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Rätselhafte Frostbeben: Wie Frost den Boden zittern lässt

26 Erschütterungen in sieben Stunden verzeichneten Fachleute in einem finnischen Ort. Doch was da bebte, war nicht Gestein in der Tiefe – sondern Eis an der Oberfläche. Solche Frostbeben, wie man sie nennt, sind bisher rätselhaft. Und sie könnten durch den Klimawandel häufiger werden.
Die finnische Stadt Oulu liegt am Nordende des Bottnischen Meerbusens inmitten der nordeuropäischen Taiga.
Die finnische Stadt Oulu ist mit über 200 000 Einwohnern eine der größten Städte in der subarktischen Klimazone, in der Frostbeben auftreten.

Finnland ist nicht gerade als Erdbebengebiet bekannt – und doch wackelt im Norden des Landes immer wieder der Boden. Insgesamt 26 von lautem Krachen begleitete Erschütterungen verzeichnete der Geologische Dienst Finnlands im Januar 2016 in Talvikangas, einem Vorort der Stadt Oulu am Nordende des Bottnischen Meerbusens. Es sind aber nicht Verwerfungen tief im Untergrund, die die Erde beben lassen. Schuld ist vielmehr das Wetter: Bei einem Kälteeinbruch ließen Spannungen den gefrorenen Boden lautstark bersten.

Solche so genannten Frostbeben sind meist vergleichsweise harmlos, die meisten verursachen nur laute Geräusche. Gelegentlich können sie aber auch deutliche Bodenbewegungen, Risse in der Erdoberfläche und sogar Schäden an Gebäuden und Infrastruktur verursachen. So öffnete sich in Talvikangas ein 25 Zentimeter breiter Spalt in einer Straße.

Vieles an diesen Beben ist noch rätselhaft, denn sie sind kaum erforscht. Dass Talvikangas seit einigen Jahren mit dem Phänomen Schlagzeilen macht, liegt mutmaßlich nicht daran, dass solche Ereignisse dort bevorzugt auftreten würden, sondern dass sie in der besiedelten Gegend öfter beobachtet werden. Die Daten der Fachleute um Jarkko Okkonen, vorgestellt im April 2023 auf der Vollversammlung der Europäischen Union der Geowissenschaften (EGU), sind die ersten seismischen Aufzeichnungen von Frostbeben überhaupt.

Tatsächlich gehen Fachleute davon aus, dass Frostbeben rund um die Arktis relativ häufig sind. Sie hängen mit speziellen Wetterbedingungen zusammen – vor allem natürlich Frost, aber eben nicht nur. Denn nicht immer, wenn es kalt ist, bebt auch die Erde. In einer Publikation von 2020 untersuchte Jarkko Okkonen mit seinem Team, unter welchen Bedingungen das Frostbeben im Januar 2016 zu Stande kam. Mehrere Faktoren müssen demnach zusammenkommen, damit eine gefrorene obere Bodenschicht explosionsartig bricht.

Frostbeben brauchen besondere Bedingungen

Wie die Gruppe in der Fachzeitschrift »JGR Earth Surface« berichtete, ereigneten sich die Erschütterungen in der Region, als sich der Boden durch einen schnellen Kälteeinbruch besonders stark abkühlte und bis in Tiefen von mehr als 15 Zentimetern komplett gefror. Zu anderen Zeitpunkten der Untersuchungsperiode waren einzelne dieser Bedingungen immer wieder erfüllt – aber nie alle drei zusammen. Entscheidend scheint die schnelle Abkühlung zu sein. Die Lufttemperatur fiel vor dem Eisbeben von 2016 um rund 9 Grad pro Tag auf -30 Grad Celsius. Auch andere Studien deuten auf Temperaturstürze um etwa 10 Grad pro Tag als Bedingung für Frostbeben.

Frostbeben
Die meisten Frostbeben, hier in den USA, sind ziemlich harmlos – sie verursachen nur Knack- oder Knallgeräusche. Weiter nördlich allerdings werden sie unter Umständen stark genug, um Gebäude oder Infrastruktur zu beschädigen.

Besonders günstig sind die Bedingungen für Frostbeben, wenn zuvor eine milde, feuchte Wetterperiode vorherrschte und dabei eine dünne Schneedecke, die das Erdreich bedeckt, abtaut. Dadurch enthalten die oberen Bodenschichten sehr viel Wasser. Allerdings darf auch nicht zu viel Schnee liegen – denn der isoliert, so dass der Boden warm bleibt. Außerdem muss die Temperatur im Boden nahe bei null Grad sein.

