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Megafauna: Friss oder stirb

Jüngst erst entlastet, geht jetzt die Verhandlung gegen australische Steinzeitjäger im Kasus "Homo sapiens versus Artenvielfalt" schon wieder in die nächste Runde. Wissenschaftliche Anwälte legen neue Beweise für eine menschliche Teilschuld vor.
Eierschalen als Indizien
Der Fall ist einer der vertracktesten in der Menschheitsgeschichte: Grundsätzlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die expandierende Erdbevölkerung sich zunehmend Platz schafft auf Kosten der Wildnis und ihrer Arten. Auch liegen und stehen in den Museen dieser Welt genügend ausgestopfte oder in Alkohol eingelegte Zeugnisse tödlichen menschlichen Übereifers – vom neukaledonischen Terrorskink (Phoboscincus boucourti) über die Steller'sche Seekuh (Hydrodamalis gigas) bis hin zum Dodo (Raphus cucullatus), dessen endgültiges Ableben sogar in den anglophonen Sprachgebrauch eingegangen ist: Wenn eine Spezies "As dead as Dodo" ist, braucht sie nicht mehr auf die Rückkehr unter die Lebenden zu hoffen.

Eyre-See in Australien | Der Eyre-See in Zentralaustralien war bis vor etwa 50 000 Jahren ein richtiger, wenn auch flacher See, der von regelmäßigen Monsunregen immer wieder aufgefüllt wurde. Mit dem Ausbleiben der Monsune trocknete er aus und ist heute zumeist nur noch eine Salzpfanne, die allenfalls bei seltenen Extremniederschlägen mit Wasser bedeckt ist. Hier fanden die Forscher zahlreiche Emu- und Genyornis-Eierschalen.
Seit dem Beginn der Moderne, als Kolumbus Amerika entdeckte, beförderte der Mensch aktiv mindestens 370 Wirbeltierarten ins Jenseits. Doch dies könnte nur die Spitze eines Eisbergs sein, legen doch etwa Knochenfunde auf pazifischen Inseln nahe, dass die Polynesier, Mikronesier und Melanesier seit Anbeginn der Besiedelung dort an die 2000 Vogelspezies aufgegessen haben könnten. Und richtig bedenklich wird der Feldzug gegen die Fauna, wenn schließlich noch das pleistozäne Massenaussterben der amerikanischen, europäischen und australischen Megatierwelt dem menschlichen Jagdtrieb zur Last gelegt werden könnte.

Doch hieran scheiden sich die Geister: Anklage und Verteidigung bringen wechselnd neue Be- oder Entlastungsbelege für diese Theorie hervor. Was den Fall so kompliziert macht, ist die Parallelität zwischen globalen Klimakapriolen, weltumspannender Völkerwanderung und der gleichzeitig entrichtete Blutzoll der Großtiere. Und nachdem jüngst erst Wissenschaftler die australischen Ureinwohner entlasteten, weil nach ihren Erkenntnissen Mensch und Biest wohl noch geraume Zeit nebeneinander gelebt haben, förderten nun Forscher um Gifford Miller von der Universität von Colorado in Boulder neue Indizien gegen Homo sapiens zutage.

Buschfeuer | Viele Vegetationseinheiten Australiens sind heute regelmäßig von Feuer betroffen, die von Blitzschlag oder Menschen ausgelöst werden. Das war anscheinend bis vor etwa 50 000 Jahren nicht der Fall, was für eine feuchteres Klima spricht. Erst die neu ins Land gekommenen Ureinwohner veränderten dies und wandelten damit die Vegetation und das regionale Klima, was zum Aussterben vieler Tierarten führte.
Die Paläo-Pathologen widmeten sich dabei einem innovativen forensischen Ansatz, denn sie verglichen die über Jahrtausende praktizierte Diät bis heute überlebender Emus (Dromaius novaehollandiae) und Wombats (Vombatidae) mit der des vor etwa 50 000 Jahren – und damit kurz nach Ankunft der ersten Siedler – ausgestorbenen Genyornis, einem Riesenemu. Zunutze machten sie sich dabei die in den insgesamt 1500 analysierten Eierschalen und Zahnresten in unterschiedlichen Verhältnissen eingelagerten 13C-Konzentrationen, denn je nach eingesetztem Fotosynthese-Mechanismus nimmt das später gefressene Grünzeug unterschiedlich davon auf.

Handelt es sich etwa um so genannte C3-Pflanzen – wie ungefähr 85 Prozent aller Pflanzenarten –, so verarbeiten sie weniger von dem 13C-Isotop als die Gruppe der C4-Pflanzen. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler die jeweils bevorzugte Ernährung der Tiere während der letzten 140 000 Jahre rekonstruieren, wobei sie das paläontologische Alter der gefundenen Zahn- und Schalenreste mit Radiokarbonverfahren und Lumineszenz-Analysen datierten.

Nach dem Brand | Feuer fördert einige Pflanzenarten und verdrängt andere, wodurch auch die Nahrungskette beeinflusst wird. Können sich Tiere daran nicht anpassen, müssen sie aussterben. Dies scheint in Australien der Fall gewesen zu sein: Vor allem Blätter fressende große Beuteltiere und Vögel waren diesen Veränderungen nicht gewachsen.
Bis vor 50 000 Jahren fraßen dabei sowohl Dromaius als auch Genyornis und die Wombats überwiegend nahrhafte Gräser und Blätter, deren Produzenten zur C4-Klasse gehören. Diese wachsen unter ausgeglichen warmen und vor allem feuchteren Bedingungen, die im Falle Australiens durch ergiebige Monsunniederschläge im Sommer gegeben waren. Dann aber zeigte sich in den Fundstücken innerhalb weniger tausend Jahre eine dramatische Verschiebung im Isotopenverhältnis des aufgenommenen Kohlenstoffs und damit in der Ernährung: An die Stelle von Savannenpflanzen traten ausgesprochene Wüsten- und Salzlandgewächse mit C3-Fotosynthese sowie das Spinifexgras, das zwar auch auf die C4-Methode setzt, aber weit weniger nahrhaft ist.

Dieser Wandel lässt sich aber bald nur noch in den Emueiern und den Wombatzähnen nachverfolgen, denn ihnen gelang es, ihr Nahrungsspektrum auf die neuen Bedingungen umzustellen. Genyornis dagegen war anscheinend zu spezialisiert und konnte diesen gravierenden Veränderungen nicht folgen, die Art starb aus – so wie mindestens sechzig weitere große Vogel-, Beuteltier- oder Reptilienspezies, die den Satz "Friss oder stirb" zu wörtlich nahmen.

Aber spricht das unbedingt gegen die Menschen und nicht auch für einen Klimawandel? Natürlich zogen Miller und seine Kollegen diesen Aspekt in Betracht. Und in den 90 000 Jahren zwischen dem ältesten gefundenen Schalenfragment und dem Aussterben der Tiere fanden sie ebenfalls mehrfach große Klimakalamitäten, in deren Folge sich die Vegetation veränderte – allerdings nie in diesem extremen Umfang wie vor 50 000 Jahren und mit einer damit verbundenen, derart einschneidenden Nahrungsumstellung der Pflanzenfresser.

Stattdessen vermuten sie Zündeleien der damals neu angelandeten Ureinwohner am Werk: Großräumig gelegte Buschbrände zu Jagdzwecken, der Förderung bestimmter Pflanzen oder zur Kommunikation mit anderen Sippen vernichteten die dichten Grasländer und Offenwälder und förderten an ihrer Stelle halboffene Strauch- und Grasgesellschaften. Für menschliche Brandstiftungen sprechen weiterhin Sedimentproben vom Land und aus dem Meer, die zeitgleich mit dem ersten Auftreten der Aborigines ein geändertes Feuerregime anzeigen.

Diese Feuer mit ihrem Vegetationswandel könnten demnach sogar den einst ergiebigen australischen Monsun soweit geschwächt haben, dass er das Landesinnere nicht mehr erreichen konnte und dieses weiter austrocknete – die mit den Pflanzen beginnende Nahrungskette war in ihren Grundfesten erschüttert, wer sich dem Wandel nicht anpasste, starb aus. Dadurch entlasten die Wissenschaftler den Menschen nun zwar vorerst vom Vorwurf der direkten Überjagung, aber eine gehörige Mitschuld am Artentod wird ihm dennoch zugestanden – bis zum nächsten Indizienprozess.

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