Menschen übertragen?
Das könnte ein tierexperimentelles Analogon zu Psychotherapie sein. Hilft man Menschen, anders mit Stress umzugehen, ihn nicht so gravierend zu erleben, mag sich das auch positiv auf die Gesundheit auswirken. Experimentell gesichert ist das bislang allerdings noch nicht.
Wie würde eine Therapie aussehen?
Im Prinzip könnte man klassische Therapiekonzepte anwenden. Eine Möglichkeit ist die Ressourcenaktivierung. Statt sich darauf zu konzentrieren, was der Patient nicht kann, fördert man vielmehr seine vorhandenen Potenziale. Das stärkt sein Selbstwertgefühl und damit die Fähigkeit, mit Problemen besser umzugehen. Bei einem anderen Therapieprinzip aus der Tiefenpsychologie geht es darum, so genannte maladaptive Muster zu erkennen. Begibt sich der Patient beispielsweise wiederholt in Situationen, in denen er sich gekränkt fühlt, soll er sich darüber klar werden und eine Idee entwickeln, wie er dieses Schema durchbrechen kann. Unabhängig von der Therapierichtung ist sehr wichtig, dass man etwa einem Krebskranken nicht das Gefühl vermittelt, Psychotherapie könne den Krebs tatsächlich heilen. Die Therapie kann die Lebensqualität der Patienten zwar verbessern und ihnen dabei helfen, mit der Erkrankung klarzukommen. Doch ob sich der Tumor dadurch beeinflussen lässt, kann niemand sagen. Das ist deshalb wichtig, weil die Betroffenen sonst schnell das Gefühl bekommen, selbst schuld zu sein am Fortschreiten der Krankheit – etwa weil sie psychisch "verkorkst" seien.
Wie lautet Ihre Empfehlung für den alltäglichen Umgang mit psychischen Belastungen?
Herr Henningsen, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben