Amphibiensterben: Die Feinde des Killers
Drei oder vier Stunden Fußmarsch durch die Pyrenäen mögen an sich ja eine schöne Sache sein. Wenn man aber 30 bis 40 Liter Wasser von einem Gebirgssee ins Tal hinunter schleppen soll, wird es ziemlich anstrengend. Vor allem, wenn es nicht bei einem Gewässer bleibt.
Allerdings ging es auch nicht um eine entspannte Wanderung. Denn die Forscher um Dirk Schmeller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig sind dort in den Bergen lebenden Pilzvernichtern auf der Spur – in der Hoffnung, damit einen weltweiten Amphibienkiller bekämpfen zu können. So gelingt es in manchen Pyrenäengewässern winzigen Wasserorganismen offenbar, den gefährlichen Chytridpilz einzudämmen, der seit einigen Jahren weltweit Amphibien dahinrafft und wohl bereits zum Aussterben einiger Arten beigetragen hat.
Und für eine Aussicht auf Hilfe in diesem manchmal aussichtslos erscheinenden Kampf lohnen alle Mühen: »Einen Teil unserer Wasserproben haben wir mit Eseln und Maultieren aus den Bergen geholt und anschließend ins Labor geschafft«, berichtet der Biologe. Den Rest schleppten die Forscher selbst. Entstanden ist so eine Kollektion von rund 100 Proben aus mehr als 30 Seen.
Das große Sterben
Zurzeit scheint der berüchtigte Froschkiller auf seinem Siegeszug um die Welt kaum zu stoppen zu sein. Batrachochytrium dendrobatidis, von Experten kurz »Bd« genannt, ist mittlerweile auch in scheinbar entlegenen Lebensräumen auf fast allen Kontinenten aufgetaucht. »Wir haben es hier mit einer der verheerendsten Wildtierkrankheiten der Welt zu tun«, sagt Dirk Schmeller.
»Wir haben es hier mit einer der verheerendsten Wildtierkrankheiten der Welt zu tun«
Dirk Schmeller
Der Erreger nistet sich in der Haut der Tiere ein, stört die Atmung seiner Opfer, bringt ihren Stoffwechsel durcheinander – und vernichtet so in kürzester Zeit ganze Bestände. Sehr heftig hat er zum Beispiel in der reichen Amphibienwelt Australiens sowie Mittel- und Südamerikas gewütet. Doch auch Europas Lurche bleiben nicht verschont. »Die Geburtshelferkröte und der Feuersalamander leiden zum Beispiel sehr stark unter der Infektion«, berichtet der UFZ-Forscher.
Besonders anfällig scheinen dabei die Amphibien der europäischen Gebirge zu sein. Dort ist der Pilz am stärksten verbreitet und erzielt die größten Effekte. Das hat wohl mit den relativ kühlen Temperaturen zu tun, die dem Erreger sein zerstörerisches Werk zu erleichtern scheinen. Jedenfalls schafft er es oft innerhalb weniger Jahre, mehr als 90 Prozent der Amphibien in einem Bergsee zu infizieren. Und wenn er diese Schwelle überschritten hat, beginnt das große Sterben. Kaum ein Tier schafft dann noch die Umwandlung von der Kaulquappe zum Frosch, die Bestände brechen zusammen. »In den Pyrenäen haben wir Populationen gesehen, die in fünf Jahren von 5000 auf drei Tiere geschrumpft sind«, sagt Dirk Schmeller.
Das aber hat Folgen für das ganze Ökosystem. Schließlich fressen die Kaulquappen normalerweise jede Menge Algen und Kleingetier aus dem Wasser, ausgewachsene Frösche betätigen sich als Insektenvernichter, und Amphibien aller Altersstufen sind eine beliebte Nahrung für zahlreiche andere Tiere. All diese ökologischen Funktionen können die geschrumpften Bestände nicht mehr erfüllen.
