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Klimawandel: Erreicht man Umweltbewusstsein nur über den Geldbeutel?

Damit der Klimaschutz im Leben aller Menschen ankommt, empfehlen viele Fachleute, auch auf Benzin, Diesel, Erdgas und Heizöl eine CO2-Abgabe zu erheben. Zentraler Punkt in vielen Konzepten ist, dass die Einnahmen zum großen Teil an die Bürger zurückfließen, um soziale Härten auszugleichen.
Frabrikabgase

»Die CO2-Bepreisung sollte sozialverträglich ausgestaltet sein.« Dieser dürre, bürokratisch formulierte Satz könnte einen Schwenk in der deutschen Klimapolitik auslösen. Er steht im Gutachten der Kohlekommission, die vor allem einen Vorschlag zur Zukunft der Braun- und Steinkohlemeiler in Deutschland machen sollte. Aber flankierend empfiehlt sie der Bundesregierung zu prüfen, ob sie eine CO2-Abgabe »mit Lenkungswirkung in den Sektoren außerhalb des Europäischen Emissionshandels« einführt.

Gemeint sind damit Verkehr, Gebäude und Industrie. Und das heißt im Klartext: Benzin und Diesel, Erdgas und Heizöl sowie viele Produkte des täglichen Bedarfs würden wohl teurer. Das Ziel ist dabei, dass die Bürger ernsthaft und durch ihren Geldbeutel motiviert anfangen, weniger Energie zu verbrauchen, und vor allem, direkt und indirekt weniger Treibhausgase freizusetzen.

»Ohne einen CO2-Preis kann Deutschland seine Klimaziele für 2030 auf keinen Fall erreichen«
Ottmar Edenhofer

Doch bevor der große Aufschrei beginnen kann, hat die Kommission schon einen Pflock eingeschlagen. Die Abgabe solle sozialverträglich sein. Das bedeutet in den Konzepten der Ökonomen, die sich damit schon befasst haben: Die zusätzlichen Einnahmen des Staats fließen an Bürger und Wirtschaft zurück, um dort Härten auszugleichen, wo sie auftreten. Wer große Strecken pendeln muss, um den Job zu behalten, und mit magerem Lohn nicht näher am Arbeitsplatz und nicht im Neubau leben kann, soll für die Zusatzkosten entschädigt werden. Die Firma, die im Wettbewerb mit Konkurrenten aus Staaten unterzugehen droht, die keinen CO2-Aufschlag erheben, soll Schutz bekommen.

»Ohne einen CO2-Preis kann Deutschland seine Klimaziele für 2030 auf keinen Fall erreichen«, sagt der Ökonom Ottmar Edenhofer, Leiter unter anderem des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. »Eine kluge CO2-Bepreisung könnte Einnahmen erzeugen, mit denen der Staat mehr Gerechtigkeit für alle schaffen kann, statt nur Milliarden für Sonderinteressen bereitzustellen.«

Soziale Härten sollen nicht entstehen

Auch Jörg Lange, geschäftsführender Vorstand des Vereins »CO2 Abgabe«, sagt: »Wir wollen im Prinzip das verteuern, was schlecht für das Klima ist, nämlich die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas, und das fördern, was gut für den Klimaschutz ist: Energiesparen und Erneuerbare wie Wind und Sonnenkraft.« So sollen die Haushalte dazu animiert und in die Lage versetzt werden, ihr Verhalten zu ändern. »Wo deswegen soziale Härten auftreten, sollen sie durch entsprechende gesetzliche Änderungen gemildert werden.«

Wie das im Detail aussehen könnte, hat Langes Verein soeben vorgerechnet. Auf seiner Website findet sich ein Tool, mit dem jede und jeder für den eigenen Fall durchspielen kann, welche Folgen eine solche Reform hätte. Der Grundgedanke dabei ist, etliche Zusatzkosten beim Strom zu streichen und dafür Brenn- und Treibstoffe nach ihrem CO2-Ausstoß zu belasten (die Mineralölsteuer auf Benzin und Diesel bleibt dabei in dem Konzept unverändert, weil sie vor allem die Kosten der Verkehrsinfrastruktur deckt).

Mit den Werten eines Durchschnittshaushalts (laut offiziellen Statistiken pro Jahr 3135 Kilowattstunden Stromverbrauch; 13 791 Kilowattstunden für Heizung und Warmwasser; 1027 Liter Benzin) wirft der Rechner Folgendes aus: Bisher zahlte man außer den reinen Energiekosten 370 Euro an Steuern und Abgaben (ohne Mineralölsteuer). Die Pläne des Vereins machen Benzin um zwölf Cent pro Liter teurer, Erdgas um zehn Cent pro Kubikmeter. Dafür fallen aber die anderen Abgaben weg, vor allem auf Strom. So ergibt sich eine Summe von 307 Euro pro Jahr: Der Haushalt hätte 63 Euro gespart. Im ungünstigsten Fall, wenn die Heizung Öl verbrennt und das Auto Diesel schluckt, schrumpft die Entlastung auf 20 Euro.

»Eine aufkommensneutrale Neuausrichtung bestehender Energiesteuern kommt unmittelbar dem Klimaschutz zugute und führt gleichzeitig zu mehr sozialer Gerechtigkeit«
Stephan Lessenich

Tatsächlich könnten Menschen in allen Teilen der Gesellschaft von der Einführung der CO2-Abgabe profitieren, wie eine vor Kurzem veröffentlichte Studie des Soziologen Stephan Lessenich von der Universität München zusammen mit dem Verein zeigt. Die einkommensschwächsten Haushalte kommen am besten weg: Liegt das Nettoeinkommen pro Kopf unter 9500 Euro, sparen Familien 54 Euro pro Mitglied. Wer mehr als 38 000 Euro netto hat, zahlt 10 bis 14 Euro weniger. »Eine aufkommensneutrale Neuausrichtung bestehender Energiesteuern und -umlagen«, sagt Lessenich, »kommt unmittelbar dem Klimaschutz zugute und führt gleichzeitig zu mehr sozialer Gerechtigkeit.«

Damit die Abgabe allerdings die Erwartungen erfüllt, muss der zu Grunde gelegte Preis für den Ausstoß einer Tonne CO2 bald steigen – laut Konzept des Vereins um fünf Euro pro Jahr. Wählt man im Rechner die nach vier Jahren erreichten 60 statt der ursprünglichen 40 Euro, ist es mit dem Sparen für den Durchschnittshaushalt vorbei.

Dieser Fahrplan zu höheren Kosten soll jedoch klar angekündigt werden, damit sich alle darauf einstellen können: Unternehmen bauen emissionsärmere Autos, Autofahrer legen sich ein günstigeres Fahrzeug zu oder fahren häufiger Fahrrad oder Bus, Hausbesitzer sanieren ihr Gebäude, Mieter erzeugen Solarstrom auf dem Balkon, Industriebetriebe stellen treibhausgasintensive Prozesse um.

Wirtschaftswissenschaftler sehen den Preis für CO2 darum als zentrales Instrument im Klimaschutz. In einer Überblicksarbeit in »Nature Climate Change« aus dem Sommer 2018 geben Ottmar Edenhofer und etliche Kollegen Ratschläge, wie er gestaltet werden sollte. Zunächst solle man statt von einer »Steuer« von einer »Gebühr« oder »Abgabe« zu sprechen. Bei der Frage, wie das Geld an die Bürger zurückfließt, wägen die Forscher mehrere Optionen ab und empfehlen schließlich eine Pro-Kopf-Zahlung, so dass jeder Bewohner des Landes die gleiche Summe erhält. »Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine pauschale Dividende im zeitlichen Verlauf eher stabil wäre, vor allem in Ländern, die Probleme mit wirtschaftlicher Ungleichheit, politischem Misstrauen und Polarisation haben«, heißt es in der Studie.

Hin und Her bei Kohlendioxid-Steuer in aller Welt

Internationale Beispiele zeigen, dass Regierungen vorsichtig vorgehen und auf breite Mehrheiten achten müssen. In Australien hat der damalige konservative Premier Tony Abbott im Jahr 2014 die Steuer gestrichen, die seine Labor-Vorgängerin Julia Gillard kurz zuvor eingeführt hatte. Frankreich verlangt seit 2014 eine nationale CO2-Abgabe, sie kletterte von 7 auf gut 44 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Jetzt wollte die Regierung das Tempo der Erhöhungen forcieren – ohne auf soziale Aspekte zu achten. Das bildete nach Analyse vieler Beobachter den Anlass für die weit darüber hinausreichenden Gelbwesten-Proteste gegen soziale Ungerechtigkeit

Schweden erhebt schon seit 1991 eine Steuer auf Kohlendioxid, für 2019 sind es 1180 Kronen (114 Euro) pro Tonne. Für den Liter Diesel macht das einen Aufschlag von 31 Euro-Cent pro Liter aus. Das Geld fließt in den Staatshaushalt. Das sei jedoch nur dort eine gute Idee, wo die Regierung großes Vertrauen ihrer Bürger genießt, warnen die Autoren der Studie in »Nature Climate Change«.

Neun weitere EU-Staaten sowie Norwegen, Island und Liechtenstein haben nach einer Aufstellung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nationale CO2-Abgaben eingeführt. Außerhalb Europas erheben zum Beispiel Japan und Chile solche Steuern, in Argentinien, Südafrika, Kanada und Singapur sollen sie im Jahr 2019 starten, wie eine Übersicht der Weltbank zeigt. Doch in den 42 Industrie- und Schwellenländern, die zur OECD und/oder zu den G20 gehören, entweicht die Hälfte aller Treibhausgase außerhalb solcher Systeme, stellte ein Autorenteam um Brigitte Knopf vom Mercator-Institut für globale Gemeinschaftsgüter und Klimawandel (MCC) in Berlin im Herbst 2018 im »Emissions Gap Report« der Vereinten Nationen fest. Nur auf zehn Prozent des Ausstoßes wird eine Abgabe fällig, die wenigstens dem Mindestpreis von 40 Dollar pro Tonne entspricht, der das Einhalten der Pariser Klimaziele ermöglichen könnte. Bezogen auf die Welt als Ganzes sind die Prozentsätze noch geringer.

Sogar US-Republikaner debattieren über Abgabe

Auch die Schweiz verlangt bereits seit 2008 eine CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe – aber nicht auf Benzin oder Diesel. 96 Franken (85 Euro) pro Tonne Kohlendioxid betrug sie 2018. Jedes Jahr bekommen die Bürger einen Großteil ihrer Ausgaben zurück: im Jahr 2018 76 Franken (67 Euro) pro Kopf, die mit den Prämien der Grundversicherung verrechnet wurden (hinzu kamen 13 Franken aus einer Lenkungsabgabe für flüchtige organische Chemikalien). Wer sparsam heizt oder Holz, Strom und Umweltwärme nutzt, kann das Verhältnis von Mehrausgaben und Erstattung verbessern.

Mit einem ähnlichen Rezept beginnt in den USA selbst die republikanische Partei über eine CO2-Abgabe zu debattieren. Die ehemaligen Außenminister George Shultz und James Baker haben vorgeschlagen, zunächst 40 Dollar (35 Euro) pro Tonne zu verlangen. Das Geld soll in voller Höhe an die Amerikaner zurückfließen – als Klimadividende. Eine vierköpfige Familie könne mit 2000 Dollar im ersten Jahr rechnen. Dafür würden die Benzinpreise anfangs um etwa 38 Cent pro Gallone (sieben Euro-Cent pro Liter) ansteigen.

Mit einer pauschalen Summe, also einem Betrag X für jeden Bewohner, wollen die Aktivisten vom Verein »CO2 Abgabe« allerdings nicht starten. Ihr Konzept sieht vor, die Bürokratie deutlich zu entschlacken, weil mehrere Steuern und Umlagen durch eine einzige Abgabe ersetzt werden. Vor allem aber wollen sie Härten bei Firmen und Familien deutlich gezielter ausgleichen, als es mit einer Pro-Kopf-Dividende möglich wäre. 

Abgabe auf Treibhausgase nutzt Arbeitslosen

Die Untersuchung des Vereins behandelt etwa den Fall von Pflegekräften in Krankenhäusern, die sich mit ihrem Gehalt keine Wohnung in der gleichen Stadt leisten können. Auch wegen der Dienstzeiten müssen sie in dem Beispiel 30 Kilometer einfacher Weg mit dem Auto zur Arbeit pendeln. Die CO2-Abgabe würde ihnen anfangs in Baden-Württemberg pro Jahr 35 Euro und in Mecklenburg-Vorpommern 41 Euro jährlicher Mehrkosten aufbürden, räumen die Autoren ein. Das könne der Gesetzgeber ausgleichen, heißt es in der Studie, »indem er Wegekosten zwischen Wohn- und Arbeitsort als außergewöhnliche Belastung steuermindernd anerkennt«, statt nur die Entfernungspauschale zu werten.