Kommt dann eine Periode harten Frosts hinzu, gefriert der wassergesättigte Untergrund schnell bis in größere Tiefen. Nur dann ist die harte Schicht aus Eis und Bodenmaterial stabil genug, dass sich Spannung aufbauen kann, die den Boden schlagartig brechen lässt. Ist die gefrorene Schicht zu dünn, zu warm oder nicht komplett mit Eis durchzogen, können sich die Spannungen durch kleine Verformungen abbauen, bevor es zum großen Knall kommt.

Die besondere Kombination aus mildem Wetter mit anschließendem harten Frost lässt Okkonen vermuten, dass die für Frostbeben günstigen Umstände in Zukunft häufiger auftreten könnten, berichtete er auf der Vollversammlung der EGU. Denn während in Regionen nahe dem Polarkreis die Temperatur im Winter nach wie vor leicht auf 30 Grad unter den Gefrierpunkt fallen kann, werden ungewöhnlich warme Phasen – und sehr schnelle Wechsel zwischen beiden – in den vergangenen Jahren durch den Klimawandel häufiger.

Ob das allerdings auch für die Frostbeben selbst gilt, ist ziemlich unklar. Zahlen, an denen man das erkennen könnte, gibt es bisher nicht. Das liegt einerseits daran, dass sie in den dünn besiedelten Regionen um die Polarkreise auftreten. Und andererseits ist bei ihnen nur die unmittelbare Umgebung betroffen: Frostbeben entstehen durch höchstens einige Meter lange Brüche, die nur wenig Energie freisetzen. Während man klassische Erdbeben, bei denen die Bruchflächen Dutzende von Kilometer lang werden können, mit Seismometern über weite Strecken detektieren kann, müssen Messgeräte bei Frostbeben in der Nähe stehen, um sie zu registrieren.

Bricht gefrierendes Wasser den Boden?

Bisher nur teilweise geklärt ist auch, was bei den Beben im Boden selbst passiert. Erhebliche Kräfte müssen freigesetzt werden, um die beobachteten Erschütterungen und Schäden zu erklären, doch wie sich die Spannungen im Boden aufbauen, dafür gibt es zwei mögliche Szenarien.

Es könnte eine Rolle spielen, dass sich Wasser unterhalb der schnell steinhart gefrorenen Oberfläche beim Gefrieren ausdehnt. Die von oben heranwachsende Eisschicht überdeckt das darunter liegende Wasser und wenn der Boden komplett gesättigt ist, gibt es auch in der Erde selbst keinen Raum mehr, in den das Eis expandieren könnte. Der Druck steigt enorm an. Schließlich lassen die Spannungen die Masse aus Eis und Bodenpartikeln brechen.

In ihrer Veröffentlichung von 2020 beschreibt die Gruppe um Okkonen einen weiteren Mechanismus. Dabei erzeugt die Temperatur selbst die Spannungen in der gefrorenen Bodenschicht. Das bereits hart gefrorene Material an der Oberfläche kühlt immer weiter ab – und schrumpft dabei. Der Effekt ist der gleiche, der bei großer Hitze dazu führt, dass sich Bahnschienen ausdehnen und verbiegen – nur eben umgekehrt. Die tieferen Bodenschichten dagegen kühlen deutlich langsamer ab, so dass die Temperaturunterschiede in der gefrorenen Schicht immer weiter steigen – und damit auch die Spannungen.

Was genau dort passiert, wollen die finnischen Fachleute mit weiteren Messkampagnen entschlüsseln. Während die Rolle des Wetters langsam klarer wird, ist noch völlig unbekannt, welche Rolle der Untergrund bei diesen Prozessen spielt. Nicht zuletzt sind Frostbeben nur einer der Prozesse, die in arktischen Regionen den Boden instabil machen. Das Potenzial von Frost und Tauwetter jedenfalls, Schäden an Infrastruktur und Gebäuden anzurichten, dürfte steigen – nicht nur durch den Klimawandel. In den arktischen und subarktischen Gebieten des Planeten liegen zudem große Rohstoffvorkommen, um die schon jetzt die Anrainerstaaten wetteifern.

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