Zu ersetzen sind die Verschwundenen kaum. Artgenossen aus anderen Regionen haben nur geringe Chancen, einen verwaisten Bergsee zurückzuerobern. Für Gebirgsmärsche sind Frösche und Kröten einfach nicht richtig ausgerüstet. Und auch Stellvertreter, die ihre Funktion übernehmen könnten, stehen nicht zur Verfügung. »Diese Bergseen sind relativ harsche Ökosysteme mit kurzen Wachstumsperioden und wenig Nahrung«, sagt Dirk Schmeller. Ein Lebensraum für Spezialisten. Wenn dort eine Art ausfällt, kann nicht einfach eine andere einspringen. »Solche Ökosysteme geraten deshalb relativ leicht aus den Fugen«, erklärt der Biologe.
Kröten als Indikatoren
Schon ein paar Jahre zuvor war ihm und seinen Kollegen allerdings aufgefallen, dass die Situation nicht in jedem Pyrenäensee gleich dramatisch ist. Die Gewässer unterscheiden sich nicht nur in ihrer Vegetation und Geologie, sondern auch im Gesundheitszustand ihrer Amphibien. Wie groß diese Unterschiede sein können, haben die Forscher am Beispiel der Geburtshelferkröten dokumentiert.
Diese Tiere kamen nicht nur in fast allen untersuchten Gewässern vor, sie sind auch besonders gute Indikatoren für die Größe des Pilzproblems. Denn ihr Nachwuchs überwintert mitunter mehrere Jahre, bevor er sich in fertige Kröten umwandelt. Deshalb schwimmen die Kaulquappen oft in hohen Dichten am Gewässergrund – perfekte Bedingungen für den Erreger, der dann rasch von einem Opfer zum nächsten springen kann. »Wenn der Chytridpilz in einem Gewässer vorkommt, findet man ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den Geburtshelferkröten«, erläutert Dirk Schmeller.
Bei der Fahndung nach dem Erreger nehmen die Forscher mit einer Art Wattestäbchen einen Abstrich von der Amphibienhaut, der dann im Labor untersucht wird. So lässt sich feststellen, ob das jeweilige Tier bereits infiziert ist oder nicht. Dieser Gesundheitscheck führte je nach See zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen: In den meisten Gewässern hatte der Pilz höchstens fünf Prozent der Geburtshelferkröten befallen, mancherorts waren die Tiere auch ganz verschont geblieben. In neun Seen aber lag die Infektionsrate bei mehr als 90 Prozent. Woher kommen diese großen Unterschiede in relativ nahe beieinanderliegenden Gewässern, die sich klimatisch kaum unterscheiden?
Der kleine Unterschied
Um das herauszufinden, haben die Forscher Wasserproben aus den einzelnen Seen im Labor untersucht. Zunächst überprüften sie die Wirkung des Wassers auf die frei schwimmenden Sporen, über die sich der Pilz verbreitet. Stammte die Probe aus einem See mit wenigen befallenen Kröten, nahm die Zahl der beweglichen Bd-Sporen schon nach zwei Stunden deutlich ab. In Wasser aus stark infizierten Seen geschah dies dagegen erst nach 33 Stunden. Mit Unterschieden in der Gewässerchemie ließ sich dieser Effekt nicht erklären. Doch das Team entdeckte einen anderen Zusammenhang: Offenbar verschwanden die Pilzsporen umso rascher, je mehr tierische Einzeller und mikroskopisch kleine Mehrzeller im Wasser schwammen.
Als Nächstes setzten die Forscher Kaulquappen von Geburtshelferkröten ins Wasser. In Proben aus stark infizierten Gewässern breitete sich die Infektion unter dem Krötennachwuchs rasch aus. Das Gleiche passierte bei Wasser aus schwach belasteten Seen, in dem die Wissenschaftler die Mikrofauna durch Kochen abgetötet hatten. Unverändertes Wasser aus weitgehend Bd-freien Lebensräumen hielt die Infektionsrate dagegen in nicht tödlichen Bereichen. Offenbar sind in diesen Seen also mikroskopisch kleine Feinde unterwegs, die unter den Erregern kräftig aufräumen.