Für die Bezieher von Hartz IV wäre die Abgabe auf Treibhausgase sogar bei steigender CO2-Abgabe von Vorteil, ist der Münchner Soziologe Lessenich überzeugt. Sie könnten »besonders von einer Strompreissenkung profitieren. Da nach der geltenden Rechtslage die Steigerung der Wärmekosten erstattet würde, kann ein CO2-Preis bei gleich bleibendem Regelsatz dauerhaft zu einer Entlastung führen.«

Wie hoch eine CO2-Abgabe sein sollte, hat eine hochrangige Kommission von Ökonomen untersucht. Das Gremium nannte eine Spanne von 40 bis 80 Dollar (35 bis 70 Euro) pro Tonne für das Jahr 2020 und 50 bis 100 Dollar (44 bis 88 Euro) pro Tonne für 2030. Ihr gehören unter anderem Ottmar Edenhofer, Direktor des MCC und Forschungsbereichsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sowie Nicholas Stern von der London School of Economics an. 

Selbst hohe Preise spiegeln die realen Kosten nicht wider

Der Preis müsste allerdings bald steigen, um seine volle Lenkungswirkung zu entfalten. Schnell würde er dann auf ein Niveau von deutlich mehr als 100 Euro pro Tonne klettern. Nach dem Konzept des Vereins »CO2 Abgabe« wären nach einem Start mit 40 Euro zehn Jahre später bereits 90 Euro erreicht – und auch danach würde sich der Preis weiter um fünf Euro pro Jahr erhöhen. In der Schweiz sind zurzeit 120 Franken (106 Euro) als Höchstsatz vorgesehen, ein Gesetzentwurf in den USA schlägt für 2030 eine Abgabe von 115 Dollar (101 Euro) pro Tonne vor und sieht auch das noch nicht als Endpunkt. 

Keiner dieser Preise, die den Ausstoß von Treibhausgasen regulieren und möglichst vermindern oder verhindern sollen, spiegelt aber die Kosten der Schäden für Gesellschaften auf der ganzen Welt wider, die CO2 und Co. anrichten. Es gibt einen erkennbaren Unterschied zwischen Vermeidungs- und Schadenskosten.

Ökonomen nennen Letzteres oft die »social cost of carbon« (SCC). Dazu zählen die Aufwendungen für höhere Deiche, die volkswirtschaftlichen Kosten von Hitzewellen oder Ernteverlusten, in Deutschland bis in Ländern in Afrika oder Asien. Eine neue Berechnung des Umweltbundesamts taxiert die Umweltkosten auf insgesamt 180 Euro pro Tonne für das Jahr 2016 und auf 205 Euro für 2030. Den Ausstoß mit 40 Euro pro Tonne zu verhindern, ist dagegen praktisch ein Schnäppchen.

Berechnung des Durchschnitts­verbrauchs in Deutschland

Durchschnittliche Wohnung 91,8 Quadratmeter (Umweltbundesamt), die Haushaltsgröße laut Statistischem Bundesamt (Destatis) und laut Umweltbundesamt ergibt einen Durchschnitt von zwei Personen pro Haushalt.

• Durchschnittlicher Bedarf für Heizung und Warmwasser pro Haushalt laut Destatis: 13 791 kWh

• Durchschnittlicher Stromverbrauch laut Destatis: 3135 kWh

• Kraftstoff: Durchschnittlicher Verbrauch 7,2 Liter pro 100 Kilometer (Umweltbundesamt); Fahrleistung gewichtet im Mobilitätspanel 2016/17: 7,4 Liter pro 100 Kilometer

• Durchschnittliche Fahrstrecke pro Jahr 13 300 Kilometer (Kraftfahrtbundesamt für 2017); durchschnittliche Fahrstrecke pro Jahr 13 900 Kilometer (Verkehr in Zahlen 2018/19, Angabe für 2017)

• Das ergibt einen Verbrauch von 960 bis 1027 Litern pro Jahr.

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