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Frühe Jungsteinzeit: Piercings waren Erwachsenensache

Vor 11 000 Jahren steckten Menschen Piercings durch Ohren und Unterlippe. In der Südosttürkei fand sich solcher Körperschmuck in Steinzeitgräbern von Erwachsenen. Nur von Erwachsenen.
Ein Ausgräber legt ein menschliches Skelett aus der frühen Jungsteinzeit in Boncuklu Tarla frei.
Ein Ausgräber legt ein menschliches Skelett aus der frühen Jungsteinzeit in Boncuklu Tarla frei.

Heute ist es Geschmackssache, im Gesicht oder an den Ohren Piercings zu tragen. Vor zirka 11 000 Jahren im östlichen Anatolien dürfte es hingegen den sozialen Status markiert haben: Man war nun kein Kind mehr. Zu diesem Schluss kommen Archäologen, die in der frühneolithischen Siedlung von Boncuklu Tarla Gräber und darin dutzende Objekte frei gelegt haben, die wohl als Schmuck in Ohren und Unterlippe der Verstorbenen steckten. Die Funde seien der früheste bekannte Nachweis für so genannte Plugs und Labrets (Lippenpiercings) in Vorderasien. Die bisher ältesten Exemplare sind rund 3000 Jahre jünger.

Wie die Fachleute um Ergül Kodaş von der Mardin-Artuklu-Universität in der Fachzeitschrift »Antiquity« schreiben, bargen sie in Boncuklu Tarla in der Südosttürkei mehr als 100 000 Objekte, die Menschen einst als Körperschmuck getragen hatten. 106 davon könnten Piercings gewesen sein. Diese Stücke – rundlich in der Form oder nadelförmig – bestehen aus verschiedenen Gesteinen wie Kalkstein oder Obsidian.

Die Plugs und Labrets entdeckten die Archäologen in den Gräbern von Männern und Frauen. Die kleinen Schmuckteile lagen im Bereich des Schädels, dort wo sich einst Mund und Ohren befanden. Doch nicht nur die Fundlagen sprechen dafür, dass die Objekte als Gesichtsschmuck dienten, sondern auch Abnutzungsspuren an den Zähnen der Verstorbenen: Stetes Schaben durch die Labrets an der Unterlippe hatte die Schneidezähne im Unterkiefer abgeschliffen. Ähnlicher Abrieb, verursacht durch Piercings, sei von Überresten aus anderen vorgeschichtlichen Fundplätzen und aus ethnologischen Studien bekannt.

Da sich bei den Überresten von Kindern kein derartiger Schmuck fand, vermuten die Forscher, dass ausschließlich Erwachsene die Piercings trugen. Ethnologische Vergleiche machen wiederum wahrscheinlich, dass der Körperschmuck Teil eines Initiationsritus gewesen war. Als Zeichen für den Eintritt ins Erwachsenenalter wurden die Ohrläppchen oder der Knorpel im Ohr durchlocht und ein Piercing eingesetzt. Ebenso in die Haut an der Unterlippe. Die Prozedur dürfte mit einem gewissen Maß an Schmerzen verbunden gewesen sein, schreiben Kodaş und seine Kollegen, was für Initiationsriten ins Erwachsenenalter spreche. Die Schmucksteine könnten zudem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft signalisiert haben.

Plugs und Labrets | Die Piercings, die in den Gräbern von Boncuklu Tarla zum Vorschein kamen, unterteilten die Archäologen in verschiedene Typen. Die Exemplare (a1), (a4), (c1–4) und (d1–6) steckten wohl einst in Ohren. Die Piercings (a2–3) und (b1–2) waren Labrets – sie waren an der Unterlippe angebracht. Die Scheibe (e) könnte beiden Zwecken gedient haben.

Die Piercings aus Boncuklu Tarla entstanden am Beginn des Neolithikums, also zu einer Zeit, als Jäger und Sammler allmählich sesshaft lebten – jedoch nicht notgedrungen begannen, ihre Lebensgrundlage als Bauern zu bestreiten. Gleich alte Fundorte wie Göbekli Tepe in der Südosttürkei zeigen, dass Wildbeuter an diesem Ort in Häusern wohnten. Hinweise auf Ackerbau oder Viehzucht fehlen dort aber für die Zeit von vor ungefähr 12 000 oder 11 000 Jahren.

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