Wer aber sind diese lebenden Pilzvernichter? Dieser Frage sind die an der Studie beteiligten Wissenschaftler der Universität Gent nachgegangen. Mark Blooi und seine Kollegen haben 15 kleine Wasserbewohner auf schwimmende Bd-Sporen angesetzt. Das Rädertierchen Lecane stichaea und das PantoffeltierchenParamecium aurelia hatten die Forscher direkt aus den Pyrenäenseen isoliert, bei den übrigen Kandidaten handelte es sich um Verwandte der dort vorkommenden Arten.
Den Wettbewerb um den Titel des effektivsten Sporenbekämpfers haben die Mitglieder einer Rädertier-Familie namens Notommatidae klar für sich entschieden. Wenn sich diese Organismen im Wasser befanden, reduzierten sie nicht nur die Zahl der Sporen massiv. Als die Forscher Kaulquappen dazusetzten, zog sich kein einziges Tier eine Pilzinfektion zu. Den beiden Pantoffeltierchen Paramecium aurelia und Paramecium caudatum gelang es immerhin, die Befallsrate auf niedrigem Niveau zu halten.
Können die winzigen Räuber also vielleicht helfen, das Amphibiensterben einzudämmen? Die Forscher halten das für eine viel versprechende Idee, die nicht nur in den Pyrenäen funktionieren könnte. Möglicherweise lässt sie sich auch auf andere Kontinente übertragen.
Chemikalien und Bakterien
Neue Strategien zur Bekämpfung des Erregers sind ebenfalls dringend gefragt. Denn bisher ist die Liste der zur Verfügung stehenden Waffen kurz. Es gibt zwar durchaus die Möglichkeit, Pilze mit Hilfe von Chemikalien abzutöten. »Das ist in diesem Fall aber keine Lösung«, meint Dirk Schmeller. Denn der Amphibienkiller gehört zu einer großen und weit verbreiteten Gruppe von Pilzen, die Biologen Chytridiomycales nennen. Und die umfasst keineswegs nur unerwünschte Krankheitserreger. Viele ihrer Mitglieder spielen in den Ökosystemen eine wichtige Rolle, etwa beim Abbau von abgestorbenem Pflanzenmaterial. Chemikalien gegen den Chytridpilz aber würden auch diese Arten abtöten – mit unabsehbaren Folgen.
Eine Alternative könnte der Einsatz von Bakterien sein. Auf der Haut verschiedener Amphibien haben Wissenschaftler Mikroben entdeckt, die einen gewissen Schutz vor Bd-Infektionen zu bieten scheinen. Auf einen solchen Fall sind Sandra Flechas und ihre Kollegen von der Universidad de los Andes in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota bei Stummelfußfröschen der Gattung Atelopus gestoßen. Diese Amphibien sind in den tropischen Regionen Mittel- und Südamerikas zu Hause und gehören zu den besonderen Sorgentieren des Naturschutzes. Immerhin 80 Prozent der rund 90 beschriebenen Arten stehen als »vom Aussterben bedroht« auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN – eine Entwicklung, zu der Bd-Infektionen einen großen Beitrag geleistet haben dürften.
Andererseits gibt es etwa auf der kolumbianischen Insel Gorgona eine Population von Stummelfußfröschen der Art Atelopus elegans, die schon seit Jahren mit dem Pilz lebt – und zwar ohne Krankheitssymptome oder Bestandseinbrüche. Haben diese Tiere also vielleicht winzige Helfer auf der Haut, die sie vor der tückischen Infektion schützen?
Die kolumbianischen Forscher nahmen die Bakteriengemeinschaft auf dieser und zwei weiteren Arten von Stummelfußfröschen unter die Lupe. Tatsächlich fanden sie immerhin zwölf Bakterienarten, die im Labor das Wachstum des gefährlichen Pilzes hemmen. Besonders effektiv waren dabei zwei Vertreter der Gattung Pseudomonas. Andere Bakterien aus dieser Gruppe schützen offenbar auch die beiden kalifornischen Froscharten Rana mucosa und Rana sierrae sowie den kleinen giftgrünen Frosch Hyalinobatrachium colymbiphyllum, der in Mittel- und Südamerika vorkommt.
Wie man solche Bakterien im Freiland gegen die Krankheit einsetzen könnte, ist allerdings noch unklar. »Wir wissen bisher einfach viel zu wenig über die Amphibienhaut«, meint Dirk Schmeller. Zudem seien pilzbekämpfende Mikroben bisher nur auf wenigen Amphibienarten gefunden worden, die alle nicht in Europa vorkommen. Man müsste die schützenden Organismen also gezielt aus anderen Kontinenten importieren und in europäische Lebensräume einbringen. Dieser Ansatz aber hat schon in anderen Fällen viel Schaden angerichtet, weil sich die neu eingeführten Schädlingsbekämpfer selbstständig gemacht und zum Teil ganze Ökosysteme durcheinandergebracht haben.
Ein heimischer Feind
Umso spannender finden Dirk Schmeller und seine Kollegen ihre Ergebnisse aus den Pyrenäen. Denn wer auf heimische Kleintiere als Pilzbekämpfer setzt, muss diese nicht in fernen Ländern rekrutieren. Derzeit sind die Forscher dabei, die Gemeinschaft der Pilzsporenfresser genauer zu untersuchen: Aus welchen Organismen besteht sie überhaupt? Welche davon sind besonders häufig? Und welche Ansprüche haben diese? »Da es in ganz Europa nur drei Spezialisten für Räder- und Pantoffeltierchen gibt, ist das alles gar nicht so leicht herauszufinden«, sagt der UFZ-Forscher. Doch wer diese Verbündeten nutzen will, muss ihre Eigenheiten zunächst besser verstehen. Sonst kann er zu leicht an den falschen Schrauben drehen.
Die Wissenschaftler sehen im Prinzip zwei Möglichkeiten, die winzigen Pilzbekämpfer zu fördern. Eine besteht darin, per Helikopter Wasser mitsamt der darin schwimmenden Mikrofauna aus einem schwach infizierten See in einen stark infizierten zu schaffen. Das kann wegen der hohen Flugkosten allerdings ziemlich teuer werden. »Pro Saison dürften da schon 100 000 bis 150 000 Euro zusammenkommen«, vermutet Dirk Schmeller. Und niemand kann bisher absehen, wie oft man eine solche Aktion wiederholen müsste.
Alternativ könnte man die Pilzbekämpfer auch im Labor kultivieren und anschließend aussetzen. Dann würden vielleicht zehn Liter einer hochkonzentrierten Lösung genügen, die man durchaus auch zu Fuß zum jeweiligen See transportieren könnte. Auch dieser Plan ist allerdings nicht ganz leicht umzusetzen. Denn die Lebensgemeinschaft der Bergseen besteht aus Spezialisten, die schwer zu züchten sind. »Da muss man mindestens ein oder zwei Jahre tüfteln, um die richtige Mischung von Organismen hinzukriegen«, schätzt Dirk Schmeller.
Aber auch wenn das geklappt hat, gibt es immer noch ein Problem: In vielen Seen der Pyrenäen haben Angler mittlerweile Fische ausgesetzt, die ursprünglich dort nicht vorkamen. Und deren hungrige Mäuler räumen unter der Mikrofauna kräftig auf. In einer solchen Situation seien alle Fördermaßnahmen für die winzigen Pilzbekämpfer aussichtslos, meint Dirk Schmeller: »Solange es in einem Gebirgssee Fische gibt, kann man sich den Aufwand auch sparen.« Einfach wird der Kampf gegen die Froschseuche also sicher nicht. Doch die Leipziger Forscher und ihre Kollegen würden ihn trotzdem gern aufnehmen. Es geht schließlich um die Zukunft der Amphibienvielfalt.
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